Kriminalroman „Poison Artist“: Die schöne Absinthtrinkerin

Der Kriminalroman „Poison Artist“ spielt in einem fremd wirkenden San Francisco. Er schwankt zwischen Psychothriller und Horrorstory.

Die Golden Gate Bridge im Nebel

Zeitloses San Francisco Foto: picture alliance / dpa

Auf dem Genrestrahl irgendwo zwischen Psychothriller und Horrorstory ist dieser thematisch originelle Roman angesiedelt. Ein ausnehmend böser Serienkiller zieht seine Kreise; aber wenn die Handlung sich auch hauptsächlich auf diese Mordserie bezieht, so ist sie doch vor allem Hintergrundrauschen, und die Polizisten, die mitspielen dürfen, gehen nur als kleine Nebendarsteller in die Atmosphäre ein. „Atmosphäre“ dürfte das ausschlaggebende Stichwort sein.

Es ist die Atmosphäre von San Francisco, die diesen Roman durchtränkt – eines San Francisco allerdings, das zwar in der Gegenwart spielt, doch wie aus unserer Zeit in eine andere gefallen scheint. Der Nebel, der üppig durch die Straßen zieht, dürfte immerhin zeitlos sein. Aber sonst?

Schattengleiche Gestalten unter Gaslaternen, altmodische Limousinen, deren Scheinwerfer Kreise in die Schwärze der Nacht malen, und schummrige Bars, in denen Caleb Morris, der Protagonist des Romans, sich nächtens das letzte bisschen klaren Verstand wegsäuft, malen eine Kulisse in Stummfilmoptik, ergänzt durch Beschreibungen von allerlei Art-déco-Interieurs.

Diese historisierende Anmutung ist natürlich kein Zufall, und sie passt zu der geheimnisvollen, in fließende schwarze Seide spärlich gekleideten Frau, die Caleb Morris eines Nachts in einer Bar trifft, just nachdem seine Freundin ihm im Zorn ein Whiskeyglas an den Kopf geworfen und ihn empfindlich verletzt hat. Fast unmittelbar ist Caleb der schönen Barbekanntschaft, die ihn lehrt, Absinth auf französische Art zu trinken, bedingungslos ergeben.

Ein Getränk mit mythischer Wirkung

Nun ist Absinth ein Getränk, dem allerlei mythische Wirkungen nachgesagt werden, und da Caleb zusätzlich seinen Rauschpegel auch durch anderes Zeug konstant weit oben hält, liegt bald der Schluss nahe, dass etwas ganz grundsätzlich nicht stimmt mit diesem Protagonisten.

Das ist nicht wenig besorgniserregend, denn Caleb ist beruflich an verantwortungsvoller Stelle tätig: Er ist Chemiker, befasst mit einer wichtigen Studie über das menschliche Schmerzempfinden und die Auswirkungen verschiedener Substanzen auf das Nervensystem.

Jonathan Moore: „Poison Artist“. Aus dem Englischen von Stefan Lux. Suhrkamp, Berlin 2022. 349 Seiten, 16,95 Euro

Viele hochgefährliche Stoffe lagern im Kühlschrank seines Instituts. Als Freundschaftsdienst analysiert Caleb Gewebeproben, die sein Freund Henry, ein Gerichtsmediziner, von den Opfern der aktuellen Mordserie entnommen hat. Dabei entdeckt er eine auffällige Gemeinsamkeit: Allen Toten wurden vor ihrem Ableben Substanzen verabreicht, die dafür sorgten, dass sie maximale Schmerzen durchlitten.

Da dies eben kein Serienkiller-Thriller ist, wird dieser Punkt zum Glück nicht weiter ausgeführt. „Poison Artist“ ist nicht (sehr) interessiert an Gewaltpornografie, sondern kreist ganz und gar um die Hauptfigur und deren Unvermögen, sich einen Reim auf die mörderischen Geschehnisse zu machen.

Die Spannung hält lange

Auf seltsame Weise scheinen diese mit der schönen Emmeline, der verführerischen Absinthtrinkerin, zusammenzuhängen, mit der Caleb eine leidenschaftliche Affäre eingeht. Wie kommt es, dass Emmeline oft dort zu sein scheint, wo Morde begangen wurden? Warum hat sie Phiolen mit hochgiftigem Thujol im Badezimmer? Ist auch Caleb in Gefahr?

Obwohl man relativ bald zu ahnen beginnt, worin das eigentliche Problem besteht, hält die Spannung lange, da die endgültige Erklärung auf sich warten lässt. Die „Auflösung“ beziehungsweise Katastrophe am Ende erscheint zwar recht konstruiert, vielleicht sogar etwas billig, aber das ist eigentlich nicht schlimm, denn um Plausibilität geht es gar nicht.

Einen Schauerroman misst man schließlich nicht am Realismusfaktor, sondern an, genau, seiner Atmosphäre. Und davon gibt es hier, wie gesagt, jede Menge.

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