Gründe für Proteste gegen rechts: Sehnsucht nach Handlungsmacht
Trost, Austausch, Unzufriedenheit mit der Regierung: Eine Studie hat Menschen befragt, warum sie sich an den Demos gegen Rechtsextremismus beteiligen.
Coronapandemie, Ukrainekrieg, Inflation – angesichts der multiplen Krisen fühlten sich viele Wähler:innen ohnmächtig, heißt es in der Studie. Die Correctiv-Recherche über ein Treffen von Neonazis, an dem einige Politiker der in Teilen rechtsextremen AfD sowie einzelne Mitglieder der CDU und der rechtskonservativen Werteunion in Potsdam teilgenommen hatten, sei für viele deshalb eine Art Weckruf gewesen. In den Gesprächen gaben die Proband:innen an, dass sie durch die Demonstrationen aus einem Gefühl der Lethargie herausgerissen worden seien. So stimmten 61 Prozent der Aussage zu, dass ihnen die Demonstrationen das Gefühl geben, dass sich etwas bewegt in Deutschland.
Laut der Studie entsteht bei Menschen, die sich davor politisch heimatlos gefühlt haben, auf den Demonstrationen ein neues Wir-Gefühl. Sie fänden eine temporäre politische Heimat, da sie mit dem gemeinsamen Aufstehen gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie ein klares politisches Ziel vor Augen hätten. Dieses Zugehörigkeitsgefühl, über das eigene soziale Umfeld hinaus, werde durch Gespräche mit Gleichgesinnten auf den Protesten bestärkt und als tröstend und bestärkend wahrgenommen.
62 Prozent finden, dass die Demonstrationen den gesellschaftlichen Dialog fördern. Gleichzeitig macht sich knapp die Hälfte der Befragten Sorgen, dass sich die Gesellschaft durch die Demonstrationen weiter polarisiert. „Die Menschen wünschen sich, dass wieder mehr Räume der Begegnung geschaffen werden“, sagt auch die Psychologin und Leiterin der Studie, Birgit Langebartels.
Schlechtes Fazit für die Ampel
Insgesamt gebe es eine große Sehnsucht, dass die Demonstrationen weitergehen und dass das eigene Engagement auch Wirkung zeige, betont der Psychologe Stephan Grünewald bei der Vorstellung der Studie am Mittwoch. Viele erhofften sich eine „große und konstante Bürgerwelle, die nicht nur gegen rechtsradikale Umtriebe aufsteht, sondern gegen alles, was in der Politik schiefläuft“, heißt es außerdem in der Zusammenfassung. 29 Prozent der Befragten wollen an künftigen Demos gegen Rechtsextremismus teilnehmen.
Die Ampel-Regierung kommt insgesamt alles andere als gut weg. Fast alle vermissen „eine klare Richtung der Bundesregierung“. 70 Prozent der Befragten stimmen dem Statement zu: „Die Ampel stärkt durch Uneinigkeit die AfD.“ Dabei herrsche vor allem eine Frustration darüber, dass die regierenden Parteien so zänkisch seien, so Grünewald. Falls die Bewegung in den nächsten Wochen versanden sollte, werde sich das Gefühl der Ohnmacht wieder verstärken, warnen die Autor:innen zudem. Für die Bundesregierung sind die Demonstrationen wohl somit Mahnung und Auftrag zugleich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trump erneut gewählt
Why though?
Pro und Contra zum Ampel-Streit
Sollen wir jetzt auch wählen?
Harris-Niederlage bei den US-Wahlen
Die Lady muss warten
US-Präsidentschaftswahlen
Die neue Epoche
US-Präsidentschaftswahlen
Warum wählen sie Trump?
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala