Senatstour in Friedrichshain-Kreuzberg: Auf Safari im Görlitzer Park

Der Senat tourt am Dienstag durch Friedrichshain-Kreuzberg und besucht den Görli. Und Bizim Kiez protestiert gegen den geplanten Zaun um den Park.

​ Kai Wegner (CDU), Regierender Bürgermeister von Berlin, ruft während eines Rundgang des Berliner Senats durch den Görlitzer Park im Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg einem Demonstranten etwas entgegen.

​Kai Wegner ruft beim Rundgang durch den Görli einem Demonstranten etwas entgegen Foto: dpa/Sebastian Gollnow

BERLIN taz | Schwarz und lang steht der Reisebus auf der rechten Spur der Frankfurter Allee, dahinter drei Oberklasse-Audis mit Blaulicht und ein Polizei-Mannschaftswagen. Ein Grüppchen Frauen und Männer ist, begleitet von Polizisten, gerade durch die klassizistische Häuserfront zur Menschenkinder GmbH verschwunden, eine Kita samt Familienzentrum. Der führende Mann sieht aus wie Regierungschef Kai Wegner von der CDU – und ist es auch. Der schwarz-rote Senat hat an diesem Dienstag seine Sitzung nach Friedrichshain-Kreuzberg verlegt und tourt nun im Anschluss daran mit den örtlichen Stadträten durch den Bezirk.

Die Kita ist der der erste von vier Stopps, denen eine klassische Dramaturgie innewohnt. Der eigentliche Höhepunkt ist nämlich erst als dritter Punkt für den späteren Nachmittag vorgesehen: ein Rundgang im Görlitzer Park. Der Senat will der dortigen Drogenproblematik mit einem Zaun begegnen, die grün-geführte Bezirksregierung hält das für den falschen Ansatz.

Wie im klassischen Drama gibt es einen klaren Auftakt, dann ein paar das Tempo rausnehmende, aber die Spannung steigernde Momente bis zum großen Showdown im und am Park, wo sich später rund 200 Zaun-Gegner versammeln werden. Viele Worte sind dazu schon gefallen, aber der Senat dazu dort vor Ort, das ist ein Novum. Vor Jahren hatte mal Schlagzeilen gemacht, als dort auf Einladung der örtlichen CDU der bei seiner eigenen Partei umstrittene Boris Palmer unterwegs war, der umstrittene grüne Oberbürgermeister von Tübingen.

Wegner und Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann von den Grünen wirken nicht wie unversöhnliche Gegner, als sie gleich nach der gemeinsamen Sitzung im Bezirksamt Friedrichshain vor Journalisten auf Park und Zaun zu sprechen kommen. Die Haltungen sind gegenüber früheren Äußerungen unverändert – „da wird der Senat jetzt handeln“, sagt Wegner. Aber man scheint zu akzeptieren, dass die jeweils andere Seite die Sache anders sieht, und doch nach Gemeinsamkeiten drum herum zu suchen. Und man ist auch per Du.

Man scheint zu akzeptieren, dass die jeweils andere Seite die Sache anders sieht, und doch nach Gemeinsamkeiten drum herum zu suchen

Zentrales Argument gegen den Zaun

Was Herrmann als zentrales Argument gegen den Zaun und nächtliches Abschließen vorbringt – dass sich die Kriminalität dann in die Nachbarschaft und direkt in die Hausflure verlagere –, mag Wegner gar nicht wegreden: Es bringe nichts, die Drogenkriminalität aus dem Park zu verdrängen, wenn sie danach in den Hauseingängen lande. Er setzt darauf, dass die Polizei, weil sie künftig nicht mehr im Park patroullieren müsste, dadurch Zeit und Leute genug für den Schutz der Nachbarschaft hat.

Einig sind sich die beiden, dass es intensive präventive Maßnahmen geben soll. Und so bewegt sich die Kolonne aus Bus und Begleitfahrzeugen durch den Bezirk und macht sich von der Kita auf den Weg zu einer Bibliothek.

Was an diesem Nachmittag auffällt: Es sind nicht die sonst verbreiteten Rein-raus-Stippvisiten, bei denen dem Besuch das Pressefoto am wichtigsten ist. Der Regierende Bürgermeister und mehrere weitere Senatsmitglieder verbringen fast eine Stunde bei „Menschenkinder“, lassen sich in drei Gruppen einteilen – entscheidend dafür ist der Griff in eine Süßigkeitenschale.

Demonstranten, die gegen eine Umzäunung des Parks sind, stehen während eines Rundgang des Berliner Senats durch den Görlitzer Park im Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg im Park.

