Mordversuch an muslimischen Nachbarn: Aus rechtsextremer Gesinnung

Das Landgericht Hamburg verurteilt Ulf M. wegen versuchten Mordes. Er hatte mit einem Gewehr durch die Wohnungstür seiner Nachbarn geschossen.

Ein Mann sitzt vor einer Richterin und verdeckt sein Gesicht

Die Vorsitzende Richterin Jessica Koerner und Ulf M. am Donnerstag im Gerichtssaal Foto: Marcus Brandt/dpa

HAMBURG taz | Das Urteil des Landgerichts Hamburg erfolgte schnell. Denn dass Ulf M. die Tat begangen hat, ist klar. Der Rechtsextreme hatte die Vorbereitungen selbst gefilmt. Monatelang hatte M. seine aus Pakistan kommenden Nachbarn wegen einer angeblichen Ruhestörung tyrannisiert, bepöbelt und bedroht. Dann ließ er seinen Worten eine Tat folgen. Am 27. Mai dieses Jahres schoss er durch die Tür in die Wohnung der Nachbarn.

Wären die schwangere Aliya Malik* oder ihre Schwiegermutter im Flur gewesen, wären sie womöglich getroffen worden. Am Donnerstagmittag verurteilte das Gericht Ulf M. wegen versuchten Mordes zu sieben Jahren Haft. Die Vorsitzende Richterin Jessica Koerner hielt dem 49-Jährigen seine rechtsextreme Grundeinstellung vor. Er bagatellisiere weiterhin sowohl die Tat als auch seine Ideologie.

Im Saal nahm Ulf M. das Urteil regungslos hin. Der große Mann mit Glatze, Ohrring links, schwarzer Kapuzenjacke und blauer Jeans hatte versucht, den politischen Hintergrund der Tat zu relativieren. Unterstützt von seiner Verteidigerin sagte er, dass er sich von rechtsextremem Gedankengut entfernt habe, die einschlägigen Worte dennoch manchmal hochkämen.

Schon die Staatsanwältin hatte in ihrem Plädoyer mit Bezug auf Chatnachrichten und Videos deutliche Zweifel an dieser Behauptung aufkommen lassen. Sie betonte die rechtsextreme Einstellung und wies auf Aussagen M.s hin, dass er sich als Nachbarn ein „ruhiges deutsches älteres Paar“ wünsche. Sie erinnerte an seine Sätze im Video kurz vor dem Schuss: „Scheiß Kanaken, gleich sterbt ihr, der Onkel kommt euch holen (…) Klingele ich jetzt oder baller ich durch die Tür?“ Aussagen, sich distanziert zu haben, sind für die Staatsanwältin bloße „Schutzbehauptungen“.

Die Tat wirkt bis heute nach

Seit dem 21. November stand Ulf M. vor Gericht, bis Ende Januar sollte das Verfahren dauern. Doch sowohl die Zeugenvernehmung als auch die Beweisaufnahme machten den Verlauf und die Hintergründe der Tat schnell deutlich. An dem Samstagabend war Aliya Malik mit ihrer Schwiegermutter in ihrer Wohnung in einem Mehrparteienhaus am ­Tibarg im Stadtteil Niendorf. Sie schauten fern, als sie ein Geräusch hörte. Die schwangere Malik ging zur Haustür, beobachtete durch den Türspion ihren Nachbarn, der sich gerade bückte und ein Gewehr bei sich hatte. Ihre Schwiegermutter verriegelte mit der Kette der Tür.

Erst dann sahen sie das Einschussloch. Mit einer Winchester hatte Ulf M. einen Meter über dem Boden durch die Tür geschossen. Die Patrone schoss durch den Flur der Zweizimmerwohnung und blieb in einer Kommode stecken. Die angehende Mutter wählte den Notruf. Mehrere Polizeiwagenbesatzungen und Spezialeinsatzkräfte eilten zu dem Haus in der zweiten Reihe des ruhigen Quartiers. Ohne Auseinandersetzung konnte die Polizei den Täter festnehmen. Malik wurde vorsorglich ins Krankenhaus gebracht.

Bis heute wirkt die Tat nach, betont die Anwältin von Aliya Malik, die als Nebenklägerin auftrat. Die Angegriffene habe seitdem die eigene Wohnung nicht mehr betreten können, sei bei ihrer Mutter untergekommen und habe ihren Lebensschwerpunkt neu suchen müssen. Malik mache eine Traumatherapie.

Die Beratungsstelle Empower für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt begleitet Aliya Malik und kritisiert den staatlichen Umgang mit der Tat. „Es kann nicht sein, dass wiederholt die Unterstützung bei den gesundheitlichen und materiellen Folgen solcher Taten im Wesentlichen von Betroffenen selbst erkämpft werden müssen“, sagte Nissar Gardi von Empower­ zum Prozessbeginn gegenüber der taz.

Im Prozess wurde auch die von Ulf M. immer wieder angemahnte Ruhestörung verhandelt. Der vermeintlichen Ruhestörung durch seine neuen Nachbarn waren tatsächliche Ruhestörungen von unbegleiteten­ Flüchtlingen vorausgegangen, die zuvor in der Wohnung untergebracht waren. Doch alle Nachbarn, die als Zeugen auftraten, bestätigten, dass Aliya Malik und ihre Familie nette und ruhige Nachbarn sind.

Hakenkreuz im Zimmer

Doch Ulf M. war von noch mehr getriggert. In der Begründung des Urteils führt die Richterin aus, dass der Beschuldigte schon als Jugendlicher und junger Erwachsener in der Neonazi-Skinhead-Szene verankert war, ohne fest organisiert zu sein. Als „ehemaliger Nazi“ bezeichnete er sich auch selbst. Die Richterin aber betont, wie die Staatsanwaltschaft auch, dass M. in einer WhatsApp-Chatgruppe erklärt hatte, gegen „Ungeziefer, Neger und Zigeuner“ im Haus helfe nicht die Polizei, sondern „der Kammerjäger“.

Ein Bild des Hinterkopfes einer migrantischen Frau kommentierte M. mit: „Ich fahre nach Niendorf nicht nach Simbabwe“. Ein Bild, das M. mit einem Schwarzen Kind zeigt, dem er etwas reicht, kommentierte er mit: „Affenfütterung“. Er postete Sätze wie: „Skinhead für immer“ und: „Ich bin NPD-Wähler. Für Führer, Volk und Vaterland“. M. schrieb auch, dass er hoffe, beim „Widerstand“ zu sterben. Auf seinem Grabstein solle stehen: „Er war der Kanakenkiller“, verziert mit einem Hakenkreuz.

Die Polizei stellte Einschlägiges bei M. sicher. An einer Zimmerwand hing eine Fahne mit der Aufschrift: „Refugees not welcome“. Diese Fahne sei ihm versehentlich zugesandt worden, erklärte M. Die Richterin sah auch darin einen Beweis dafür, dass er bis heute rechtsextrem eingestellt ist. Bei seiner Verhaftung erklärte M. zudem, dass er bereue, niemanden getroffen zu haben, er es aber wiederholen werde, wenn er wieder frei sei.

In seiner Stammkneipe soll Ulf M. sich Gleichgesinnten gegenüber ­öfter in rechter Stammtisch-Manie in Rage geredet haben und auch Tötungen erwähnt haben. Das Gericht berücksichtigte, dass M. nach mehreren Schlaganfällen nicht mehr als Maurer tätig sein konnte, auch dass seine Lebensgefährtin ihn verlassen hatte und er verstärkt Alkohol trank. *Name geändert

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