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Die „schwarze Null“

Eurokrise, Griechenland,Schuldenbremse: der dogmatische Sparpolitiker

Von Ulrike Herrmann

Wolfgang Schäuble war ein überzeugter Europäer. Auf seiner Homepage hieß es gleich ganz vorn: „Wenn es Europa gut geht, geht es auch Deutschland gut.“ Trotzdem war es ausgerechnet Schäuble, der Europa fast zerstört hätte – durch seine engstirnige Sparpolitik in der Eurokrise. Sie hat einen Schaden von Hunderten Milliarden Euro hinterlassen und zugleich die AfD gestärkt. Schäuble war von 2009 bis 2017 CDU-Finanzminister. Kaum hatte er sein neues Amt angetreten, fiel im Frühjahr 2010 auf, dass die drei Eurostaaten Griechenland, Portugal und Irland völlig überschuldet waren. Vor allem Griechenland war ein Problem: Die Staatsausgaben und die Importe lagen viel zu hoch, während die Steuer­moral niedrig und die Finanzstatistik zum Teil gefälscht war. Es gab keinen Zweifel, dass sich der griechische Staat reformieren musste. Aber Schäuble übertrieb es mit seiner Besserwisserei. Im Süden Europas, inklusive Frankreichs, wurde er dadurch zum Inbegriff des arroganten Deutschen.

Schäuble war Jurist und mit ökonomischen Problemen überfordert. In der Eurokrise agierte er nach dem Motto: Wer Schulden hat, ist schuld. Also war für ihn klar, dass Griechen, Portugiesen, Spanier und Italiener für ihre Kreditberge bestraft und zur Sparsamkeit gezwungen werden mussten. Doch die permanente Kürzungsorgie brachte nichts: Da die Wirtschaft in den Krisenländern einbrach, wurden die Schulden noch größer und nicht etwa kleiner.

Vor allem Griechenland erlebte einen beispiellosen Absturz, sodass am Ende etwa 25 Prozent der Erwerbsfähigen arbeitslos waren. Im Januar 2015 kam dann die linkspopulistische Syriza an die Macht, weil sie versprochen hatte, den harten Sparkurs zu beenden. Neuer Finanzminister wurde Yanis Varoufakis, der sich an keinerlei diplomatische Konventionen hielt.

Unter anderem schnitt Varoufakis heimlich Sitzungen mit, und diese Aufnahmen belegen eindeutig, dass die heutige EZB-Chefin (damals Direktorin des Internationalen Währungsfonds) Christine Lagarde und Schäuble genau wussten, dass die Sparprogramme für Griechenland ein Desaster sind. So räumte Lagarde beim ersten Treffen mit Varoufakis ein: „Sie haben recht. Die Vorgaben können nicht funktionieren. Aber Sie müssen verstehen, dass wir zu viel in dieses Programm investiert haben. Wir können es nicht aufgeben.“ Auch Schäuble sagte ganz offen, dass das Sparprogramm „schlecht“ für Griechenland sei. „Es ist nicht gut fürs Wachstum.“ Aber Schäuble hatte längst andere Pläne. Er wollte die Griechen dazu bringen, vorübergehend die Eurozone zu verlassen. „Sie müssen es nicht als einen Grexit sehen“, erklärte er Varoufakis. „Betrachten Sie es als eine Pause.“ Etwa ein Jahr lang sollten die Griechen ihre eigene Währung haben, um abzuwerten und wieder wettbewerbsfähig zu werden. „Danach kommen Sie wieder zurück.“

Schäuble stellte sich den Euro also wie die Drehtür eines Kaufhauses vor: Man tritt ein, wieder aus, und irgendwann wieder ein. Doch so funktioniert die Gemeinschaftswährung nicht. Wären die Griechen zur Drachme zurückgekehrt, und sei es für kurze Zeit, wären sie sofort zum Spielball der Finanzmärkte geworden. Die Spekulanten hätten gegen die Drachme gewettet, sodass ihr Kurs ins Bodenlose gefallen wäre. Griechenland hätte sich dringend nötige Importe wie Öl oder Medikamente nicht mehr leisten können.

Zum Glück kam es nicht zum „Grexit“, aber Schäubles Drohung reichte völlig, um europaweit Chaos zu stiften und Milliardenschäden zu hinterlassen. Sobald es nämlich denkbar wurde, dass ein Land die Eurozone verlassen könnte, begannen sich die Anleger zu fragen, ob noch andere Eurostaaten gefährdet sein könnten. Also begannen sie, ihre Papiere aus Italien, Spanien und sogar Frankreich abzustoßen, was wiederum die Zinsen für diese Länder in die Höhe trieb. Vor allem Italien war plötzlich dem Bankrott nah, obwohl es solide gewirtschaftet hatte.

Doch Schäuble blieb stur. Dabei war seine Position unlogisch: Er war gern Finanzminister eines „Exportweltmeisters“, aber ein Überschuss im Außenhandel ist nur möglich, wenn anderswo ein Defizit existiert. Deutschland lebte davon, dass andere Länder Schulden machten, aber genau diese Schulden wollte Schäuble bestrafen.

Internationale Ökonomen waren entsetzt, wie ahnungslos Schäuble in seinem Grexit-Wahn agierte. Der US-Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krugman urteilte damals: „Schäuble lebt in einem Paralleluniversum. Niemand glaubt diesen Unsinn in den internationalen Organisationen.“ Da Schäuble die Eurokrise unablässig verschärfte, drängte sich bei vielen Deutschen der Eindruck auf, dass der Euro nicht funktionierte – was Gratiswerbung für die AfD war. 2013 wurde sie als Anti-Euro-Partei gegründet und zog 2017 erstmals mit 12,6 Prozent der Stimmen in den Bundestag ein.

Die AfD profitierte zudem davon, dass Schäuble auch im Inland rigide sparte. Schäuble hatte die Schuldenbremse zwar nicht erfunden, sondern sie stand schon im Grundgesetz, als er Finanzminister wurde. Aber er glaubte hingebungsvoll an die „Schwarze Null“. Also erhöhte er den Etat auch nicht, als eine Million syrische Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Damit sendete er das fatale Signal, dass sich Deutschland die Zuwanderer nicht leisten kann. Gratis lieferte er die Scheinargumente, mit denen Rechtspopulisten dann Ängste schüren konnten.

Schäuble war beliebt bei den Deutschen, aber er hat dem Land und Europa schwer geschadet. Dabei hätte die SPD die Macht gehabt, seine zweite Amtszeit zu verhindern. 2013 kam es zu einer Großen Koalition, und SPD-Chef Sigmar Gabriel hätte das Finanzministerium beanspruchen können. Aber er traute sich das Amt nicht zu. Und so konnte Schäuble als „schwarze Null“ noch vier weitere Jahre agieren.

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