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Lachtrainerin Carmen GoglinDie an der Lachkurbel dreht

Carmen Goglins Videos haben Kultstatus. Sogar Personalabteilungen bringt sie zum Wiehern. Zuvor aber musste sie das Weinen lernen.

Kuckuck! Mit Lachyogavideos wie „Lachen rund um den Baum“ wurde Carmen Goglin zur YouTube-Berühmtheit Foto: Carmen Goglin

Zuallererst soll es hier um Tränen gehen. Nicht um Lachtränen, sondern um das Original. Denn mit einem Gefühlsstau hat für Carmen Goglin alles angefangen. Dass ihr das Weinen mal genauso leicht fallen würde wie das Lachen, hätte sie lange nicht für möglich gehalten. Viele Jahre habe es gebraucht, bis ihr klar geworden sei, dass sie die Tränen einfach fließen lassen könne. Sich gegen den Drang zu wehren, loszuheulen, ließe das Gesicht anschwellen und die Schläfe pochen. Ein unbequemer Zustand, viel unbequemer, als hier und da mal ein bisschen zu schluchzen. Heute findet Goglin: „Jedes Gefühl ist wichtig, jedes Gefühl darf da sein und sich ausbreiten.“ Mittlerweile könne sie der Verlockung widerstehen, einfach anzulachen gegen Emotionen, die ihren rechtmäßigen Platz beanspruchten. Und das ist wirklich eine Leistung, denn Lachen ist Carmen Goglins leichteste Übung.

Die 57-Jährige ist Lachyoga-Trainerin und damit enorm erfolgreich. Wohin man auch zappt oder scrollt, Carmen Goglin lacht: mit Jan Böhmermann im „ZDF Magazin Royale“, mit Klaas Heufer-Umlauf bei „Late Night Berlin“, im SAT.1-Frühstücksfernsehen, auf dem Sofa der Youtube-Sendung „World Wide Wohnzimmer“, in der RTL-Spielshow „Fünf gegen Jauch“ und jeden Tag zusammen mit ihren 145.000 Fol­lo­wer:­in­nen auf Instagram. Sie lacht auch analog: auf Weihnachtsfeiern, Junggesell:innenabschieden, Teambuilding-Events, in Selbsthilfegruppen. Als Lachtrainerin gibt sie TED Talks, hat ihre Memoiren geschrieben und eine Lachschule im schwäbischen Reutlingen gegründet.

Seit im November 2020 einige ihrer Lachyoga-Übungsvideos viral gingen, ist Carmen Goglin von heute auf morgen sehr sichtbar geworden. Zwar eher unfreiwillig und ganz bestimmt nicht in ihrem Tempo, aber inzwischen hält sie mit der eigenen Popularität Schritt. Und lässt sich ein auf alle möglichen Anfragen – auch wenn sie oft erst gründlich recherchieren müsse, um herauszufinden, was von dieser Influencerin oder jenem Twitch-Streamer zu halten sei, der neuerdings mit ihr kollaborieren wolle.

Während sie das erzählt, sitzt Carmen Goglin auf einem Schreibtischstuhl, der sehr ergonomisch aussieht und den Stadtwerken Stuttgart gehört. Dort hat sie aktuell ein Büro. Allerdings nicht, um gute Laune zu verbreiten, sondern als Interimsmanagerin in der Personalabteilung. Zeitlich befristet hilft Goglin Unternehmen bei Lohn- und Gehaltsabrechnungen. Aktuell hat sie keine Pläne, das aufzugeben und vom Lachen allein zu leben. Stattdessen genießt sie den Kontrast. Seit 16 Jahren macht sie diesen Bürojob, ist dafür schon in ganz Deutschland im Einsatz gewesen und generell sehr gefragt. Das sei nicht immer so gewesen, erzählt sie. Gerade der Beginn ihrer Selbstständigkeit habe ihr einiges abverlangt. Sie gestand sich kaum Pausen ein, wollte alles perfekt erledigen. Irgendwann fiel es ihr immer schwerer, Antrieb zu finden, sie erkannte sich in ihrer Lethargie kaum wieder.

