Festival für Nachwuchsfilm: Sich durch die Rhetorik klamauken
Beim Filmfestival Max Ophüls Preis herrschten Lust am Absurden und Angst vor Krieg. „Electric Fields“ von Lisa Gertsch gehörte zu den großen Gewinnern.
Da staunt der Elektriker Bauklötze: In sein Reparaturfachgeschäft spaziert eines Abends eine Frau mit einer Glühbirne, die permanent leuchtet, selbst wenn man bei der dazugehörigen Lampe den Stecker zieht. „Das darf eigentlich nicht passieren“, murmelt der Mann. Doch die Glühbirne macht, was sie will. Genau wie das Radio, das Tote wiederweckt: Wenn sein trauernder Sohn es anknipst, öffnet der soeben verstorbene Vater die Augen.
In Lisa Gertschs erstem langen Spielfilm „Electric Fields“, der beim Max-Ophüls-Preis-Festival gleich in drei Kategorien (Bester Spielfilm, Bestes Drehbuch und Preis der Filmkritik) abräumte, wird nicht nur Elektrizität zu Magie. Die Schweizer Regisseurin übersetzt für ihren schwarz-weißen Episodenfilm Träume in reale Umgebungen.
Gertsch morpht Vogelschwärme, die in einzigartigen Bewegungen über den Himmel pflügen, zu organisch geformten Eisenspan-Magnetfeldern und schickt einen Mann in den Wald, damit er dort eine gesamte Jahreszeit verschläft – und danach auf Nimmerwiedersehen in einem See verschwindet. Nur die weit entfernten Boote auf der just glatten, nun immer welligeren Wasseroberfläche waren Zeuge und beginnen alsbald einen wilden Tanz.
Das Surreale in Gertschs Film, das sich in ruhigen, an den schwedischen Regisseur Roy Andersson gemahnenden Sequenzen durch das Reale frisst, steht symptomatisch für die aktuelle, fingerfertige Lust am Absurden, die momentan viele deutschsprachige Produktionen umarmen: Auch Timm Krögers schwarz-weißer Erfolgsfilm „Die Theorie von allem“ vom 2023 scherte sich nicht um Logik, sondern feierte das kühne Fantasma. Und deutsche Mystery-Serien boomen wie nie.
Mehr Experimentierfreude
Beim (vom Bahnstreik gebeutelten) Festival in Saarbrücken, das zum 45. Mal in mehreren Reihen Nachwuchsfilme präsentierte, spürte man in der vergangenen Woche jedenfalls ein größeres Genrevertrauen und eine gestiegene Experimentierfreudigkeit der Nachwuchstalente – aber ebenso, wie überall, die zurückliegende Pandemie, die sich im Hang zum Kammerspiel niederschlug: In Ella Haas’ Improfilm „Draußen brennt’s“ steckte eine Clique junger Menschen symptomatisch gemeinsam im Lockdown fest und ärgerte sich mit erwartbaren, nicht besonders existenziellen Auf-engem-Raum-Reibereien herum.
„Wo keine Götter sind, walten Gespenster“ von Bastian Gascho wirkte dagegen fast wie die knallige Agitpop-Version des Cliquenproblems – hier besteht die Gruppe aus Widerstandskämpfer:innen, die das „Regime des Glücks“ stürzen wollen. Unterstützt werden die forschen Terrorist:innen von einem nichtbinären Gespenst mit dem hübschen Namen „Buh“. Man klamaukt sich ideenreich durch die Rhetorik: „Ist komisch, wie normal ich es finde, wie seltsam ihr seid“, bleibt dabei aber etwas weniger radikal, als die Politdiskurs-Vorbilder es waren.
Aktualität von Flucht
Den Publikumspreis und einen Schauspielpreis durfte Sarah Neumanns Drama „Jenseits der blauen Grenze“ mitnehmen – ein intensives, vom gleichnamigen Roman adaptiertes Schwimm-Drama über Freundschaft und Grenzen in der DDR: Eine Leistungsschwimmerin, gespielt von Lena Urzendowsky, verzichtet auf die Karriere und flieht mit ihrem besten Freund Andreas (Preisträger Willi Geitmann) über die Ostsee in den Westen. Ein nasser, allein durch das Setting mit einer großen Fall- beziehungsweise Untergangsebene ausgestatteter Elemente-Film, dessen klare Dramatik leicht vermittelbar ist.
Doch bei der Eröffnung am Montag wurde nicht nur in den Begrüßungsreden wieder klar, wie sehr die Angst vor Kriegs- und Krisenschauplätzen der Welt in der Kultur spürbar ist. Filme wie „Echoes from the Borderland“, Lara Milena Broses am Ende mit dem Dokumentarfilmpreis ausgezeichnetes, eindringliches Werk über Fluchtbewegungen, machte deutlich: Geschichten wie diese werden aktueller, lauter – und bleiben.
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