piwik no script img

Abstimmung über EU-LieferkettengesetzNoch besteht Hoffnung

Möglicherweise kommt das EU-Lieferkettengesetz auch ohne deutsche Stimme durch. Die Berliner Liberalen gelten in Brüssel als unsichere Kantonisten.

Am 7. Februar 2024 nimmt Bundesfinanzminister Christian Lindner an der wöchentlichen Kabinettssitzung im Bundeskanzleramt teil Foto: Liesa Johannssen/reuters

Brüssel taz | Verhaltener Optimismus, aber noch keine Entwarnung: Kurz vor der entscheidenden Abstimmung am Freitag in Brüssel bangt die EU um die geplante neue Lieferketten-Richtlinie. Der belgische EU-Vorsitz gibt sich zwar zuversichtlich, eine qualifizierte Mehrheit unter den 27 Mitgliedstaaten zu erhalten. Sicher sei dies aber nicht, da einige Staaten noch Vorbehalte haben und sich nicht festlegen wollen.

Die Lieferketten-Richtlinie ist eines der wichtigsten Gesetze im europäischen „Green Deal“. Sie soll Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem Umsatz von über 150 Millionen Euro verpflichten, soziale und ökologische Standards einzuhalten. Dass die Verabschiedung unsicher ist, liegt vor allem an der FDP. Denn sie ist gegen den Vorschlag – Deutschland wird sich deshalb am Freitag enthalten.

In Brüssel ist man das schon gewohnt. Das „German Vote“ – die Enthaltung wegen Meinungsverschiedenheiten in der Regierung – ist längst zum geflügelten Wort geworden, EU-Diplomaten machen sich darüber gern lustig. Diesmal ist jedoch kam jemand zum Spaßen zumute. Dafür steht zu viel auf dem Spiel. Außerdem könnte die deutsche Enthaltung eine für das Vorhaben fatale Kettenreaktion auslösen.

Vor allem kleinere EU-Länder verstecken sich gern hinter dem großen Nachbarn. Die österreichische Regierung ist ähnlich gespalten wie die deutsche und könnte sich ebenfalls enthalten. Schweden will mit Nein stimmen, Frankreich dagegen mit Ja. Unklar ist die italienische Haltung. Die rechte Regierung in Rom hält sich bedeckt – sie könnte am Ende den Ausschlag geben.

Diverse FDP-Blockaden

Für eine qualifizierte Mehrheit sind die Stimmen von mindestens 15 Mitgliedstaaten nötig, die zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung ausmachen. Deshalb zählen große Länder wie Italien mehr als kleine.

Wenn die Richtlinie durchkommt, dürfte die EU schnell wieder zur Tagesordnung übergehen. Wenn sie scheitert, fällt dies auf die FDP und die Bundesregierung zurück. Schon jetzt werden in Brüssel immer wieder Zweifel an der europapolitischen Verlässlichkeit Deutschlands laut. Denn die deutschen Bremsmanöver und Blockaden haben sich in letzter Zeit massiv gehäuft. Aktuell steht die Bundesregierung bei den geplanten Flottengrenzwerten für Lkws auf der Bremse. Das Vorgehen von Verkehrsminister Volker Wissing erinnert an seine Taktik vor einem Jahr, als der FDP-Politiker die Flottengrenzwerte für Pkws und das Verbrenner-Aus ab 2035 blockierte.

Streit gibt es auch über die Reform der sogenannten europäischen Friedensfazilität, aus der Waffen für die Ukraine finanziert werden. Hier verzögert Kanzler Olaf Scholz eine Lösung. Er fordert, die deutschen Waffenlieferungen auf mögliche europäische Finanzspritzen anzurechnen. Dabei weiß er ausnahmsweise die FDP auf seiner Seite.

Gerade noch die Kurve gekriegt hat Deutschland beim AI Act, dem ersten EU-Gesetz zur sogenannten Künstlichen Intelligenz. Auch hier stand die FDP auf der Bremse. Mittlerweile gelten die deutschen Liberalen in Brüssel als unsichere Kantonisten. Dass sie auch in der Finanzpolitik und bei den geplanten neuen EU-Schuldenregeln eine harte Linie fahren, hat sie nicht beliebter gemacht.

