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Bundesparteitag der SPD„Eine durchaus positive Stimmung“

Otto Ellerbrock ist 15, Axel Schäfer 71. Beide sind Sozis und hadern mit der Ampel. Wie sie den Kanzler sehen und was sie sich von der SPD wünschen.

Jüngster und ältester auf dem SPD-Parteitag in Berlin: Otto Ellerbrock (links) und Axel Schäfer Foto: Anna Lehmann
Anna Lehmann
Daniel Bax
Interview von Anna Lehmann und Daniel Bax

taz: Herr Ellerbrock, wie haben Sie Ihren ersten Parteitag erlebt?

Otto Ellerbrock: Wir stellen den Bundeskanzler, aber leben in extrem schwierigen Zeiten. Die Erfolge der Regierung werden überschattet von zahlreichen Krisen. Aber hier herrscht eine durchaus positive Stimmung.

Herr Schäfer, Ihr erster Parteitag war 1977, vor fast 50 Jahren. Auch damals stellte die SPD schon den Kanzler. Sehen Sie Parallelen?

Axel Schäfer: Ja, damals war Helmut Schmidt Kanzler und Willy Brandt Parteivorsitzender. Heute haben wir mehr Krisen, aber damals war es auch nicht einfach. Wir hatten damals nach Stammheim, nach Terrorismus, nach Flugzeugentführungen den deutschen Herbst. Und wir waren ein geteiltes Land.

Im Interview: Ellebrock/Schäfer

Otto Ellerbrock, 15, Schüler, trat 2022 in die SPD ein.

Axel Schäfer, 71, Bundestagsabgeordneter, trat 1969 in die SPD ein

Dafür hatte die SPD damals über 40 Prozent, jetzt steht sie in Umfragen bei 14 Prozent. Wie ernst ist die Lage?

Ellerbrock: Die Lage ist sehr ernst. Die Umfragen sind ein Signal der Bürgerinnen und Bürger an die regierenden Parteien, dass sie durch die ganzen Krisen verunsichert sind und dass sie Antworten erwarten.

Schäfer: Wir haben einen ganz großen Vorteil: Wir sind geschlossen wie selten. Die Frage ist nur, ob wir auch immer so entschlossen sind, wie es notwendig wäre. Problematisch sind die Streitigkeiten in der Koalition. Das bleibt auch an uns hängen.

Wie zufrieden sind sie denn mit dem Kanzler?

Ellerbrock: Die Rede von Olaf hat gezeigt, dass er nicht nur mit kühlem Kopf regiert, sondern auch mit heißem Herzen sprechen kann. Das hat mir gut gefallen und ich habe mich abgeholt gefühlt. Ich bin mit Olaf Scholz sehr zufrieden. Ich finde, dass er die Koalition gut zusammenhält und einen wirklich guten Job macht. Aber ich möchte nicht in seiner Haut stecken.

Was macht die SPD denn falsch, dass sie jetzt bei 14 Prozent liegt?

Schäfer: Wir haben das schon einmal am Ende der Großen Koalition erlebt: Da lagen wir auf dem gleichen Niveau, sind dann aber auf 26 Prozent hochgekommen. Aber natürlich muss man sich fragen, was man falsch macht. Ein Problem sind handwerkliche Fehler, die dann öffentlich zum Mega-Problem aufgebauscht werden. Auf der anderen Seite müssen wir deutlicher machen, worum es zurzeit geht: Nämlich, dass wir von den größten Herausforderungen seit 1945 stehen, und das weltweit. Da geht es eben nicht mehr darum, ob die SPD oder die CDU vorne liegt, denn unsere Demokratie ist so gefährdet wie nie zuvor.

Was muss die SPD besser machen?

Ellerbrock: Man kann sicher vieles besser machen. Zum Beispiel in unserem digitalen Auftritt – dort muss man die Arbeit im Bundestag für alle Bürgerinnen und Bürger gut und verständlich erklären.

Das heißt, die Politik ist gut – sie müsste nur besser erklärt werden?

Ellerbrock: Es kommt zu wenig bei den Leuten an, und manchmal wird es zu umständlich erklärt. Es muss so erklärt werden, dass jeder, egal welcher sozialen Herkunft, es auch versteht.

Schäfer: Das hätte ich mit 25 nicht so gut formulieren können, wie er das mit 15 macht. Ein Thema, das für Verunsicherung sorgt, ist die Migrationspolitik.

Welcher Kurs ist da richtig?

Ellerbrock: Das ist ein schwieriges Thema, und die Debatte wird seit Jahren geführt. Wir brauchen da eine klare europäische Antwort.

Schäfer: Das lässt sich nur gesamteuropäisch lösen, und da muss man ehrlich sagen, was machbar ist. Wenn die deutsche Position ein Stückchen restriktiver als bisher ist, dann liegt das auch daran, dass es dafür in Europa sonst keine Mehrheit gibt. Wenn man weiß, dass das Verhältnis vier Länder gegen 23 ist, dann weiß man, wie schwierig es ist. Das kann man den Menschen vermitteln.

