Marschlande-Krimi „Schwarzacker“: Das sanfte Grauen des Winters

Die Vier- und Marschlande bei Hamburg sind so idyllisch wie verwunschen. Nora Luttmers neuer Krimi „Schwarzacker“ macht sich das zunutze.

Ein Paar auf einem schneebedeckten Weg in Ochsenwerder

Ort winterlichen Grauens in „Schwarzacker“: Ochsenwerder Foto: Christian Charisius / dpa

OCHSENWERDER taz | Hamburgs Vier- und Marschlande, an der Dove-Elbe und unweit des einstigen KZ Neuengamme gelegen, sind ein passender Ort auch für ein kriminelles Romangeschehen. Viel hat diese Landschaft erlebt, viel liegt auch in Nora Luttmers jüngstem Krimi „Schwarzacker“ unter Eis und Schnee bei Ochsenwerder verborgen. Ganz am Rande werden auch die Verbrennungen von Hexen im 16. Jahrhundert erwähnt. Von deren Asche soll der Schwarzacker-Hof seinen Namen haben.

Jetzt lodert es dort wieder: Der ganze Hof brennt ab, und mit ihm der Vater der Protagonistin Martha. Er wollte sein fruchtbares Stück Land für gutes Geld verkaufen, was offenbar nicht jedem gefiel. Aber wem? Entsetzen und Rätselraten im Dorfe, und dann taucht in den Trümmern eine zweite Tote auf, sorgsam in einer Kühlkammer unter der Terrasse verwahrt.

Klug verzwirbelt die Autorin des atmosphärisch dichten Romans die Zeit- und Handlungsfäden um tote Großväter und vor Jahren verschwundene Mütter, denen seinerzeit, bizarr, niemand nachspürte. Und wie im richtigen Leben driften Schein und Sein auseinander, entpuppt sich demonstrative Sanftheit als zweifelhafter Charakterzug, unter dem Wahnsinn und Mordlust liegen können.

Ermittlerin mit Schlafattacken

Halboffizielle Ermittlerin ist, wie in Luttmers Vorgängerkrimis, die wegen Narkolepsie vorzeitig aus Hamburgs Polizeidienst geschiedene Kommissarin Bette Hansen. Inzwischen zog sie in die Marschlande und ist nach anfänglichem Fremdeln mit Marotten und Sturheiten der „Einheimischen“ vertraut. Nebenbei erfährt man – und das ist nicht mitleidheischend gemeint – wie sich die Schlafattacken der Narkolepsie vermeiden lassen: indem man einen strikten Rhythmus einhält und alle 3,5 Stunden eine halbe Stunde schläft.

Dafür muss man diszipliniert die Uhr im Blick behalten, und inzwischen hat Bette es akzeptiert, jongliert die Krankheit gut. Und so, wie die Erde und das tauende Eis ihre Toten freigeben, so werden auch Marthas Albträume klarer, nähern sich der Realität, offenbaren sie aber nicht ganz.

Nora Luttmer: Schwarzacker. Rowohlt-Verlag 2023, 391 S.,

14 Euro, E-Book 9,99 Euro

Zu gut war das Trauma verdrängt. Wie ihre Mutter wirklich starb und dass die kleine Martha damals keineswegs schnöde im Stich ließ, wie all die Jahre vermutet: Das erzählt schließlich widerstrebend ihr Onkel. Zutage tritt ein antiken Tragödien ähnliches, fast archaisches Unglück – eine weitere Wunde in dieser auch durch Sturmfluten geschundenen Landschaft.

Ob diese Wahrheit, nach der Martha so gierte, wirklich hätte hervorgezerrt werden müssen, steht dahin, denn besser fühlen sich die Beteiligten jetzt nicht. Auch ob Martha es im Dorf erzählen wird, bleibt offen in dieser packenden, von einem latenten Grauen durchzogenen Wintergeschichte.

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