Willy Brandt als Journalist: Zwischen Politik und Publizistik
Willy Brandt war Kinderreporter in Lübeck, dann Journalist im Exil und schließlich in Berlin. Erst da machte er den Sprung zum Berufspolitiker.
Sein wahrscheinlich wichtigstes Buch ist in Deutschland erst nach seinem Tod herausgekommen. Das Original, „Forbrytere og andre Tyskere“ („Verbrecher und andere Deutsche“), erschien Mitte 1946 in Norwegen und dann auch in Schweden. Willy Brandt fasst darin seine Berichte und Eindrücke vom Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zusammen, berichtet in vielen Facetten aus Nachkriegsdeutschland und versucht, die Deutschen gegen pauschale Verdammung zu verteidigen.
Empfohlener externer Inhalt
Es half nichts: Sinnentstellende Verdrehungen sollten reaktionären Hasskampagnen als Beweis gegen den Exilanten, vermeintlichen Vaterlandsverräter und zudem auch noch unehelich Geborenen Herbert Frahm alias Willy Brandt dienen.
Brandt, am 18. Dezember 1913 als Herbert Ernst Karl Frahm geboren und vom Großvater aufgezogen, verbrachte seine Kindheit in Lübeck. Er beschreibt sie als chaotisch, aber sie führte ihn früh an Politik und Publizistik heran. Das familiäre Umfeld war sozialdemokratisch, er wurde Mitglied der Kinderfreunde, einer Filiale der Falken, und später der Sozialistischen Arbeiterjugend. Erste Spuren seiner Schreibfreude finden sich in der Kinderbeilage des sozialdemokratischen Lübecker Volksboten. Es ist ein knapp 30 Zeilen kurzer, mit dem Geburtsnamen gezeichneter Bericht des 13-Jährigen von einer Wanderung zur Quelle der Trave.
Julius Leber, der nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurde, förderte den heranwachsenden Herbert, ließ ihn schreiben und half beim Beitritt in die SPD. Allerdings wechselte der schon bald in eine Linksabspaltung der Partei und verbaute sich so die Chance, beim Volksboten eine reguläre Ausbildung zu absolvieren oder gar mithilfe der SPD zu studieren. Und das Verhältnis zu Leber war dadurch dauerhaft beschädigt.
Treibende Kraft
Nach dem Abitur fehlten Herbert Frahm die Mittel für ein Studium, und so begann er für einen Schiffsmakler zu arbeiten. Ein Jahr später ist allerdings ohnehin alles anders: Nach der Machtergreifung der Nazis emigriert er, jetzt meist unter dem Namen Willy Brandt, nach Norwegen. Pro forma nun Student, de facto politischer Aktivist und auch Journalist im Umfeld der norwegischen Arbeiterpartei, wird Brandt schnell zu einer wichtigen Figur der deutschen Exilszene: Er ist treibende Kraft der erfolgreichen Kampagne, dem von den Nazis verfolgten Publizisten Carl von Ossietzky den Friedensnobelpreis zuzusprechen.
Als Journalist berichtet Brandt vom Spanischen Bürgerkrieg. Im Jahr 1940, nach der Besetzung Norwegens durch deutsche Truppen, setzt er sich nach Schweden ab: Stockholm wird sein Lebensmittelpunkt bis zum Ende des Kriegs.
Im November 1945 reist Brandt dann im Auftrag mehrerer skandinavischer Blätter für einige Monate nach Deutschland, um über den ersten der Nürnberger Prozesse zu berichten. Er lebt im internationalen Pressecamp auf Schloss Faber-Castell. Und er trägt norwegische Uniform mit dem Schriftband „War Correspondent“ am Ärmel – auch das Anlass für spätere Anfeindungen.
In den folgenden Jahren ist Brandt zwischen Politik und Publizistik hin- und hergerissen: Im Herbst 1946 setzt er seine Korrespondententätigkeit aus Deutschland fort, nachdem er das Angebot ausgeschlagen hatte, Bürgermeister von Lübeck zu werden.
