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Nach Messerangriff in DublinGewaltorgie in Dublin

Ein Messerangriff mit verletzten Kindern in der irischen Hauptstadt hat gewalttätige rechtsextreme Proteste ausgelöst. Steine flogen gegen Polizisten.

Ein Bus brennt in der O’Connell Street im Stadtzentrum von Dublin am Donnerstagabend Foto: Brian Lawless/PA Wire/dpa

Dublin taz | Dublins Innenstadt stand in der Nacht zum Freitag in Flammen. Ein Mob hatte in der irischen Hauptstadt eine Gewaltorgie angezettelt, bei der drei Doppeldeckerbusse, eine Straßenbahn und elf Polizeiautos in Flammen aufgingen. Polizisten wurden mit Molotow-Cocktails und Steinen angegriffen, Touristen mussten aus den umliegenden Hotels evakuiert werden, nachdem Hooligans dort eingedrungen waren.

In Dublins Hauptstraße, der O’Connell Street, wurden die elektrischen Oberleitungen der Straßenbahn zerstört und lagen auf der Fahrbahn. Die Ausschreitungen verlagerten sich dann in die Fußgängerzone, wo Rechtsextreme und Opportunisten 13 Läden plünderten.

Auslöser war eine Messerattacke am frühen Donnerstagnachmittag. Ein etwa 40-jähriger Mann hatte vor der irisch-sprachigen Grundschule Gaelscoil Choláiste Mhuire am Parnell Square in der nördlichen Innenstadt drei Kinder und eine Betreuerin vor den Augen der anderen Schulkinder mit einem 30 Zentimeter langen Messer verletzt. Die Frau und ein fünfjähriges Mädchen schweben noch in Lebensgefahr. Der staatliche psychologischen Dienst kümmert sich um die Mitschülerinnen und Mitschüler.

Die rechtsextreme Szene ist in Irland inzwischen gut vernetzt und konnte schnell auf die Straße mobilisieren

Über das Motiv ist bisher nichts bekannt. Polizeichef Drew Harris sagte, es sei ein wichtiger Teil der Ermittlungen, das Motiv des Täters zu ermitteln. „Es zirkulierten viele Gerüchte“, sagte er und bat die Öffentlichkeit, nicht auf Falschinformationen zu hören. Auf die Frage, ob es einen terroristischen Hintergrund gebe, sagte Harris, er könne derzeit nichts ausschließen. „Ich werde aber jetzt nicht über mögliche Motive spekulieren“, fügte er hinzu.

Soziale Medien haben Hass gegen Ausländer verbreitet

Eine Angestellte des gegenüberliegenden Entbindungskrankenhauses Rotunda, die vor dem Krankenhaus eine Zigarette rauchte, hatte die Tat beobachtet und war über die Straße gelaufen, um zu helfen. Der Angreifer war da jedoch bereits überwältigt und zusammengeschlagen worden. Die Krankenhausangestellte und eine US-Amerikanerin bildeten daraufhin einen Kreis um den Täter, bis die Polizei eintraf, damit er nicht gelyncht wurde. Er wurde in ein Krankenhaus „irgendwo in Dublin“ gebracht, sagte ein Polizeisprecher.

In den sozialen Medien verbreitete sich die Nachricht, dass es sich bei dem Täter um einen Algerier handeln soll. Die rechtsextreme Szene in Irland ist inzwischen so gut vernetzt, dass sie in Windeseile einen gewaltbereiten Mob mobilisieren kann. Hunderte von Menschen strömten in die Innenstadt und protestierten gegen die irische Asylpolitik. Die lokalen Hooligans, die täglich Menschen in der Innenstadt terrorisieren, ergriffen die Gelegenheit, die Polizei zu bekämpfen und Läden zu plündern. Die Ausschreitungen dauerten die ganze Nacht an.

Das Zentrum Dublins blieb weiträumig abgesperrt. Ironischerweise fand im Lehrer-Gewerkschaftsclub am Parnell Square im Zentrum der Riots am Abend eine Veranstaltung mit einem palästinensischen Iren statt, der am vergangenen Wochenende aus Gaza evakuiert worden war und vom Horror des israelischen Bombardements erzählte.

Am Freitagmorgen begannen die Aufräumarbeiten. Polizeichef Harris sagte, 34 Menschen seien bisher verhaftet worden, und „viele weitere Verhaftungen werden folgen“. Der irische Taoiseach – das ist der Titel des Premierministers – Leo Varadkar von der konservativen Partei Fine Gael („Stamm der Gälen“) sagte, er sei „schockiert“ über den Messerangriff. Die Regierung bereite ein Gesetz vor, fügte er hinzu, das es der Polizei erleichtern werde, auf Material aus Überwachungskameras zurückzugreifen.

Solidaritäts-Stimmen aus der EU

Irlands Staatspräsident Michael D. Higgins sagte, die Polizei benötige jegliche Unterstützung. Es sei abscheulich, dass Gruppen die Tat ausnutzen, um „die Prinzipien unserer sozialen Inklusionspolitik anzugreifen“. Polizeichef Harris sagte, er habe Polizisten aus anderen Landesteilen nach Dublin beordert, um eine weitere Nacht der Gewalt zu verhindern.

EU-Ratspräsident Charles Michel schrieb auf X, er sei „entsetzt über den schrecklichen Angriff in Dublin“ und versicherte Varadkar, er könne sich auf „die volle Solidarität der EU“ verlassen. Die Präsidentin des Europaparlaments, Roberta Metsola, sagte, sie denke an alle Verletzten und ihre Familien.

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12 Kommentare

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  • Oskar , Autor Moderator ,

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  • So allmählich wird die Forderung nach einer erheblichen Einschränkung und öffentlichen Überwachung/Kontrolle der sogen. "sozialen Netzwerke", die sich de facto immer mehr zu asozialen Hetzwerken entwickeln, wohl verständlich.

    "Meinungsfreiheit" ist eben nicht die Freiheit, im Internet zu hetzen und zu Straftaten aufzurufen.

    @Lord Lord:



    "Hört sich so an als ob er von umstehenden Pasanten "zusammengeschlagen" wurde. Rechte konnten es ein paar Sekunden nach der Tat es ja kaum sein.

    Ich finde die Wortwahl hier äusserst fragwürdig. Schliesslich hat der Angreifer Kinder mit einem Messer angegriffen und wenn umstehende Passanten ihn dabei stoppten, ist einzig und alleine das wichtig."

    Auch bei der Notwehr/Nothilfe gibt es Grenzen, vor allem eine zeitliche Grenze. Die Notwehr endet, wenn der rechtswidrige Angriff beendet wurde. Einen bereits am Boden liegenden und an weiteren Angriffen durch Festhalten gehinderten Täter weiter zu schlagen oder gar auf ihn einzutreten, überschreitet die Grenzen der Notwehr und erfüllt den Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung, wenn z. B. mehrere Personen (hier: "Passanten", also mehrere) eine Person auf dem Boden festhalten und andere auf ihn einschlagen oder -treten.

  • Oh Mann! Das ewige Aufpeitschen der Menschen über Social Media, rechte Parteien und die vielen abseitigen Kanäle zeigt durch permanente Wiederholung nun sattsam Wirkung: Der Faschismus kehrt zurück und mit ihm tatsächlich Progrome und Tod. Wer hätte das gedacht? Kein normaler Mensch kann natürlich in einem solch toxischen Umfeld normal weiterleben. Es braucht eine positive Erzählung unserer demokratischen Werteordnung und schlicht mehr Vernunft. Aber weit gefehlt: Die aufgestachelten Menschen sind derzeit blind für die Konsequenzen ihrer von blindem Instinkt getriebenen Entscheidungen. Wieder einmal wird es dunkel in Europa: Ungarn, Polen, Italien, Niederlande, Irland - soll der Wahnsinn immer noch weitergehen?

