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Selenskis Verhältnis zum ArmeechefScharmützel zur Unzeit

Kommentar von Barbara Oertel

Armeechef Saluschnyj ist nicht der Prigoschin der Ukraine. Dennoch ist der Zwist zwischen Präsident Selenski und dem obersten Militär bedeutend.

Waleri Saluschnyj, der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee, beim ersten Jahrestag des russischen Angriffs Foto: Ukrainian Presidentia/Zuma Press/imago

E s ist müßig, darüber zu spekulieren, ob der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski wirklich im Begriff war, den Oberbefehlshaber der Armee, Waleri Saluschnyj, zu entlassen und auf einen Botschafterposten abzuschieben. Fakt jedoch ist: Das Verhältnis zwischen den beiden Männern ist schon länger nachhaltig beschädigt.

Dieser Erkenntnis konnte sich spätestens nach Saluschnyjs Interview mit dem britischen Economist im vergangenen November niemand mehr verschließen. Da redete der ranghöchste Militär der Ukraine Tacheles über die Situation auf dem Schlachtfeld, es fielen Worte wie Pattsituation und zermürbender Stellungskrieg. Das war nichts weniger als das Eingeständnis des Scheiterns einer Gegenoffensive, die ohnehin mit völlig überzogenen Erwartungen verbunden war.

Derzeit rätselt alle Welt darüber, was Selenski umtreibt. Eine Vermutung ist, der Präsident befürchte, Saluschnyj könnte ihm politisch gefährlich werden. Da ist etwas dran. Selenskis Zustimmungswerte sind ausbaufähig. Demgegenüber erfreut sich Saluschnyj ungebrochener Wertschätzung und Beliebtheit – aus nachvollziehbaren Gründen. Nicht zuletzt er ist dafür verantwortlich, dass die Hauptstadt Kyjiw in den ersten Kriegstagen nicht von russischen Truppen eingenommen wurde.

Dass Machtkämpfe in Kriegszeiten ausbrechen, ist nicht ungewöhnlich und per se ein positives Zeichen – vor allem, wenn sich der Blick nach Russland richtet. Dort lässt Präsident Wladimir Putin Probleme mit Widersachern bekanntermaßen auf seine Art lösen.

Dennoch kommen derartige Scharmützel in Kyjiw zur Unzeit. Aktuell sind hier Fragen der Mobilisierung ein bestimmendes Thema des öffentlichen Diskurses, in den sich auch Teile der Zivilgesellschaft zu Recht lautstark einschalten. Zudem stehen internationale Finanzhilfen für die Ukraine auf der Kippe, auch bei Waffenlieferungen hakt es. Will heißen: Es geht jetzt mehr denn je darum, Prioritäten zu setzen. Das gekränkte Ego des Präsidenten gehört nicht dazu.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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8 Kommentare

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  • "Scharmützel" scheint etwas untertrieben zu sein. Beide haben zb ganz unterschiedliche Sichtweisen zur militärischen Lage.

  • „Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski wirklich im Begriff war, den Oberbefehlshaber der Armee, Waleri Saluschnyj, zu entlassen und auf einen Botschafterposten abzuschieben.“



    Oder auf einen Platz im nationalen Sicherheitsrat. Oder war es nicht ein Kabinettsposten? Und dann hat der Präsident einen Rückzieher macht, weil er General Syrsky ernennen wollte (vor dem versammelten Generalstab, oder auch per Telefon), aber der hat abgelehnt, Ach ne, es war Budanow, der hat abgelehnt. Oder nein, Budanow, wollte, aber die Amerikaner haben es verboten. Und warum wollte Selensky das? Er hat überlegt: „Hm, Zaluzhny ist im Volk beliebter als ich. Ich werde ihn rausschmeißen und schon geht die Sympathie des Volkes auf mich über.“



    Wenn man 99% Desinformation abzieht, die Selensky wie einen Idioten dastehen lässt und jeden Beleg schuldig bleibt, dass Saluzhny überhaupt politische Ambitionen hat, bleibt ein Dissens zwischen Generalstabschef und Oberbefehlshaber, der völlig nachvollziehbar, und vermutlich auch nicht neu ist. Der Generalstabschef fordert, der Präsident muss organisieren und liefern (immer zu wenig), militärische Ziele müssen auf das Machbare runtergebrochen werden, der Öffentlichkeit vermitteln muss das Ganze der Oberbefehlshaber, nie der Generalstabschef etc.



    Interessant ist vor allem, wo das gestern herkam: Aus der rechten Ecke (Butusow), Gontscharenko (=Poroschenko) und von der russischen Seite.

    • @Barbara Falk:

      Es stimmt ja, was Sie posten. Wenn man ehrlich ist, haben uns die innenpolitischen Verhältnisse in der Ukraine je interessiert? Nein! (Bei Ihnen persönlich mag das vielleicht anders sein, das entzieht sich meiner Kenntnis.)



