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Generaldebatte im BundestagAlle gegen alle oder gegen eine?

Die Demos gegen rechts und die Radikalisierung der AfD sprengen die Dramaturgie der Generaldebatte. Friedrich Merz versucht eine Gratwanderung.

Oppositionsführer Friedirich Merz von der CDU bei der Generaldebatte am 31. Januar Foto: Christian Spicker/imago

Berlin taz | Wo sitzt der politische Gegner – links oder rechts von der Union? Unionsfraktionschef Friedrich Merz hatte am Mittwoch im Bundestag wahrlich keine einfache Aufgabe. Traditionell dient die Generaldebatte, offziell aufgehängt am Haushalt des Kanzleramts, dem politischen Schlagabtausch zwischen Oppositionschef und Kanzler.

Doch Merz steckte noch die berührende Gedenkstunde zum Holocaustgedenktag in den Knochen, zudem gehen gerade überall in Deutschland beinahe täglich Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Demonstrationen, die Merz ausdrücklich lobte. Die eingespielte Dramaturgie der Generaldebatte aus Rede und Gegenrede schien überholt.

Also wagte Merz den Spagat – ein Gutteil seiner Redezeit widmete er der AfD und bescheinigte den mehrheitlich männlichen Abgeordneten, die sich rechts von der Unionsfraktion in die Sessel fläzten: „Sie sind nicht die Alternative, sondern der Abstieg für Deutschland. Wirtschaftlich und moralisch.“

Zuvor teilte Merz hingegen wie gewohnt aus: gegen die Abgeordneten der Ampel, links von ihm, und den Bundeskanzler, schräg hinter ihm sitzend. Er machte die Ampel für die große Popularität der AfD in den Umfragen verantwortlich. „Die Wähler der AfD sind nicht alle rechtsradikal, aber alle frustriert.“

Um die Union wird es einsam

An der Politik der Bundesregierung ließ er kein gutes Haar. Man sei in allen wesentlichen Fragen, ob Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschafts- und Finanzpolitik, ob Arbeitsmarktpolitik oder Innen- und Rechtspolitik und nicht zuletzt der Asyl- und Einwanderungspolitik völlig anderer Meinung. Eine weitere Zusammenarbeit mit der Koalition aus SPD, Grünen und FDP schloss Merz aus. „Ersparen Sie sich und uns Ihre Aufrufe zur Zusammenarbeit.“ Auch für eine Reform der Schuldenbremse stehe seine Fraktion nicht zur Verfügung.

Um die Union könnte es demnach ziemlich einsam im Bundestag werden. Bundeskanzler Olaf Scholz, der nach Merz ans Rednerpult trat, wollte das so nicht stehenlassen. „Demokraten müssen zusammenstehen“, reichte er Merz die Hand. Zumal sich der Kanzler, der erneut für eine breitere internationale Unterstützung für die Ukraine warb, in diesem Punkt mit Merz ziemlich einig sein dürfte. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann redete Merz gut zu: „Machen Sie sich doch nicht so klein.“ Man habe doch gemeinsam viel erreicht, etwa beim Stiftungsgesetz.

Doch auch Scholz steht unter Druck. Für den Kanzler und die SPD geht es zunehmend ums Ganze, nämlich ob Scholz den Hebel umlegen kann, um sich und seine Partei aus dem Umfrageloch zu hieven und wieder Zutrauen zu schaffen. Die SPD will ihn wieder kämpfen sehen. Und so streifte sich Scholz über die gerade noch ausgestreckte Hand eben auch die Boxhandschuhe.

Im politischen Boxkampf habe Merz ein ganz schönes Glaskinn, zielte Scholz auf Merz: „Sie teilen jeden Tag gegen die Bundesregierung aus, aber wenn Sie mal kritisiert werden, sind Sie eine Mimose.“ Merz musste sich erst mal am Kopf kratzen.