    • @hedele:

      Lichtenhagen ist 30 Jahre her.



      Es hat seitdem niemanden weiter interessiert, im Gegenteil - der rechte Mob wird vom Bernd Merz gezielt angestachelt.



      Solange man in Chemnitz oder in der Vorstadt Ausländer verfolgt ("wir werden sie jagen") ist es den Reul, Merz, Söders etc. auch herzlich egal.



      Und am Ende wird Merz oder Chrissi den Höcke zum König machen

    • @hedele:

      Sie haben leider gar nichts über den (historischen) Faschismus verstanden. Der Faschismus, den Sie da herbeizitieren, wurde seinerzeit vorallem von wohlhabenden Unternehmern gefördert und mit Sach- und Geldspenden unterstützt. Da ging es weder um toxische Umfelder noch um die breite Wahrnehmung der Werteordnung. Ja, es war für den "einfachen Menschen" damals, wie heute, vieles im Argen. Aber der Fortschritt des Faschismus musste und wurde seinerzeit mit harter Münze betrieben.

      Das soll keine Ihrer Wahrnehmungen in Abrede stellen! Über Ihre Prognosen bzw. die Erklärungen, auf die Sie Ihre Prognosen stützen, sollten Sie aber genauer nachdenken.

  • "Eine Angestellte des gegenüberliegenden Entbindungskrankenhauses Rotunda, die vor dem Krankenhaus eine Zigarette rauchte, hatte die Tat beobachtet und war über die Straße gelaufen, um zu helfen. Der Angreifer war da jedoch bereits überwältigt und zusammengeschlagen worden."

    Hört sich so an als ob er von umstehenden Pasanten "zusammengeschlagen" wurde. Rechte konnten es ein paar Sekunden nach der Tat es ja kaum sein.

    Ich finde die Wortwahl hier äusserst fragwürdig. Schliesslich hat der Angreifer Kinder mit einem Messer angegriffen und wenn umstehende Passanten ihn dabei stoppten, ist einzig und alleine das wichtig.

    • @lord lord:

      Der Zweck heiligt nicht die Mittel! Das der Täter gestoppt wird, ist richtig, auch mit Gewalt. Aber Selbst- oder gar Lynchjustiz darf nicht sein in einem Rechtsstaat. Es ist schwer zu ertragen, aber wir dürfen Rechtsordnung und demokratische Grundordnung auch angesichts solcher furchtbaren Taten nicht über Bord werfen. Ich bin beeindruckt vom Mut der Krankenschwester, die sich dort mit Sicherheit nicht beliebt gemacht hat und trotzdem für Menschlichkeit eingestanden ist. Der Täter sollte nun schnellstmöglich und angemessen hart verurteilt werden.

    • @lord lord:

      Dann schauen wir uns doch die Wortwahl mal an. Der Angreifer war überwältigt und damit gestoppt. Zweifelsohne ist das, was einzig und allein wichtig ist. Zusammengeschlagen heißt, es wurde weiter unnötig auf den Angreifer eingeschlagen. Und dann schauen wir uns noch an, was Sie weggelassen haben: "damit er nicht gelyncht wurde." Hört sich so an, dass hier Anwesende drauf und dran waren, Selbstjustiz zu üben. Das ist, was ich fragwürdig finde. Die Wortwahl beschreibt für mich einen Sachverhalt sehr verständlich.

    • @lord lord:

      Ging mir beim lesen ähnlich. Wenn jemand Menschen mit einem Messer angreift, finde ich es gut und richtig wenn er oder sie "zusammenschlagen" wird.

    • @lord lord:

      zwischen stoppen und zusammenschlagen liegen aber Welten...

    • @lord lord:

      Aber wenn er doch zusammengeschlagen wurde, warum das nicht auch schreiben?

      • @Maike Lala:

        Üblicher wäre wohl: der Täter wurde von umstehenden Personen "überwältigt."