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Kosten der CO2-Neutralität in EuropaBillionen mehr für Klimaschutz

Für die CO2-Neutralität bis 2050 muss die EU viel mehr investieren als geplant. Das zeigt eine Studie im Auftrag der Grünen im Europäischen Parlament.

Z.B. bei Verkehr und Industrie müsste die EU mehr in Klimaschutz investieren, hier die A113 bei Berlin Foto: Sabine Brose/Frank Sorge/imago

Brüssel taz | Die Europäische Union investiert nicht genug in den Klimaschutz und läuft deshalb Gefahr, das Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 deutlich zu verfehlen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue, noch unveröffentlichte Studie des französischen Thinktanks Institut Rousseau. Demnach sind zusätzliche Investitionen in Höhe von 10 Billionen Euro erforderlich, um das europäische Klimaziel zu erreichen.

Pro Jahr fehlen danach rund 260 Milliarden Euro – oder 1,6 Prozent der Wirtschaftsleistung der 27 EU-Länder, heißt es in der Studie, die der taz vorab vorlag. Dies sei allerdings nur etwa die Hälfte dessen, was die EU 2022 für die Einfuhr fossiler Brennstoffe ausgegeben hat. Drei Viertel der fehlenden Mittel könnten durch Umschichtung im laufenden EU-Budget gesichert werden, so die Experten.

Allerdings wird der „Weg zur Netto-Null“ auf jeden Fall holprig. So empfiehlt die Studie, die Zahl der Autos zu verringern und den Flugverkehr einzuschränken. Die Autos müssten kleiner und besser ausgelastet werden, etwa durch Carsharing. Im Vordergrund müsse aber der Umstieg auf E-Autos und andere klimaschonende Verkehrsmittel wie Busse und Bahnen stehen. Die EU solle „dringend und durchgreifend“ handeln, so das Fazit der Studie, die von den Grünen im Europaparlament in Auftrag gegeben wurde. Es fehle nicht an Wissen, sondern an Mut – und Geld.

Doch die EU hat derzeit andere Prioritäten. Bei einem Sondergipfel am kommenden Donnerstag in Brüssel wollen die Staats- und Regierungschefs zwar den laufenden 7-Jahres-Haushalt nachjustieren. Doch im Mittelpunkt steht die von Russland attackierte Ukraine, die eine Finanzspritze von 50 Milliarden Euro erhalten soll. Neue Investitionen für den Klimaschutz sind nicht geplant.

Reform der Schuldenregeln

Die EU-Staaten wollen den Gürtel sogar enger schnallen. Dies sieht die Reform der Schuldenregeln vor, auf die sich die EU-Finanzminister im Dezember geeinigt haben. „Aktuell blockieren Ursula von der Leyen und Olaf Scholz öffentliche Investitionen auf europäischer und nationaler Ebene“, kritisiert Rasmus Andresen, Chef der deutschen Grünen im EU-Parlament. „Neben einer investitionsfreundlichen Reform der EU-Schuldenregeln brauchen wir eine europäische Infrastrukturoffensive, die in die Klimawende investiert und Zukunftsjobs schafft“, fordert Andresen.

Ähnlich äußern sich Sozialdemokraten und Linke. Demgegenüber wollen die Konservativen den Klimaschutz zurückstellen – zugunsten der Landwirtschaft und der Industrie. Dabei gehören diese beiden Sektoren laut der Studie zu jenen, die auf mehr Klimaschutz verpflichtet werden sollten. „Es gibt kein Allheilmittel, um die europäische Wirtschaft sofort zu dekarbonisieren“, warnen die Autoren. Vielmehr müsse die EU alle Hebel nutzen – und viel mehr investieren.

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6 Kommentare

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  • " investitionsfreundlichen Reform der EU-Schuldenregeln" bedeutet im Klartext Geld drucken ohne Ende für den Klimaschutz.



