piwik no script img

Entwurf für das CDU-GrundsatzprogrammNichts mehr mit Solidität

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Im Entwurf für das neue Grundsatzprogramm setzt die CDU bei Asylverfahren und Aufnahme Flüchtender auf Drittstaaten. Eine illusorische Vorstellung.

Der Parteivorsitzende Merz und Generalsekretär Linnemann gehen zur Pressekonferenz zum Grundsatzprogramm der CDU am 13. Januar Foto: Political-Moments/imago

A ls die Union 2019 ihren Markenkern formulierte, stand das Wort „solide“ noch in der Überschrift. Laut ihrer „Grundwertecharta“ von 2022 will sie „die Zukunft gestalten, ohne übereilt dem Zeitgeist zu folgen.“ Die Werte der Partei würden dieser „die notwendige Gelassenheit“ geben, um „durchdachte Lösungen zu finden.“ Schön wär’s. Dieser Tage ist die CDU dabei, ein neues Grundsatzprogramm zu formulieren. Zumindest in Sachen Migrationspolitik ist von der Solidität, mit der sich die Partei immer brüstete, nichts übrig.

Windiger als das im vorläufig angenommenen Programmentwurf zur Flüchtlingsfrage Formulierte geht es kaum: „Jeder, der in Europa Asyl beantragt, solle „in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen“. Im Falle eines positiven Bescheids solle der sichere Drittstaat dem Antragsteller „vor Ort Schutz gewähren“. Das ist, um es vorweg zu nehmen, ein in der Form völlig illusorischer Plan.

Die CDU könnte den Leuten genauso gut versprechen, die Flüchtlinge auf den Mond zu verfrachten

Zu einer der zentralen politischen Fragen fällt den Konservativen, geplagt vom Erfolg der AfD, nur eine Luftnummer ein. Die Menschen sollen nicht bloß – wie es dem „Migrationsbeauftragten“ der Ampel, dem FDPler Joachim Stamp, vorschwebt – in ein wohl afrikanisches Land gebracht werden und nach einer Anerkennung in die EU einreisen können. Die Anerkannten sollen vielmehr dauerhaft dort bleiben. Lediglich über im CDU-Papier vage genannte freiwillige Aufnahmekontingente soll eine Einreise möglich bleiben.

Das geht weit über das hinaus, was hierzulande bisher in Sachen Asylrechtsverschärfung diskutiert wurde. Die CDU könnte den Leuten genauso gut versprechen, die Flüchtlinge auf den Mond zu verfrachten. In Afrika wenden sich die Regierungen gerade in Scharen vom Westen ab, gehen Allianzen mit Russland, China, den Golfstaaten ein. Der Westen wird zunehmend als kolonialer Akteur wahrgenommen und muss diplomatische Rückschläge hinnehmen.

Dänemark und Großbritannien machen es vor

Die EU hatte seit 2015 mit größtem Nachdruck versucht, afrikanische Staaten als Grenzschutz-Partner aufzubauen – mit durchwachsenem Erfolg. Afrikanischen Ländern nun die Flüchtlinge aus der ganzen EU auf Dauer aufhalsen zu wollen, ist da Realitätsverweigerung, von moralischen Fragen gar nicht zu reden.

Den selben Plan verfolgten ab 2020 auch Dänemark und Großbritannien. Dänemark hatte dafür unter anderem bei Libyen, Tunesien, Marokko, Ägypten und Sudan angefragt, bevor es Verhandlungen mit Ruanda aufnahm. Die Afrikanische Union (AU) kommentierte das dänische Ansinnen damals wütend: „Wir verurteilen auf das Schärfste das kürzlich verabschiedete dänische Ausländergesetz, das vorsieht, Asylbewerber während der Bearbeitung in Länder außerhalb der EU abzuschieben.“

Schon 2019 – die EU hatte einen ähnlichen Plan ins Gespräch gebracht – beschloss die Vollversammlung der AU, dass keines ihrer 52 Mitglieder ein solches Asylzentrum zulassen würde. Es war klar: Jedes Land, dass sich auf einen solchen Plan einlässt, würde am Ende mit einer großen Zahl gestrandeter Menschen zurechtkommen müssen. Dänemark scheiterte in Ruanda offenbar an der Frage, was mit Abgelehnten geschehen solle, die nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können.

Für diese wollte Dänemark dann ein weiteres Land zur Aufnahme überreden. Ruanda hielt das zu recht für unrealistisch. Großbritannien soll bei rund 30 Staaten angefragt haben, bevor man mit Ruanda einig wurde. Ab Mitte 2022 sollten alle in UK ankommenden Asylsuchenden nach Ruanda geflogen werden – und im Fall der Anerkennung dort bleiben. Also das, was sich nun auch die CDU für die ganze EU vornimmt.