Presseattaché der Militärmission
Auch das Angebot, in Hamburg ein Nachrichtenbüro, den Deutschen Pressedienst (Vorläufer der dpa), zu leiten, nimmt er nicht an. Er entscheidet sich, in die diplomatischen Dienste Norwegens zu treten und als Presseattaché der Militärmission nach Berlin zu gehen.
Im Winter 1946 kommt er dort an. In dieser Position betreut er nicht nur Journalisten; er sammelt auch Informationen und bereitet sie in zahlreichen Dossiers für die norwegische Regierung auf.
Nur ein Jahr später gibt er diese Position und zugleich die ihm verliehene norwegische Staatsbürgerschaft wieder auf und wechselt hauptberuflich in die Politik: Er übernimmt im Januar 1948 die Berliner Verbindungsstelle zum Parteivorstand der SPD, der damals in Person des Vorsitzenden Kurt Schumacher seinen Sitz in Hannover hatte.
1948 ist auch das Jahr, in dem die politische und administrative Spaltung Berlins vollendet wurde. Es ist zugleich das Jahr, in dem sich der immer stärker von den Kommunisten dominierte und gegängelte Verband Deutscher Presse, eine Sektion in der FDGB-Gewerkschaft Kunst und Schrifttum, spaltet: Im Westen Berlins wird im Juli 1948 zur Gründung eines unabhängigen Berufsverbands aufgerufen. Der frühere Chefredakteur der Breslauer Volkswacht und weithin anerkannte ehemalige Reichstagspräsident Paul Löbe wird am 24. Oktober erster Vorsitzender des Presseverbands Berlin – Willy Brandts Mitgliedsausweis für diesen Journalistenverband wurde drei Tage vorher, am 21. Oktober, ausgestellt.
Neue Leser jenseits der Partei
Brandts Wechsel in die Politik war zunächst noch kein Abschied vom Journalismus. Er blieb Korrespondent skandinavischer Blätter. Und in Berlin gab es längst wieder zahlreiche, von Parteien herausgegebene Zeitungen und Zeitschriften. So auch Das Volk, ein sozialdemokratisches Blatt mit sowjetischer Lizenz, das allerdings im April 1946 nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD mit der kommunistischen Deutschen Volkszeitung zum Neuen Deutschland fusioniert wurde.
Im Westteil Berlins erhielten Gegner der Zwangsvereinigung eine britische Lizenz für eine SPD-nahe Tageszeitung, den Telegraf. Paul Löbe wurde einer der Herausgeber. Hinzu kam als SPD-eigene Zeitung Der Sozialdemokrat.
Willy Brandt wurde im Januar 1950 Chefredakteur dieser Zeitung, die von da an Berliner Stadtblatt hieß und mit dem neuen Namen, aber auch mit flotterer Gestaltung neue Leser jenseits der Partei ansprechen sollte. Es blieb allerdings bei der Absicht. Brandt selbst schrieb zwar eine Kolumne, „Pfeffer und Salz“, und einen „Bonner Brief“ zur Arbeit im Bundestag. Doch es half alles nichts: Die Auflage blieb mickrig; die Zahl der Abonnements lag zuletzt bei 3.500. Die Partei beschloss, das Blatt im Mai 1951 einzustellen.
Inzwischen war Brandt endgültig in der Berufspolitik angelangt: Mandate in Abgeordnetenhaus und Bundestag, das Amt des Abgeordnetenhauspräsidenten und das des Regierenden Bürgermeisters folgten, bevor er 1966 als Außenminister einer Großen Koalition in die Bundesregierung wechselte. Mit diesem Wechsel in die Bundespolitik verließ Brandt auch sein Berliner Domizil, die Dienstvilla des Regierenden Bürgermeisters. Seinen Mitgliedsausweis im Berliner Journalisten-Verband aber nahm er mit nach Bonn.
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