Chancen für Zusammenarbeit sinken weiter

Überhaupt, so redete sich der Kanzler mit immer noch leicht belegter Stimme in Fahrt, behindere die Union Reformen und ziehe alle Wachstumsbremsen der Vergangenheit. „Ökonomischer Sachverstand: null. Keine ökonomische Perspektive für Deutschland“, attestierte er Merz und Co.

In der Tat erinnert das politische Programm, das Merz als Gegenentwurf zur Ampel skizzierte, stark an das letzte Jahrtausend: Die Union will Sozialausgaben beschränken, Lohnzusatzkosten deckeln, Unternehmen entlasten, Bürokratie abbauen und weg von der „einseitigen Orientierung auf erneuerbare Energien“. Das Bürgergeld bezeichnete Merz als „subventionierte Arbeitslosigkeit“, welches Leistungsbereitschaft verhindere. Dass Deutschland die höchste Beschäftigung seit Jahrzehnten hat? Geschenkt.

Es bleibt also ein Rätsel, wie unter diesen Vorzeichen eine Zusammenarbeit gelingen soll, zumal die Rahmenbedingungen schwierig sind und bleiben. Die Kriege in der Ukraine und nun auch in Gaza haben den Koalitionsvertrag teilweise ad absurdum geführt und seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlen der Ampel Milliarden, insbesondere für den klimaneutralen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Verhandlungen für den Haushalt, der am Freitag mit über zweimonatiger Verspätung verabschiedet werden soll, waren nach Aussage der Haushälter von SPD, Grünen und FDP die kompliziertesten, die sie je erlebt hätten. Der Union, die nicht einen einzigen Änderungsantrag einbrachte, warfen sie gar Arbeitsverweigerung vor. Herausgekommen ist ein Haushalt, der knapp 477 Milliarden Euro umfasst und dennoch enorm auf Kante genäht ist.

Gleich der nächste Ampel-Streit?

Die FDP lobt sich zwar, dass die grundgesetzliche Schuldenbremse, die neue Kredite stark einschränkt, eingehalten werde. Aber der nächste Haushalt dürfte auch deshalb noch kniffliger werden. Die Ausgaben sollen laut Finanzplanung um 25 Milliarden Euro sinken. Das bedeutet neue Sparrunden und neue Verteilungskämpfe, auch innerhalb der Ampel.

Die Sprecherin der Grünen Jugend Svenja Appuhn bezeichnete es gegenüber der taz als „unverständlich“, dass die Schuldenbremse wieder eingehalten werde. „Gerade jetzt bräuchte es ein massives Investitionsprogramm für Daseinsvorsorge, gute Arbeit und sozialen Klimaschutz“, so Apphuhn. Denn die Teuerungen machten vielen Menschen zu schaffen, Beschäftigte erlebten Reallohnverluste. „Das schürt Verunsicherung und Abstiegsängste und schadet der Demokratie.“

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wagte im Bundestag ein wenig Selbstkritik: „Durch unser Verhalten in der Fraktion haben wir manchmal Verdruss und Besorgnis gefördert.“ Debatten seien notwendig, „Eigennutz, Unhöflichkeit und Besserwisserei müssen dagegen aufhören.“

Allerdings brach Mützenich gleich mal selbst mit diesem Vorsatz, indem er eine Lieblingsforderung der SPD auch in der Generaldebatte ins Schaufenster stellte: Sollte tatsächlich der Kinderfreibetrag erhöht werden – wie es FDP-Finanzminister Christian Lindner will – dann müsse auch das Kindergeld steigen.

Was unter Gerechtigkeitsaspekten nachvollziehbar ist, würde den ohnehin überstrapazierten Etat der Bundesregierung sprengen. Und birgt neuen Sprengstoff für die Ampel. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai kündigte schon mal eine neue Debatte über die Zukunft des Sozialstaats an, der auch gerecht sein müsse gegenüber denjenigen, die ihn finanzierten.