Schicksal der Abgelehnten offen

Was mit den in Ruanda Abgelehnten geschehen soll, die nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können, ist offen. Bis heute ist kein einziger Flüchtling nach Kigali gebracht worden, weil britische Gerichte dies zwei Mal unterbanden. Bis 2023 hat London dennoch schon 240 Millionen Pfund nach Kigali überwiesen. London hält trotz Gerichtsbeschluss an dem Plan fest – und die Tories gerieten schnell auf staatspolitisch-moralische Abwege.

Am Tag nach dem letzten Gerichtsurteil im November 2023 empfahl der stellvertretende Tories-Vorsitzende Lee Anderson, sich über den Richterspruch hinwegzusetzen: „Ich denke, dass wir die Gesetze ignorieren und sie noch am gleichen Tag zurückschicken sollten.“ Premier Rishi Sunak sagte: „Meine Geduld ist erschöpft, die Geduld des britischen Volkes ist erschöpft.“ Es sollte „keine innenpolitischen Blockaden mehr geben, die uns daran hindern, dieses Programm zu verwirklichen.“

Gerichtsurteile nur noch als lästige Hindernisse für die eigene Politik zu betrachten, die man am besten einfach ignoriert – da landet, wer auf zentrale politische Fragen nur abenteuerliche Antworten hat. Die Idee an sich ist aber nicht neu. 2004 schlug Otto Schily „Auffanglager“ für Asylverfahren in Nordafrika vor.

Die Nerven liegen blank

2018 sagte Angela Merkels Afrika-Beauftragter Günter Nooke: „Vielleicht ist der eine oder andere afrikanische Regierungschef bereit, gegen eine Pacht ein Stück territoriale Hoheit abzugeben und dort für 50 Jahre eine freie Entwicklung zuzulassen.“ Dort könnten dann in Wirtschaftssonderzonen Migranten angesiedelt werden, „unterstützt von der EU“. Die CDU will bis Ende März über den Entwurf beraten. Dass sie ein praktisch undurchführbares Konzept ins Zentrum ihrer Asylpolitik stellt, zeigt, wie blank ihre Nerven liegen.

Entweder beendet die demokratische Mitte die illegale Migration nach Deutschland – oder illegale Migration „beendet die demokratische Mitte in Deutschland“, so Fraktionsvize Jens Spahn kürzlich. Wenn wir mit den Flüchtlingen nicht aufräumen, räumt die AfD mit uns auf – das ist die Sorge. Aber eine konservative Partei ist schlecht beraten, ihre politische Kultur soliden Regierens aufzugeben und selbst in den Modus der Populisten zu wechseln.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • @RUDI HAMM

    Sehr geschickt. Das ist doch genau das Modell Dublin: die Länder an der Grenze haben den Salat, die im Kern, auch das reiche, feiste Deutschland, lässt die alleine damit.

    Wie @MONDSCHAF schon bemerkt, kriegen wir damit an der Peripherie rechtspopulistische bis faschistische Regierungen.

    Aber vielleicht ist das genau, was Sie wollen. "Nicht links, Nicht rechts". Nur zynisch.

  • "Es war klar: Jedes Land, dass sich auf einen solchen Plan einlässt, würde am Ende mit einer großen Zahl gestrandeter Menschen zurechtkommen müssen."

    Mit dieser Analyse liegt der Autor natürlich völlig richtig. Die Aufnahme einer "großen Zahl gestrandeter" ist für kein afrikanisches Land zumutbar. Ein sehr kleine Zahl Gestrandeter wäre sicher kaum eine Diskussion wert. Gedanklich gibt es hier für den Autor offensichtlich eine "Obergrenze" des Unzumutbaren. Damit sind wir leider bei der leidigen Obergrenzen-Debatte angekommen, die hier in Deutschland ja schon zur Genüge geführt wurde. Jetzt also auch in Afrika.

    Auf der anderen Seite lässt der Autor die Frage offen, warum dieselbe Forderung nach einer Aufnahme einer "großen Zahl gestrandeter" bspw für das kleine Dänemark kein Problem sein soll. Viele Länder in Afrika haben doch deutlich mehr Platz als Dänemark. Dänemark ist reich, hat also viel Geld, aber eben wenig Platz. Es wäre also schon eine Überlegung wert, ob ein Tausch Geld gegen Platz nicht sogar ein Win-Win darstellt.