„Die FDP beschädigt mit ihren Querschlägen das Ansehen Deutschlands“, sagt die grüne Europaabgeordnete Anna Cavazzini. „Es bleibt zu hoffen, dass Deutschlands Wankelmut nicht das Ende des EU-Lieferkettengesetzes besiegelt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • 6G
    691349 (Profil gelöscht)

    Bei den ganzen Lieferkettendiskussionen fehlt m. E. eine entscheidende Station zur Beurteilung, ob Vorteile durch den Prozess zu erwarten sind: Der Konsument, der Verbraucher oder der Nutzer als kritischstes Glied. (Nachfolgend käme natürlich noch die Entsorgung bzw. Wiederverwendung). Drei Beispiele:

    1.Das gesamte Waffenarsenal der Bundeswehr erfüllt die Kriterien des LkSG und dann werden diese für einen sinnlosen Krieg eingesetzt oder die Waffen werden verkauft an irgendwelche Despoten.



    2.Der Autofahrer bestellt sich den neuesten 50 Liter Superbenzin Turbo und rast über die Autobahn wie ein ein Schwachkopf (weil es es darf!).



    3.Der normale Konsument von Viskose-Klamotten, Fast Food, Computerspielen, Süßwaren usw. ist doch das schwächste Glied in der Lieferkette. Kein Mensch benötigt diese Dinge.

    Und so geht es munter weiter. Erst wenn aus die Lieferkette zu einem Kreislauf geworden ist, kann bewertet werden. Ansonsten werden weiterhin vollkommen nutzlose Produkte mit dem Stempel „LkSG erfüllt“ erzeugt.

  • Ich verstehe nicht, warum die Grünen sich beschweren. Sie wollten doch die FDP unbedingt in der Regierung haben und haben sogar auf das für die Umsetzung ihrer Politik so wichtige Verkehrsministerium verzichtet sowie Lindner das Finanzministerium quasi widerstandslos überlassen; die Basis hat alles abgenickt. Dabei hätte man wissen können, dass die FDP im Bund seit Langem nicht mehr regierungsfähig ist.



    Im Ergebnis gibt die Bundesregierung nicht nur gegenüber den europäischen Partnern ein ganz schlechtes Bild ab, sondern vor allem im Inland, mit den bekannten uns alle beschäftigenden Folgen.

    • @Zangler:

      Na klar, logisch: die Grünen sind an allem Schuld. Die Behauptung, die grüne Basis hätte die Pseudo-Partei FDP unbedingt in der Koalition haben wollen ist -gelinde gesagt- sehr forsch und zeugt von nicht guter Kenntnis der Partei. Aber was soll's: Grün ist für ALLE Fehler verantwortlich - das ist schön einfach....

      • @Perkele:

        Ich erinnere daran, dass die Ampel mit der groß inszenierten Einigung von FDP und Grünen begann und dass die Grünen sich ihren Eintritt in die Koalition von der Basis haben absegnen lassen. Da kann man ja hinterher nicht sagen, man habe das so nicht gewollt und von allem nichts gewusst.



        Außerdem ist gerade Robert Habeck mit seinen Vorschlägen nach Sitzungen des Koalitionsausschusses immer wieder weit hinter der grünen Programmatik von vor der Wahl zurückgeblieben und hat die Kritik z.B. vieler Umweltverbände auf sich gezogen. Das kommt ja auch nicht von ungefähr.



        Über meine Kenntnisse der grünen Partei können sie natürlich aus der Ferne und einem Kommentar gut urteilen. Vor Ort ist mein Einsatz für „links-grüne“ Veränderungen auch von den Grünen oft genug nicht unterstützt worden. Aber immerhin drohen die einem nicht mit Gewalt oder werden tätlich wie die AgD-Leute.



        Schließlich sind die Grünen nicht daran schuld, dass die FDP eine marktradikale, populistische Klientelpartei ist, deren Politik den Bürger:innen massiv schadet und der AgD Vorschub leistet. Allerdings waren die das auch vor der Ampel schon und man hätte das wissen können.