Wie wichtig es aber wäre, dass sich die De­mo­kra­t:in­nen auch im Bundestag zusammenraufen, machte AfD-Fraktionschefin Alice Weidel deutlich. Da die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht zwar diese Woche wohl offiziell Gruppenstatus erhalten werden, in der Generaldebatte aber kaum zu Wort kamen und auch keine Fraktion mehr sind, ist die AfD jenseits der Union nun die einzige relevante Oppositionsfraktion.

Weidel sprach von einer „beispiellosen Verleumdungskampagne“ gegen ihre Partei, bezeichnete in ihrer Rede das Recherchenetzwerk Correctiv als mit Steuergeldern finanzierte „Hilfsstasi“ und deren Recherche über die Deportationspläne, die AfD-Politiker und Rechtsextreme schmiedeten, als „unglaubliche Lügen“. Um dann der Ampel vorzuwerfen, das Land mit illegalen Migranten zu „fluten“ und „den Deutschen ihre Heimat zu nehmen“. „Diese Regierung hasst Deutschland“, schrillte Weidel.

Keine weiteren Fragen.

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10 Kommentare

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  • "Die Union will Sozialausgaben beschränken, Lohnzusatzkosten deckeln, Unternehmen entlasten, Bürokratie abbauen und weg von der „einseitigen Orientierung auf erneuerbare Energien“. Das Bürgergeld bezeichnete Merz als „subventionierte Arbeitslosigkeit“,"

    Merz will den Superreichen noch mehr Geld zuschieben, will im Sozial sparen, will eine Gesellschaft wo 10 richtig satt vor Geld und Privilegien sind und 30 Prozent arbeiten wie verrückt, um das zu bezahlen.

    Die leistungsstarken reichen Menschen kommen bei Merz nicht vor, die müssen nicht zahlen, sie müssen sich nicht integrieren, abkassiert wird bei Durchschnittsarbeitnehmern und wer arm, arbeitslos oder gerade zugewandert ist, dem zieht Merz das Fell über die Ohren, der wird lebendig eingekocht, bis er für den Mindestlohn rumrennt, macht, arbeitet, egal was, und am Ende doch bei Miete und Rente zum Staat muss. Nur dort gibt es kaum noch was.

    Das ganze Konzept von Merz ist schlimmer als Schröders Agenda mal vier. Es ist eine Plaupause für eine unglaubliche Ausgrenzung, für Spaltung vom Härtesten, ein Leben in Armut und in Arbeit.

    Das Wichtigste dabei ist, dass Merz es wirklich will, während viele eiern und mal so mal so drauf sind, wird er das probieren, er würde, wenn er könnte, das durchziehen.

    Es hätte unglaubliche Folgen,der soziale Wohnungsbau würde runter gehen, die Leute würden bei Freunden und in Autos schlafen. Viele würden ständig irgendwo entlassen und dann wieder eingestellt. Gewerkschaften würden stark eingeschränkt. Selbst Bundesurlaubs- und Arbeitszeitgesetzte könnten gekippt werden.

    Das Grundmuster wäre:



    Lange Arbeiten, wenig verdienen, keine Ersparnisse und keine ausreichende Rente.

    • @Andreas_2020:

      Ja, das ist sehr nahe an dem, was kommen kann/wird. Da es sich aber bei der betroffenen Bevölkerungsschicht nicht um potentielle CDSUFDP Wähler*innen handelt, die zudem auch keine Beraterverträge, Parteispenden und nach der politischen Karriere eine wohlbezahlte Lobbytätigkeit anbieten können, wird das recht easy durchzuziehen sein.

  • Toll zusammengefasst!

    Bei compact läuft gerade eine Kampagne, die Merz mit einer Anzeige in der FAZ (leider nicht auch taz) auffordern will, Farbe beim Umgang mit der AFD in Thüringen zu bekennen. Die gewünschten 200.000 Unterstützer dürften bald zusammenkommen.

    Vielleicht hört Politik einfach mal Menschen zu, die sich von der Politik in Stich gelassen fühlen, um den Drall zur AFD zu vermindern.