Zum ersten Workshop nimmt sie ihre Tochter mit, die der Mutter zwischendurch zuraunt: Sind die hier alle bescheuert? Doch Carmen Goglin spürt beim gemeinsamen Lachen, wenn auch nur kurz, wieder so etwas wie Glück

„Mich nicht mehr auf mich selbst verlassen zu können, hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen“, so beschreibt sie es heute. Goglin wuchs in der Nähe von Meißen auf, ist also DDR-sozialisiert. Ihr Gemütszustand widerspricht den Glaubenssätzen, mit denen sie groß wurde: „Immer funktionieren, immer nützlich sein, bloß niemandem zur Last fallen.“ Auch wenn die Wende damals, Ende der nuller Jahre, schon einige Jahre zurückgelegen habe und sie längst in Reutlingen lebte, präge einen das ja. Ein Arzt diagnostiziert Depressionen, sie nimmt Medikamente und macht eine Therapie. Doch so richtig besser wird es nicht.

Also sucht sie weiter. Probiert autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Klopfakupressur und entdeckt irgendwann – „wie eine kleine Insel!“ – Lachyoga. Zum ersten Workshop nimmt sie ihre Tochter mit, die der Mutter zwischendurch zuraunt: „Sind die hier alle bescheuert?“ Doch Carmen Goglin spürt beim gemeinsamen Lachen, wenn auch nur kurz, wieder so etwas wie Glück. Beim Lachen werden Endorphine ausgeschüttet, und dafür ist es erst mal nicht so wichtig, ob man lacht, weil etwas lustig ist oder weil eine Übung das so vorgibt.

Im besten Fall funktioniert das „Fake it till you make it“-Prinzip: Das künstliche Lachen geht irgendwann in echtes, herzhaftes Lachen über. Man lacht sich in einen kleinen Rausch hinein. Das reduziert Stress und stärkt das Immunsystem. Was es nicht kann: Depressionen heilen. Und, eben auch wichtig: Angst, Trauer, Zorn müssen manchmal sein. Ihr habe Lachyoga aber eine Form der Selbstwirksamkeit wiedergegeben, sagt Carmen Goglin. „Lachen gilt als etwas Passives. Menschen warten drauf, dass lustige Dinge passieren oder jemand kommt, der sie zum Lachen bringt.“ Lach­yoga habe ihr gezeigt, dass eine Ressource in ihr schlummere, die sie nur zu aktivieren brauche.

„Schönste Konstante in meinem Leben“, schreiben ihre Fans

Das erste Mal seit Langem habe sie sich wieder richtig für etwas begeistern können. Und wenn Carmen Goglin von etwas begeistert ist, dann sollen das alle wissen. Also gründet sie ihren eigenen Lachtreff, lässt sich vom indischen „Guru des Kicherns“, Madan Kataria, in Österreich zur Lachyoga-Trainerin ausbilden, filmt Übungsvideos und lädt sie bei Youtube hoch. Sie heißen Lachkurbel (Goglin dreht an einer imaginären Kurbel neben ihrem Kopf und lacht immer lauter, je schneller sie kurbelt), Gorillalachen (sie klopft sich auf die Brust und lacht bei jedem Klopfen), oder Lachen rund um den Baum (Goglin steht im Wald, lugt abwechselnd links und rechts neben einem Baumstamm hervor und lacht dabei) und gelten heute bereits als Internetklassiker. Goglin strahlt darin eine solche Ungeniertheit und Nonchalance aus, dass man nicht anders kann, als aus ganzem Herzen mitzulachen oder zumindest mal anerkennend mit den Mundwinkeln zu zucken.

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So oder so ähnlich wird es auch dem Deutschrapper Finch gegangen sein, als er im November 2020 beschließt, das „Lachen rund um den Baum“ zu parodieren. Carmen Goglin kann sich erst überhaupt nicht erklären, woher die Abertausenden von Klicks plötzlich kommen, doch als sie dann auf Finchs Video stößt, wird ihr heiß und kalt vor Scham. „Die Frau gehört weggesperrt“, liest sie in der Kommentarspalte. Sie fühlt sich furchtbar bloßgestellt und missverstanden. „Auf eine Weise hat es mich in meine Kindheit zurückgeworfen“, erzählt sie. Die älteren Halbbrüder hätten sie häufig verspottet, Goglin habe meist mit Tränen reagiert und „das führte dann zu noch mehr Spott“. Als junges Mädchen erlegt sie sich selbst ein Weinverbot auf, bloß nie wieder Schwäche zeigen, sich nicht angreifbar machen. Einer der Gründe für den „Gefühlsstau“, von dem sie glaubt, dass er viele Jahre später ihre Depression auslöste.

Im Zuge des Parodie-Shitstorms muss sie lernen, dass sie keine Kon­trol­le darüber hat, wie andere sie wahrnehmen. Dass diese plötzliche Sichtbarkeit zwar Schmerz mit sich bringt, aber auch eine Chance. Nicht nur Hater kapern ihre Social-Media-Profile, sondern auch Menschen, die mit ihren Übungen etwas anfangen können. Sie sträubt sich gegen den Impuls, einfach aufzuhören, und veröffentlicht nur Tage später das „Bürostuhl-Schaukel-Lachen“, das „Sich-ins-Fäustchen-Lachen“ und ihren alljährlichen Lachadventskalender.

Sie bekommt erste Medienanfragen, wird auf der Straße erkannt und bemerkt, dass die Teil­neh­me­r:in­nen ihrer mittlerweile auf Zoom stattfindenden Lachtreffs nicht nur mehr, sondern auch jünger werden. Unter ihren Instagram-Posts häufen sich heute Nachrichten wie „Schönste Konstante in meinem Leben“, „Purer Segen“, „Meine Begleiterin in schweren Zeiten.“ Wenn alles nichts helfe, gebe es ja immer noch Carmen Goglin, schließt kürzlich Miriam Davoudvandi, Host des Mental-Health-Podcasts „Danke, gut“, ihren Talk mit Bill Kaulitz. Der schreit auf: „Die ist so toll, ich liebe sie einfach“, und dann steigen Davoudvandi und Kaulitz gemeinsam aufs Lachmotorrad.

Im Grunde ziehe sich das durch ihr Leben, „dieser Wunsch, Menschen in Selbstverantwortung zu bringen“. Goglin tat das als Lehrerin in der DDR, als Selbstständige, wenn sie beim Umbau von Personalabteilungen hilft, und eben als Lachyoga-Trainerin. Mittlerweile, so erzählt sie, fragten sie Unternehmen sogar für beides an, Lachen und Lohnbuchhaltung. Sozusagen als Interimsmanagerin für die Seele? Carmen Goglin lacht.

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8 Kommentare

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  • Was in der einschlägigen Berichterstattung m.E. zuwenig thematisiert wird: Lachen muss keineswegs per se mit positiven Emotionen zu tun haben. Ich lache z.B. häufig, wenn ich mich über etwas oder jemanden ärgere, das ist dann natürlich kein herzliches, sondern eher hämisches, geringschätziges oder verächtliches Lachen. Ob dabei in gleichem Maße Endorphine freigesetzt werden, weiß ich nicht. Und auch gemeinsam mit anderen zu lachen, spricht nicht immer für gute Stimmung.. schließlich kann auch jemand ausgelacht werden. Geletophobiker*innen dürften jedenfalls mit Lachyoga nicht allzuviel anfangen können. 😉

    • @Rein subjektiv betrachtet:

      In der Tat: Vor einigen Jahren machte die Begegnung des Amerikanischen Präsidenten mit dem Ministerpräsidenten Japans Schlagzeilen, weil trotz des bereits berühmt-berüchtigten sehr kraftvollen Händedrucks Trumps sein Gegenüber eher lächelte, was hier nicht als Äußerung von Wohlwollen zu deuten war.



      /



      "Lächeln ist (...) in diesem fernöstlichen Wertekodex nicht nur auf unsere Vorstellung eines direkten und vor allem ehrlichen Gefühlsausdrucks beschränkt. Vielmehr ist Lächeln gerade auch in heiklen oder emotional belastenden Situationen geboten, um zu zeigen, dass man sich unter Kontrolle hat.



      Lächeln ist somit eine zwingend einzuhaltende Höflichkeitsregel für den Umgang miteinander, ganz unabhängig von der eigenen Gefühlslage. Das heißt, es sollte aus japanischer Sicht auch bei Gefühlen wie Verärgerung, Trauer, Scham/Verunsicherung oder beim Überbringen schlechter Nachrichten gelächelt werden, um die Lage unter Kontrolle zu halten."



      Quelle japanconsultingoffice.de

    • @Rein subjektiv betrachtet:

      GelOtophobie heißt es natürlich, sorry.

  • 9G
    94799 (Profil gelöscht)

    Das passt ja "wie Faust auf Auge" bei der Mehrzahl der TV-Comedys, egal ob privat oder ÖR, bei denen die Studiozuschauer auf Kommando lachen und abrupt wieder stoppen, obwohl idR nichts Lustiges passiert ist. Mann oder Frau auf der Bühne tut nur so als ob etwas Lustigen geschah und alle lachen los - früher hat man Lachen vom Band dazu eingespielt, war irgendwie ehrlicher. Heute will jeder zu irgendwas gehören - im Fall Comedys eben zu den Lachenden - echte Gefühle, nein Danke!

  • Die Videos haben etwas leicht "irres" an sich, aber das ist schon ok. Ich mag Cannibal Corpse. Die haben garatiert auch für manche ne Schraube locker.

    • @Jungle Warrior:

      Siehste wohl, und bei mir sorgt z.B. grade der in diesem Genre häufig praktizierte Death-Growl-Gesang in der Regel für (bisweilen leicht irritiertes) Amüsement, was höchstwahrscheinlich nicht so ganz der Intention der Hervorbringenden entspricht.. will sagen: welche Reaktion auf ein bestimmtes Verhalten beim Gegenüber ausgelöst wird, ist nur sehr eingeschränkt vorausseh- und kontrollierbar, womit wieder der Bogen zum Lachyoga geschlagen ist.. 😉

      • @Rein subjektiv betrachtet:

        Haha. Absolut. Für mehr Carmens und Cannibal Corpse in der Welt. 🤘😁

  • Die Problematik des Lachens und die Analytik der Motivation eines Verbrechens sind das, was Umberto Eco in "Der Name der Rose" meisterlich in einem Roman verbinden konnte. Auch der gleichnamige Film ist vielen im Gedächtnis, wegen großartiger schauspielerischer Leistungen.



    Zum gotteslästerlichen Lachen steht bei diepresse.com



    "Das Problem: Jorge kann es nicht ertragen, dass ein großer Philosoph wie Aristoteles am Lachen etwas Positives findet, er hält den Band für gefährlich – und zur Untermauerung seiner Ansichten zitiert er den heiligen Benedikt: „Leichtfertige Späße aber und albernes oder zum Lachen reizendes Geschwätz verdammen wir allzeit und überall, und keinem Jünger erlauben wir, zu derlei Reden den Mund zu öffnen.“



    /



    "Sein Vergehen besteht aber darin, dass der blinde Bibliothekar der Benediktinerabtei vor allem anderen das Lachen hasst und den Blicken der Mönche Aristoteles’ verschollenen Text über die Komödie und das Lächerliche entziehen will."



    taz.de/Der-blinde-...nos-Aires/!740593/



    Die Leichtigkeit des Lachens, die des Scherze-machens, die Lockerheit im Mienenspiel, sie kostet nicht wirklich viel. Wenn du dein Lächeln stets entfernst, durch's Leben gehst meist streng und ernst, magst weder Busch noch Loriot, für's Herz ist's Zetermordio.