War die Ansage von Olaf, ab jetzt werde im großen Stil abgeschoben, wirklich nötig?

Schäfer: Das ist natürlich eine zugespitzte Formulierung. Es geht darum, den Menschen das Gefühl zu geben, dass der Staat funktioniert und dass man sich an die Regeln hält, die wir uns selbst gegeben haben. Das zeigt sich auch daran, ob Leute, die abgeschoben werden könnten, auch abgeschoben werden.

Wie kann die SPD innerhalb der Koalition ihr Profil schärfen? Zwischen zwei Polen, der FDP und den Grünen, ist das ja nicht ganz einfach.

Ellerbrock: Diese Koalition hat sich gefunden, weil sie zusammenarbeiten wollte. Sie hat viele Versprechen umgesetzt. Aber jetzt ist die Zeit, wieder an einem Strang zu ziehen – gerade mit Blick auf die Gefahren, die diesem Land durch rechte Parteien drohen. Ich glaube, das kommt auch bei der FDP so langsam an.

Schäfer: Es zeigt sich ja, dass die FDP mit ihrer Oppositionsrolle innerhalb der Regierung keine Stimmen gewinnt. Wir müssen weiter Überzeugungsarbeit leisten. Ich leiste im Bundestag meinen Beitrag dazu: Ich habe einen Kollegen von der FDP und einen von den Grünen, zusammen praktizieren wir die Ampel im Kleinen. Wir hoffen, dass uns das auch im Großen gelingt.

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13 Kommentare

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  • Das für die Bevölkerung dringendste Thema Migration einfach mal ausgespart weil man sich der Realität nicht stellen will.



    Die Position der Jungsozialisten ist der Bevölkerung nicht vermittelbar und darum hält man die Klappe.

    • @Wombat:

      Wieso nicht vermittelbar? Wer hat es denn ernsthaft versucht? Das gilt auch für die Klimskatastrophe. Hier scheut man vor echten Lösungen zurück und bietet halbgare Maßnahmen, die man in der Zukunft ergreifen wird..



      Man muss dem "Wutbürger" mal klar sagen, daß jetzt Schluß ist mit Lustig! Und wenn die Nazis rankommen sollten machen die eine grosse Party, bevor der Klimawandel oder der 3 Weltkrieg die Menschheit von der Erde tilgt, was die Evolution in neue Bahnen lenken wird.

  • Auf dem SPD-Parteitag wurde ein Antrag in Bezug eine gesetzliche Verbesserung von allen kirchlichen Arbeitnehmerrechten verhindert. Man will sich mit den Kirchen erst einmal in Gesprächen einigen. Dabei haben rund 1,6 Millionen kirchliche Arbeitnehmer kein Recht auf gewerkschaftliche Vertretung und einen Betriebsrat, verdienen in der Pflege meist nur Mindestlohn. Ein Sonderrecht der Kirche in Bezug auf Arbeitnehmerrechte, das einst Adenauer schuf, macht das möglich. Dieses Beispiel zeigt, dass sich die Partei in Bezug auf die grundlegende Verbesserung sozialer Rechte den Schneid von der kirchlichen Lobby abkaufen lässt. 1,6 Millionen Wähler sind davon betroffen.



    Genau das Gleiche bei der viel zu niedrigen Erhöhung des Mindestlohns.

    Wo sollen genügend Sozialwohnungen herkommen, wenn fast 40.000 pro Jahr aus der Sozialbindung fallen und viel zu wenig neue gebaut werden und gleichzeitig 325.000 Asylanträge pro Jahr gestellt werden? Demzufolge Containerdörfer flächenendeckend gebaut werden müssen, die über Jahre Standard bleiben, weil zu wenig Sozialwohnungen gebaut werden.



    Politische Diskussion auf dem Parteitag dazu gleich Null.

    Die SPD-Wähler fühlen sich angesichts solch einer Politik schlicht verraten.



    Wie sollen sich die sozialen Verhältnisse von Millionen Niedrigverdienern verbessern, wenn die SPD auf dem Parteitag lediglich die Phrase der Hoffnung auf mehr Tarifverträge bemüht, aber keine Gewerkschaften vorhanden sind, die in den Subarbeitnehmerstrukturen und Niedriglohnjobs eine Besserung durchsetzen könnten?



    Die SPD hat die Verbindung zu den wenig Verdienenden schon lange verloren. Folge: Arbeitnehmer wählen wie in den USA ganz rechts, weil sie sich verraten und verkauft fühlen.



    Dass ist der eigentliche Kern der Krise der Sozialdemokratie und der Linken in ganz Europa. Die Globalisierung funktioniert nur für diejenigen an der Spitze der Verdienstpyramide. Grüne und SPD haben dem viel zu wenig entgegenzusetzen.

    • @Lindenberg:

      Ich schließe mich vollständig an!!!



      Dabei ist die Aufzählung noch nicht einmal vollständig!

  • Mir scheint, die beiden Funktionäre haben beide nicht begriffen worum es geht und was das Problem ist. Es ist die soziale Frage, hier hat die SPD nichts zu bieten.

    Kindergrundsicherung? Kein Interesse!

    Mindestlohnerhöhung? Die 12 € im Jahr 2022 waren ein reiner Inflationsausgleich, 2023 gab's keine Erhöhung und 2024 und 2025 nur etwa 3% = riesiger Kaufkraftverlust!

    Die Mehrheit der Wähler trauen der SPD nicht mehr zu, die sozialen Probleme zu lösen oder überhaupt große Probleme zu lösen. Migration? Große Worte und keine Taten. Wohnungsnot? Keine Ideen und auch kein Interesse, SPD-Politiker haben Häuser und Eigentumswohnungen und sind von Wohnungsnot nicht betroffen.

    So wird das nix SPD! Aber was solls, 2025 gibt's wieder GroKo unter Kanzler Söder.

    • @Tom T.:

      Der Mindestlohn ist jedes Jahr über der Inflationsrate gestiegen, teilweise sogar um das dreifache. Er Mist mittlerweile der zweithöchste der EU nach dem Bankenstaat Luxemburg obwohl Deutschland in Summe recht niedrige Preise hat. Durch das abartige Sozialsystem ist der Mindestlohn zudem deutlich teurer für Arbeitgeber als in anderen Ländern.

      • @Wombat:

        Klingt ja fast so als ob Sie den Mindestlohn für zu hoch errachten.



        Bei Vollzeit single bekommt man 1340 Euro raus. Zieht man mal moderate 600 Euro für die Wohnung ab und vllt 100 Euro fürs Auto. Bleibt da nicht mehr viel.



        Reicht dann um für 300 Euro im Monat essen und Getränke zu kaufen. Einmal pro Woche etwas zu unternehmen und 100 Euro kann man sparen für den Fall das etwas kaputt geht.



        So super günstig ist Deutschland anscheinend nicht und da sich weiter oben immer mehr Geld ansammelt würde ein höherer Mindestlohn die meisten Firmen nicht in den ruin treiben, aber es könnte passieren dass das Vermögen und Einkommen weiter oben langsamer wächst.... Gut das wollen die demokratischen Parteien alle nicht inklusive SPD und Grüne, auch die und ihre Freunde und Bekannten gehören zum Großteil zu der Schicht die profitiert.

        Und was genau an dem Sozialsystem abartig sein soll, frag ich mich auch. Der Mindestlohnempfänger hat nur ein minimal besseres Leben als der bürgergeldempfänger und da ich mal grob die Möglichkeiten des Mindestlohnempfängers skizziert habe, schweben beide Gruppen eher am Existenzminimum als im Luxus....



        By the way man müsste den Mindestlohn alleine schon anheben um pro Jahr einen Rentenpunkt verdienen zu können... Ohne ausreichend Rentenpunkte wartet nämlich trotz Jahreszenten Arbeit bürgergeld.

        Und bürgergeld ließe sich natürlich noch um einiges reduzieren, bis null. Ob Sie und die meisten sich dann noch gerne frei bewegen oder sich nicht beschweren wegen Gerüchen, Diebstahl /raub und so weiter steht natürlich auf einem anderen Blatt... Aber gehört man zu den glücklichen nimmt man sich zwei bodyguardss zum Einkaufen mit.

      • @Wombat:

        Das ist leider alles plumpe Propaganda, was du da erzählst, und sachlich falsch.

    • @Tom T.:

      Noch schlimmer: Die Erhöhung auf 12€ letztes Jahr wurde von der Mindestlohnkomission mit der Anpassung im Juni 2023 einfach negiert. Selbst an der nominalen Höhe des Mindeslohns hat die SPD seitdem keinen Anteil mehr.

      Dass der Mindestlohn dennoch, d.h. nur aufgrund des technokratischen Inflationsausgleichs durch eine von den Arbeitgebern dominierte Kommission, inzwischen über 12€ liegt, ist nur noch ein Beweis dafür, wie gestrig diese Forderung ist bzw. 2022 schon war.

  • Mit 15 schon so feine Phrasen dreschen zu können - dem Jungen steht die Partei bis ganz nach oben offen.

    Ich bin fassungslos.

    • @Birne Helene:

      Gestern auf PHOENIX im Interview hat's mich fast von der Couch gehauen. Mit 15 schon so fein gebügelt.

    • @Birne Helene:

      Das war leider auch mein erster Gedanke. Der Junge möchte einfach besser erklären, warum wir seit Kanzler Schröder und Vizekanzler Fischer einen nahezu kontrollfreien Finanzmarktkapitalismus haben. Warum Boden- und Immobilienspekulation nicht eingehegt wird, warum leistungslos Einkommen aus ererbten, schwach besteuerten Millionenvermögen bezogen werden können, warum ganze Branchen nur mit verdeckter staatlicher Lohnsubvention am Laufen gehalten werden etc. etc. . Und das eben so, dass es die Leute auch verstehen. Ich möchte, dass das Alles geändert wird, damit es wieder weniger ungerecht zugeht und dass ein Kanzler niemals rechte Parolen in den Spiegel quatscht.

    • @Birne Helene:

      Genau meine Gedanken, Danke!