  • Es ginge auch ohne Änderung der Gesetze



    Fast alle Flüchtlinge kommen über ein Schengen-Land zu uns. Die Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Staaten ist völlig ungerecht und widerspricht dem Schengen-Abkommen, nachdem ein Flüchtling in dem EU-Land ein Asylverfahren zu druchläuft hat, welches er/sie als erstes betritt, nicht in dem welches er/sie sich wünscht.



    Eigentlich müssten wir als Deutschland dies auch einfordern und Asylanträge für Flüchtlinge aus Schengen-Ländern in Deutschland verweigern.



    Noch gerechter aber wäre es, wenn die Summe aller kommenden Flüchtlinge nach einem Schlüssel in alle Länder der EU verteilt wird. Ein "Wunschland" kann ich zwar verstehen, aber fordern kann man es nicht. Es heißt Asyl, nicht Wunschkonzert.

    Der CDU-Vorschlag ist überhaupt nicht nötig, bestehende Gesetze einfordern würde völlig ausreichen.

    • @Rudi Hamm:

      Was wäre denn daran gerecht, z.B. einen afghanischen Zuwanderer nach Bulgarien zu verteilen und seinen Freund nach Deutschland? Abgesehen von den völlig unterschiedlichen Versorgungleistungen für Zuwanderer gibt es unterschiedlich große Communities. In Bulgarien dürfte es unter 1000 Landsmänner geben, allein in Hamburg über 30 TSD afghanischstämmige Einwohner. In solche lokale Gemeinschaften – wie in Hamburg - könnte er sich viel leichter integrieren, als in Bulgarien, Rumänien, Polen oder Ungarn.

      Die Sozialleistungen für Zuwanderer lassen sich nicht angleichen. Kein Land kann Zuwanderern mehr Sozialleistungen zugehstehen als den eigenen Einwohnern. Wenn z.B. Griechenland den eigenen Bürgern keine Sozialhilfe auszahlt, wäre es politischer Selbstmord, Soziallhilfen an Zuwanderer zu verteilen. Umgekehrt haben Gerichte in Deutschland festgeschrieben, daß für Zuwanderer ein Mindestniveau staatlicher Versorgung bestehen muß und verweigern deswegen oft die Rückführung z.B. nach Griechenland.

      Wahrscheinlich sind die Sozialleistungen zweitrangig. Wichtig ist das Bestehen großer lokaler Sprachgemeinschaften. Hier ist Deutschland viel besser aufgestellt.

      Die Idee der Verteilung inerhalb der EU wird immer wieder vorgebracht. Aber wie sollte denn eine solche Verteilung durchgesetzt werden? Länder, wie Griechenland oder Bulgarien können Durchreisende doch nicht anketten. Das werden sie auch nie tun. Wenn, dann müßten deutsche Behörden und deutsches Personal aktiv werden und Zuwanderer abweisen. Damit die Gerichte nicht widersprechen, müßten Gesetze geändert werden.

      • @Donald Duck:

        "In Bulgarien dürfte es unter 1000 Landsmänner geben, allein in Hamburg über 30 TSD afghanischstämmige Einwohner. In solche lokale Gemeinschaften – wie in Hamburg - könnte er sich viel leichter integrieren, als in Bulgarien, Rumänien, Polen oder Ungarn."

        Und:

        "Wichtig ist das Bestehen großer lokaler Sprachgemeinschaften. Hier ist Deutschland viel besser aufgestellt."

        Es geht eben nicht darum, dass sich Zuwanderer in lokalen Gemeinschaften gleicher Herkunft/Kultur/Sprache integrieren, sondern in der Gesellschaft des Aufnahmelandes.

        Ihre Forderungen unterstützen (aus meiner Sicht) die Entstehung und das Wachstum von Parallelgesellschaften.

        Die Zuwanderer sollen sich bei uns ja nicht wie "bei sich zu Hause" fühlen (dort wollten sie ja weg), sondern eben bei uns zu Hause.

        Je größer die Notwendigkeit ist, die Sprache des Aufnahmelandes zu lernen, um kommunizieren zu können, desto besser klappt es mit der Integration, weil man dabei nämlich nicht nur die Sprache lernt, sondern sehr viel mehr.

        • @Al Dente:

          Danke, volle Zustimmung, so sehe ich dies auch.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Rudi Hamm:

      Jaja. Schengen. Und dann ließ Europa Italien hängen. Die Folgen sind bekannt. Jetzt regiert Meloni das Land.

      • @95820 (Profil gelöscht):

        Genau so darf es eben nicht sein.



        Ich weiß, die Praxis "einig-EU" ist anders.