Nachrufe über Franz Beckenbauer: Geschichten vom unschuldigen Franz
Kritische Worte über Franz Beckenbauer? Geht gar nicht, pietätlos! Dabei braucht es ein aufrichtiges Interesse an seiner Vergangenheit.
W enn Fußballspieler*innen sterben, verschwinden alle Farbaufnahmen, die von ihnen existierten, und übrig bleiben nur noch Schwarzweißfotografien. In den zugehörigen Artikeln wird nicht gespart an salbungsvollen Worten; es ist wichtig, dass die Autor*innen am Ende des Textes von sich selbst gerührt sind, ähnlich gerührt wie hoffentlich die Leser*innen, und in dieser Gemeinschaft der Gerührten finden sich Trost und Zusammengehörigkeitsgefühl.
Ein letztes Geschenk der Verstorbenen an die Hinterbliebenen, die über alle Differenzen hinweg sich einträchtig an der Hand nehmen und sich ins Knopfloch weinen, in den Ärmel schniefen. De mortuis nil nisi bene, heißt es dann, alle nicken.
Anlässlich des Todes von Franz Beckenbauer hat jetzt Christian Streich, eine Art gutes Gewissen der Fußballnation, nochmal alle abgekanzelt, die nicht in die Seufzer und Lobpreisungen einstimmen wollten.
„Der Franz“, wie der Christian ihn nennt, sei ja „alles“ gewesen, bis dann eine heuchlerische Bande den Daumen nach unten gereckt habe, nachdem er die WM 2006 nach Deutschland geholt habe. Dabei habe der Franz nur den Willen aller umgesetzt, weil ja alle die WM in Deutschland haben wollten, und es hätten ja auch alle davon profitiert, und endlich habe man sich als Deutsche*r der Welt wieder von seiner sympathischen Seite präsentieren dürfen, und außerdem hat ihm eine Visagistin gesagt, Franz Beckenbauer sei der netteste Mann bei Sky, und damit sei auch alles gesagt.
Andere Erinnerungen
Es wird Menschen, die in solchen Momenten etwas reservierter kucken, gerne vorgeworfen, ihnen gebreche es an Menschlichkeit. Dabei ist es egal, weswegen sie sparsam kucken: sei es wegen der nie abschließend aufgearbeiteten Korruptionsverdachtsmomente, sei es, weil nicht alle die WM 2006 in derart guter Erinnerung haben wie Christian Streich, sondern sie eher als Ausgangspunkt sehen für einen wiedererstarkenden Nationalismus, als der Moment, an dem viele Deutsche wieder gemerkt haben, wie sie gehen und gehen wollen (nicht so wie die Gauchos nämlich).
In die Trauer um Franz Beckenbauer mischt sich auch die Hoffnung, selbst Vergebung zu finden; zum Beispiel bei Matthias Sammer, der relativ unumwunden zugibt, dass es wahrscheinlich Korruption gegeben hat. Im Interview mit T-online sagte er: „Wir alle haben Franz Beckenbauer vorgeschickt und alle wussten, mit welchem korrupten System, welchen Anforderungen, die dieses Fifa-Konzil in sich trägt, er es am Ende zu tun haben würde.
Ich weiß nicht, wie er es am Ende geschafft hat, die WM 2006 nach Deutschland zu bringen. Ihn dann aber so zu attackieren, weil er dafür dieses System irgendwo bearbeiten musste, das ist Heuchelei. Das tut mir sehr, sehr weh. Ich finde es unwürdig und schäme mich ein Stück weit dafür, was wir, dieses ganze Land und unsere Medien ihm angetan haben.“
Das ist schon eine bemerkenswerte Erzählung: der unschuldige kleine Franz wird in eine verkommene Welt hinein ausgesetzt, und ganz auf sich allein gestellt, erreicht er doch das Unmögliche. Und statt ihn zu feiern dafür, dass er das Unmögliche geschafft hat, steht auf dem Marktplatz der Pranger, vor dem er sich den Rest seines Lebens in seiner Villa verstecken muss. Es stellt sich die Frage, welche Eigeninteressen sich hinter der Trauer über den Tod Beckenbauers notdürftig verstecken, aber auch dies wohl eine Frage, die schnell als pietätlos abgetan wird.
Möge die Trauer um Franz Beckenbauer schnell verrauchen, damit jene, die sich tatsächlich für ihn und sein Wirken interessieren, wieder die Arbeit aufnehmen können. Am 4. 3. 2024 nimmt das Landgericht Frankfurt die Verhandlungen zum Korruptionsskandal wieder auf. Dann werden die Bilder sicher auch wieder bunt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen