Iranischer Regimegegner über Folter: „Einen kleinen Schlitz in der Wand“

Als 2022 in Iran die Proteste begannen, war der Aktivist Kayvan Samadi vorn dabei. Dann wurde er in einem Foltergefängnis festgehalten. Ein Gespräch.

Kayvan Samadi hält ein Schild vor sich.

Saß drei Wochen in iranischem Foltergefängnis: Kayvan Samadi Foto: privat

taz: Vor Ihrer Flucht nach Deutschland waren Sie aufgrund Ihres Aktivismus in Iran sechs Mal inhaftiert, zuletzt in einem „Geheimgefängnis“. Was hat es damit auf sich?

24, ist ein kurdisch-­iranischer Aktivist. Er ist Teil der kurdischen Menschen­rechtsorgani­sation und Nachrichtenagentur Kurdpa und hat während der Proteste 2022 die Organisa­tion Rote Sonne gegründet, die verletzte Protestierende medizinisch behandelt. Nach seiner Freilassung aus iranischer Haft floh er im Frühjahr 2023 nach Deutschland und beantragte Asyl.

Kayvan Samadi: Geheimgefängnisse sind im System nicht offiziell registriert. Sie sind nicht ausgeschildert, niemand weiß von ihrer Existenz. Sie können sich zum Beispiel in einem Lagerhaus oder in einer Fabrik befinden. Am Ende einer Straße, hinter einer Schule, befand sich mein Haftzentrum. Ich konnte den Standort im Nachhinein ausfindig machen.

Was passierte nach Ihrer Festnahme?

Das Regime hat zwei Dinge getan, um mich zum Schweigen zu bringen. Zuerst haben sie mich schwer gefoltert, mich mental unter Druck gesetzt. Dann haben sie eine Kaution von mir verlangt. Sie dachten, weil ich nicht wollen würde, dass mein Eigentum, welches ich als Kaution hinterlegt habe, verloren geht, und weil ich gefoltert wurde, würde ich schweigen und nicht mehr aktiv sein. Deswegen haben sie mich nach 21 Tagen vorübergehend freigelassen.

Unterscheidet sich Folter in Geheimgefängnissen von der in regulären Gefängnissen?

In meinen früheren Gefangenschaften wurde ich nicht viel physisch gefoltert. Damals waren nicht viele so aktiv, und es war leicht für sie, mich zu kontrollieren. Sie misshandelten mich damals hauptsächlich durch psychischen Druck. Sie drohten mir, schrien oder beleidigten mich. Aber in diesem Geheimgefängnis haben sie mich so gefoltert, wie sie es wollten. Warum? Weil du nicht mal weißt, wen du nach deiner Freilassung für die Folter zur Rechenschaft ziehen kannst. Bis zu dem Tag, an dem sie mir das Geständnisformular hingelegt hatten, wusste ich nicht mal, mit welchem Organ [Revolutionsgarde, Geheimdienstministerium oder Polizei; Anm. d. Red.] ich es zu tun hatte. Außerdem wusste ich nicht, wo ich war. Ich habe es später herausgefunden, basierend auf den Geräuschen, die ich hörte, und den Dingen, die einige der anderen Gefangenen mir erzählt haben. Bei der Verhaftung stecken sie deinen Kopf in einen Sack oder drücken im Auto deinen Kopf runter, und du hast keine Ahnung, wohin sie dich bringen. Später sagen sie dann einfach: „Das waren nicht wir. Das waren vielleicht Entführer oder Geiselnehmer.“

Ihre Familie wusste auch nicht, wo Sie waren?

Nach ein paar Tagen durfte ich meine Familie anrufen und habe ihnen gesagt, dass ich am Leben, unversehrt und inhaftiert bin. Das war alles, was ich sagen durfte. Sie haben mich gewarnt, dass sie mich sonst verprügeln würden. Es saß jemand neben mir und hat aufgepasst. Meine Familie hat sich bemüht, mich zu finden, ist zur Polizeiwache und den Gefängnissen gegangen. Alle sagten: Wir haben ihn nicht, probiert es woanders. Selbst der Anwalt konnte mich nicht finden. Das wird vielen angetan. Gefangene bekommen oft nicht einmal das Recht anzurufen. Dies ist eine Form der Folter für die Familien.

Warum wird den Familien das angetan?

Das ist eine Präventivmaßnahme für die Zukunft. Die Familien sollen dich nach deiner Freilassung davon abhalten, aktiv zu sein, aufgrund der Qualen, die sie während deiner Gefangenschaft erlitten haben. Eine weitere Folter ist die Unwissenheit, die du als Gefangener über deine Familie hast. Du fragst dich, was deiner Familie passiert ist. Wie geht es meiner Mutter? Was ist mit meinem Bruder passiert? Nicht dass sie meinen Vater meinetwegen verhaften! Es soll die Gefangenen brechen. Viele Menschen sind sehr eng mit ihren Familien verbunden, und es ist für sie unerträglich, mehr als einen Tag lang keinen Kontakt zu ihnen zu haben. Zum Beispiel 14- oder 15-Jährige, die im letzten Jahr bei den Protesten sehr aktiv waren und verstärkt verhaftet wurden. Oder jemand, der ein Kind hat. Mit dieser Methode werden diese Personen gebrochen. Sie setzen das Telefon wie eine Belohnung ein. Wenn du ein falsches Geständnis ablegst, darfst du mit deiner Familie sprechen. Aber wenn du gestehst, stirbst du doch! Es sind teilweise harte Anschuldigungen, die sie dir vorlegen. Wenn du sie akzeptierst wegen eines Anrufs, ist das vielleicht der letzte Anruf deines Lebens. Dieses System funktioniert vor allem in Einzelhaft gut.

Waren Sie in Einzelhaft?

Ja. Geheimgefängnisse sind normalerweise Einzelhaft. Das ist eine Art Folter für sich. Du bist in einer kleinen und sehr kalten Umgebung. In meiner Zelle gab es eine sehr schmutzige Lampe, die anderen Zellen hatten überhaupt kein Licht. Es gab nur einen kleinen Schlitz in der Wand, wodurch etwas Licht kam. Und ehe du dich an diese Umgebung gewöhnt hast, wechseln sie deine Zelle.

Wieso?

Selbst in der schlimmsten Unterkunft gewöhnt man sich nach zwei, drei Tagen an die Bedingungen. In Gefangenschaft passiert das schneller. Und dann kommen sie und ändern die Zelle schnell, ehe du dich zu sehr daran gewöhnst.

Neben solchen Geheimgefängnissen gibt es in Iran auch Safehouses. Was hat es damit auf sich?

Safehouses funktionieren ähnlich wie Geheimgefängnisse. Dort halten sie Personen für einige Tage fest und führen Verhöre durch. Wenn sie etwas finden, das eine Überführung ins Gefängnis rechtfertigt, wird die Person überstellt, andernfalls lassen sie sie frei. Ein Safehouse kann sich in normalen Wohngebieten befinden und wie ein gewöhnliches Haus aussehen. Wir konnten anhand von Berichten aus den Nachbarschaften herausfinden, wo sich einige Safehouses befinden. Man berichtete uns von Schreien, Weinen und seltsamem Kommen und Gehen. Das haben wir dann überprüft, das Haus beobachtet und gesehen, dass es Revolutionsgardisten sind, die dort ein und aus gehen. So konnten wir feststellen, dass an dem Ort ein Safehouse sein muss.

Hat die Anzahl solcher Geheimgefängnisse und Safehouses zugenommen?

Die Anzahl hat während der Revolution [gemeint ist die „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung von 2022; Anm. d Red.] ­zugenommen, weil es nicht genug Platz für Gefangene gab. Sie haben viele Menschen, teils Hunderte, auf einmal auf der Straße festgenommen, daher wurden verstärkt Lager­häuser, alte Fabriken und dergleichen als Haftanstalt verwendet. Geheimgefängnisse gibt es ausnahmslos überall. Die Anzahl variiert aber. Dort, wo mehr los war, brauchte es mehr ­Geheimgefängnisse. Aber Safehouses sind hauptsächlich in Kurdistan und auch in Belutschistan [marginalisierte Provinzen in Iran; Anm. d. Red.] vorhanden.

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