    Wenn dann die (Land-)Wirtschaft im EU-Land durch immer mehr Regeln und Vorschriften und Steuern und Abgaben kaputt ist, dann wird es auch keinen EU Klimaschutz mehr geben können. Mangels Steuergeld.

    PS: Das mit dem Geld drucken hat ja sowieso schon ganz doll gut geklappt bisher. Deshalb muss man das noch ausbauen. Sind ja schließlich gute Staatsschulden, die uns alle reicher machen.

  • Ja ja, das Übliche. Alles andere ist (wirtschaftlich) wichtiger als Klimaschutz. Konservative, "Liberale" und auch die veraltete Tante SPD haben keinen Gedanken für die Zukunft übrig. Denen schwebt die Vergangenheit vor und - Profite. Doch was nützt ein pralles Bankkonto, wenn man keine Luft mehr zum Atmen hat oder im Hochwasser ersäuft?

  • Es wurd3e schon seit Jahrzehnten darauf hingewiesen: Je länger man wartet, umso teurer wird es.

  • "Demgegenüber wollen die Konservativen den Klimaschutz zurückstellen – zugunsten der Landwirtschaft und der Industrie."

    Zuungunsten. In zehn Jahren wird "die Landwirtschaft" nach staatlichen Zuschüssen schreien, weil keine Versicherung mehr die klimabedingten Schäden auffangen kann.

    Wie blöd kann mensch nur sein.

  • Solange wir in einer Markwirtschaft sind, die auf Wachstum und Konsum ausgelegt ist, werden wir das Ziel nie erreichen. Wachstum und Konsum bedeuten mehr Produktion, mehr Transport, mehr Rohstoffverbrauch und auch mehr Energieverbrauch. Kleinere Autos und ÖVP lösen da erst mal gar nichts, das ist Augenwischerei.

    Abgesehen davon gibt es noch andere Dimensionen. Zeit ist Geld. Solange es wesentlich länger dauert mit dem öffentlichem Nahverkehr zur Arbeit zu kommen, ist das gegenüber von Autos ein Wettbewerbsnachteil und auch ein Verlust von Lebenszeit, der kaum akzeptiert werden wird. Und bei den gegenwärtigen Mieten in den Städten gehen die Menschen eher aufs Land, was das Problem deutlich verschärft.

    Abgesehen davon: Verbal ist jeder für den Klimaschutz. Allerdings nur so lange, bis man bei sich selbst keine großen Abstriche machen muss. Was haben wir heuchlerisch von Balkonen für die Pflegekräfte geklatscht. Es hat uns nichts gekostet. Hier ist die Situation jedoch anders. Das Heizungsgesetz ist gescheitert wegen der Kosten und hat deutlich aufgezeigt, dass der momentan bestehende Konsens in der Mehrheit der Bevölkerung zu Klimaschutz sehr schnell kippen kann, wenn es zu einer deutlichen Verschlechterung des Lebensstandards führt. Denn diese Verschlechterung erfahren die Menschen jetzt, sofort, in ihren Portmonees. Die Konsequenzen des Klimawandels dagegen sehen erst die nächsten Generationen. Wie will eine Regierung Klimapolitik machen, wenn diese nicht mehr mehrheitsfähig ist?

    Es bleibt dabei. Klimaschutz muss sein. Aber ohne Systemwechsel wird das nicht funktionieren.

    • @Jens Barth:

      "Wie will eine Regierung Klimapolitik machen, wenn diese nicht mehr mehrheitsfähig ist?"

      Es braucht eine Klimapolitik, die die Belastungen gerechter verteilt und die Ärmsten im Land möglichst gar nicht belastet. Wo man dafür ansetzen muss, kann man z. B. hier lesen:

      taz.de/Ungleiche-E...tschland/!5922585/

      "Es bleibt dabei. Klimaschutz muss sein. Aber ohne Systemwechsel wird das nicht funktionieren."

      Wir werden es im bestehenden System hinbekommen müssen, denn einen Systemwechsel wird es nicht geben (zumindest keinen demokratischen).