      Jetzt, in Kriegszeiten wird jeder Furz Selenskyis (Verzeihung), jede innenpolitische Auseinandersetzung - die für demokratische Gesellschaften eigentlich ganz normal sein sollten -, jeder Korruptionsskandal in der Ukraine für uns interessant. Steht die Ukraine kurz vor dem Zusammenbruch, mutiert Selenskyi gar zu einem Diktator?



      Zweifellos steht die Demokratie in der Ukraine in Kriegszeiten unter enormen Druck - nicht nur hinsichtlich der äußeren Bedrohung durch Rußland. Aber wer verfolgt mit solchen Meldungen welche Interessen? Die Frage ist doch berechtigt.



      Saluschnyi würde ich trotzdem mal im Auge behalten. Es ist keinesfalls unüblich, sogar in Demokratien - z.B. in Israel, historisch auch in den USA - , dass im Krieg verdiente Militärs später in hohe Staatsämter aufsteigen konnten.

      • @Abdurchdiemitte:

        "Aber wer verfolgt mit solchen Meldungen welche Interessen? Die Frage ist doch berechtigt."



        Ja, die ist berechtigt und interessant.



        -Butusow ist ein Militarist, steht außen vor und weiß alles besser



        -Poroshenko macht was für sich (Politik), Klitschko auch



        -westliche Journalisten glauben ihren "Insiderquellen" oder tun zumindest so, weil sie eine spannende exklusive "So-war-es-wirklich"-Geschichte erzählen wollen



        -russische "Journalisten" schreiben, was auf dem vorgegebenen Waschzettel des Tages steht



        -russische Geheimdienstler schreiben so was in ihre Tagesberichte, um sich wichtig und Putin eine Freude zu machen.



        Der letzte Punkt führt zu einer weiteren interessanten Frage, wer glaubt so was? Putin bestimmt, da bin ich sicher. Der hat sich schon im letzten Jahr nicht entblödet, öffentlich seinen eigenen Propagandisten zu erzählen, das Butusow nach einem "Raketenschlag auf Kiew" tot und Saluschnyi schwerverletzt "ins Ausland" gebracht worden sei.



        "Saluschnyi würde ich trotzdem mal im Auge behalten. Es ist keinesfalls unüblich, sogar in Demokratien - z.B. in Israel, historisch auch in den USA - , dass im Krieg verdiente Militärs später in hohe Staatsämter aufsteigen konnten."



        Da spricht ja auch nichts gegen. Aber aktuell ist er in der Machtvertikale komplett weisungsgebunden, er behält seine politischen Ambitionen, wenn er welche hat, für sich, und wenn er mitten im Krieg anfangen sollte, öffentlich oder auch nur intern solche zu zeigen, wird er fliegen (zu Recht).

        • @Barbara Falk:

          George McClellan war so ein politisch ambitionierter Soldat, der 1864 - mitten im Bürgerkrieg - als Präsidentenkandidat der Nord-Demokraten gegen Abe Lincoln antrat - und haushoch verlor. Hätte es im Vorjahr nicht die Unionssiege in Gettysburg und Vicksburg gegeben - die das Kriegsglück entscheidend zugunsten der Nordstaaten wendeten -, hätte die Geschichte durchaus auch anders ausgehen können.



          Bei seinen Soldaten, zumal den irisch-stämmigen, war McClellan als General ungemein populär - denn er schonte deren Leben, indem er den Konföderierten oft nicht konsequent nachsetzte, um Teilerfolge auf den Schlachtfeldern in sichere Siege zu verwandeln. Sehr zum Ärger seines Präsidenten, der ihm vorwarf, ein Zauderer zu sein. Und McClellans zögerliche Strategie verlängerte den blutigen Bürgerkrieg vermutlich tatsächlich unnötig. Als Politiker war er dann auch weit weniger erfolgreich.



          Aber ich will keine unpassenden Vergleiche anstellen - die USA sind schließlich nicht die Ukraine.

          • @Abdurchdiemitte:

            Der Unterschied ist halt das Saluschnyi den Druck auf die westlichen Verbündeten erhöhen will mehr zu liefern und der Ukraine zu erlauben Russland selbst anzugreifen, mehr Menschen mobilisieren will und die Wirtschaft noch mehr auf Kriegsproduktion auszurichten. Er ist also Lincoln ähnlicher als McClellan.

  • Bei einer Niederlage werden eigentlich immer Gründe und besonders Personen gesucht und dafür verantwortlich gemacht. Normales reflexartiges Verhalten.

  • Der Präsident redet nicht mit jedem, er bildet seinen Kreis des Vertrauens in Kriegszeiten sicher persönlich und äußerst akribisch, - aber auch weitsichtig?. Anstehende Wahlen und eine schleichende Zentralisierung werden auch vom Bürgermeister der Stadt Kiew öffentlichkeitswirksam adressiert, einem in Deutschland "guten alten Bekannten".



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    www.deutschlandfun...-9764f323-100.html