Demonstranten, die gegen eine Umzäunung des Parks sind – während der Senat durch den Görli geht Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Die Diskussion um den Zaun ist trotzdem auch auf der Weiterfahrt vorrangig. Am Vormittag hat sich im Landgericht ergeben, dass der Vorwurf einer Vergewaltigung im Park, der die Debatte intensivierte, möglicherweise deutlich anders zu betrachten ist. Darauf angesprochen, sagt Wegner: „Das spielt keine Rolle, was die Bewertung des Görlitzer Parks angeht.“ Dort habe man grundsätzlich eine angespannte Kriminalitätslage. Die Planung für den Zaun und weitere Maßnahmen sei „völlig unabhängig von diesem Fall“.

Finanzsenator hilft mit Schokoriegel aus

Über die Oberbaumbrücke führt die Fahrt im oft stockenden Verkehr entlang der Hochbahn von Friedrichshain nach Kreuzberg. Wie so oft auf solchen Touren geht es in den Sitzreihen nicht nur ums Hochpolitische. Finanzsenator Stefan Evers (CDU) etwa hilft mit einem Schokoriegel aus und witzelt über seinen anstehenden Besuch bei der SPD-Fraktionsklausur am Wochenende: „Man muss immer dorthin gehen, wo es wehtut“ – die Sozialdemokraten sind von seinen Einsparvorgaben wenig überzeugt.

Die Bibliothek als nächstes Ziel liegt unmittelbar neben der neuen Polizeiwache am Kottbusser Tor, großer Streitpunkt in der rot-grün-roten Vorgängerkoalition zwischen SPD-Innensenatorin Iris Spranger und Grünen und Linkspartei. Bürgermeisterin Herrmann lädt drinnen dazu ein, „den ganz normalen Bibliothekswahnsinn“ zu erleben, und berichtet von auslaufenden Quartiersmanagementgeldern, die unabdingbar für den sozialen Zusammenhalt seien. „Für viele, die hier wohnen, ist die Bibliothek ein zweites Wohnzimmer.“

Über die Oranienstraße rückt der Höhepunkt der Tour näher. Wird es bei den angemeldeten 50 Demonstranten gegen den Zaun bleiben? Der Bus parkt am Seiteneingang in der Görlitzer Straße, die Kundgebung hat sich Richtung U-Bahnhof versammelt.

Mehr als 200 An­woh­ne­r:in­nen und Ak­ti­vis­t:in­nen des Bündnisses „Görli Zaunfrei“ warten dort auf die Senatsmitglieder. Die kurzfristig organisierte Kundgebung fiel damit deutlich größer aus, als vom Anmelder David Kiefer, Sprecher der Initiative Wrangelkiez United, erwartet worden war. In mehreren Redebeiträgen wurden die Senatspläne massiv kritisiert.

Als gegen 16 Uhr der Bus mit den Senatsmitgliedern am Park hielt, erschallten Sprechchöre: „Der Görli bleibt auf!“ Po­li­zis­t:in­nen zogen eine Kette durch den Park, konnten aber nicht verhindern, dass sich die Menschen dem Pulk um Bürgermeister Wegner am Parkeingang entgegenstellten. Trillerpfeifen schrillen, „Haut ab“-Rufe werden laut, auch „Nazis“ hallt es Wegner entgegen, als er sich, eng umgeben von Polizisten, quer durch den Park zur Ohlauer Straße bewegt. Die Tour durch den Park ist keine 150 Meter lang

„Das ist unser Park“

Kiefer sagt: „Der schwarz-rote Law-and-Order-Populismus löst keine Probleme, sondern verschärft sie.“ Dem Senat wirft er eine „Unkenntnis der Situation“ vor. Die Probleme des Görli, von Drogenkonsum und -handel über Gewalt bis Gentrifizierung, würden von den An­woh­ne­r:in­nen gesehen; nur löse ein Zaun eben keines davon.

In einer Rede einer Mitstreiterin von Kiefer hieß es, es gehe schon lange nicht mehr um die Vergewaltigung. Frauen würden instrumentalisiert. Stattdessen würde eine Politik „rassistischer Verdrängung“ betrieben.

Auf der fünfminütigen Tour 150 Meter durch den Park mussten Po­li­zis­t:in­nen den Regierenden den Weg bahnen, begleitet von „Scheiß CDU“- und „Haut ab“-Rufen

Für Philipp Vergin von der Anwohnerinitiative Bizim Kiez zeuge die Idee der Umzäunung von „provinziellem Mindset“. Er erinnerte an die Geschichte des Parks, der erst in den 1980er Jahren nach langem Kampf der Nachbarschaft errichtet worden war: „Das ist unser Park und den lassen wir uns nicht nehmen“, so Vergin.

Die Tour endet an der Gerhart-Hauptmann-Schule. Vor dem Gebäude zieht Wegner vor Journalisten ein Fazit. „Dass hier nur 200 Leute demonstriert haben, ist auch ein Signal“, sagt er, „ich hatte deutlich mehr erwartet.“ Mit einigen von ihnen habe er auf dem Weg reden können. Das aber ist für ihn nicht mit allen möglich: „Wer hier Polizisten und demokratisch gewählte Politiker als Nazis beschimpft, disqualifiziert sich – das ist keine Gesprächsgrundlage.“

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