    Sehr erkenntnisreich ein Artikel in der heutigen Printausgabe der taz, in der eine Mutter die Zustände an ihrer Berliner Brennpunktschule schildert: ständig Unterrichtsausfall, keine Sport- oder Horträume und bald könnte auch noch die Schulsozialarbeit wegfallen. Grund: es brannte in Turnhalle und Hort. Die Sanierung der Turnhalle braucht Jahre, eine Kantie gibt es aufgrund des Brandes nicht mehr, die Kindern essen kaltes Essen aus dem Becher.

    www.campact.de/rec...riedrich-merz-afd/

    • @Lindenberg:

      Ihr Link ist richtig. Jetzt hätten Sie nur noch schreiben müssen "Bei campact läuft gerade...". Hier kommt es auf das A statt dem O an. Das macht einen riesen Unterschied wie man leicht erkennen kann:

      compact ist ein rechtsextremes politisches Magazin.

      campact ist eine Kampagnenplattform mit den Zielen Stärkung des Sozialstaates, öffentlich (durch eine stärkere Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen) finanzierte Kinderbetreuung, Ganztagsschulen, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und Stärkung demokratischer Teilhabe.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Lindenberg:

      Der Friederich, der Friederich...



      Hatte ich schon mal erwähnt, dass ein Stellwerk in Friedrich Stadt (SH, nicht Sauerland) das DS 100-Kürzel „AFD“ hat?



      stellwerke.info/stw/stw.php?id=421



      taz.de/Ex-Generals...bb_message_4678145

      • @95820 (Profil gelöscht):

        Das Stellwerk AFD in Friedrichstadt ist außer Betrieb. Ist das ein Omen?

  • Friedrich Merz unterscheidet sich kein bisschen von den Rassisten die bei der AFD ihr Unwesen treiben. Das die CDU bei runde 31% liegt ist der Rhetorik die auch Größtenteils von der AFD verwendet wird zu verdanken!

  • Soll die tendenziöse Rhetorik des Herrn Blackrock-Pascha-Zahnartz-März schon Schnee von gestern sein?



    Ist jetzt die Rassitsiche Alternative Partei mit seinen Worten; „nicht die Alternative, sondern der Abstieg für Deutschland. Wirtschaftlich und moralisch.“?



    Welche Freunde der Demokratie würde etwas anderes behaupten?



    Kann das alles wirklich noch CDU sein?

  • Merz ist eine Demagoge und er wird es bleiben. Der hat nichts, gar nichts begriffen. In ganz großem Maße ist er mit seinem Vokabular am Aufstieg der AfD mitschuldig. Es ekelt einen wirklich an, wie sehr der die Solidarität der Demokrat*innen zerstört.

    • @Perkele:

      Und solange die Massenmedien ihn wie den aufrechtesten aller wehrhaften Demokraten behandeln, wird sich im allgemeinen Bewusstsein der Bevölkerung NICHTS daran ändern.

      Die Syrer-beim-Zahnarzt-Hetze war eine glatte Lüge. Aber hat es irgendeine Zeitung drauf ankommen lassne, Merz als "Lügner" zu bezeichnen? Was hätte er tun können? Klagen? LOL, das hätte er so was von verloren!



      Nein, er hätte diese aufmüpfigen "Pinscher" (FJ Strauß) von den Privilegien ausschließen können, die jede politische Partei denen gewährt, die ihr loyal sind.



      Ohhhhh, und DA geht die "freie Presse" mit dem Arsch auf Grundeis! Keinen Zugang mehr zu "durchgestochenen" Exklusivinformationen aus dem Inneren der Union - damit ist eine rote Linie ganz klar überschritten...

      PROTIP: immer wenn es um irgendwas mit Merz geht, zwecks besserer Kontextualisierung dies hier als Hintergrundmusik abspielen: www.youtube.com/watch?v=TC1Vfoq3PvU