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Krise bei der BVGZurückbleiben, bitte!

In den U-Bahnen und Bussen drängen sich die Fahrgäste. Die BVG aber sieht „keine nennenswerten Unregelmäßigkeiten“ und die Politik schaut zu.

Voll, voller, BVG Foto: Katrin Streckenbach dpa/lbn

Berlin taz | Schon seit Wochen müssen sich die Fahrgäste der BVG in zu selten fahrenden Bussen und Bahnen drängeln. Doch die vorerst schlimmsten Tage kommen jetzt. Mit dem Streik der Gewerkschaft der Lokführer, der den S-Bahn-Verkehr Freitag lahmlegen und Auswirkungen bis in den Samstag haben wird, wächst der Druck auf das Angebot der BVG. Dort aber ist der Ausnahmezustand in diesem Winter schon Normalität.

U-Bahnen, die zur Rushhour nur alle 10 Minuten fahren und dann aufgrund der überfüllten Waggons einen Großteil der Fahrgäste auf dem Bahnsteig zurücklassen. Busse, die trotz elektronischer Anzeige niemals an der Haltestelle vorbeikommen und Menschen bei Minusgraden frieren lassen. Das Angebot hinkt dem Bedarf fast flächendeckend hinterher, ausgerechnet in der kalten und nassen Zeit, in der viele, die den Sommer über Rad gefahren sind, auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind.

Verschärft wird die Situation etwa durch die einmonatige, bis Mitte Dezember anhaltende Sperrung der U8 zwischen Alexanderplatz und Osloer Straße, deren Ersatzbusse im Stau in Mitte ersticken. Hinzu kam zuletzt ein Kabelklau, der den Verkehr der U6 einschränkte.

Und es wird noch schlimmer: Mit dem Fahrplanwechsel am 10. Dezember wird die BVG, anders als S-Bahn und Regionalverkehr, ihr Angebot einschränken. Kürzungen sind auf 44 Buslinien vorgesehen, ausgedünnt werden Nebenstrecken genauso wie stark genutzte Hauptstrecken, etwa die Linien M19, M27 oder M29. Sie sollen außerhalb der Stoßzeiten nur noch alle 20 Minuten fahren. Zusammen mit schon geltenden Anpassungen wird der vom Land bestellte Busverkehr damit um 6 Prozent reduziert. Für die BVG ein Schritt, um mehr „Verlässlichkeit“ zu schaffen.

Krisengipfel gefordert

Für den Fahrgastverband IGEB und den BUND ist die Situation untragbar. Zusammen forderten sie am Donnerstag „die Einberufung eines Krisengipfels zum ÖPNV“. Igeb-Sprecher Jens Wieseke sagte der taz: „Busse und Bahnen sind voll. Die Menschen wollen die Verkehrswende, aber die Politik hat das nicht verstanden.“

Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) müsste dafür sorgen, „dass sich die Leute ernst genommen fühlen“. Ein Programm, wie Busse und Trams schneller vorankommen, etwa durch Vorrang-Ampelschaltungen, oder Hilfe für die BVG bei der Suche nach neuen Fah­re­r:in­nen seien dringende Sofortmaßnahmen, so Wieseke.

Von der Idee eines Krisengipfels zeigt sich die Mobilitäts-Senatsverwaltung wenig begeistert. Auf taz-Anfrage kündigte eine Sprecherin lediglich an, bei der nächsten Aufsichtsratssitzung die BVG darauf zu drängen, „schnellstmöglich zu allen vertraglichen Pflichten zurückzukehren“. Auch würden ein Ausbau von Busspuren und die Installation von Vorrangampeln geprüft.

Auch die BVG gibt sich eher gelassen. Seit der Behebung der Beeinträchtigungen auf der U6 gäbe es „keine nennenswerten Unregelmäßigkeiten im U-Bahn-Verkehr“, sagt Pressesprecher Markus Falkner. Doch in der Erkältungszeit seien vo­rü­bergehende Ausfälle nie ganz auszuschließen.

Dabei verschärft die Erkältungswelle den ohnehin schon eklatanten Personalmangel bei der BVG. Nachwuchs ist nur schwer zu finden, die Arbeitsbedingungen im Schichtbetrieb und Berliner Verkehrschaos sind nur wenig attraktiv.

Streik für bessere Arbeitsbedingungen

„Wir brauchen Entlastung auf allen Ebenen“, forderte deshalb Verdi-Gewerkschaftssekretär Jeremy Arndt am Mittwochabend auf einer Veranstaltung zum Auftakt der Tarifverhandlungen. Zum Jahresende läuft die Friedenspflicht zwischen Verdi und der BVG aus. Streiks drohen bereits vor der ersten Verhandlungsrunde am 24. Januar.

Auf der Veranstaltung berichten BVG-Fahrer:innen von ihrem strapaziösen Arbeitsalltag: Verspätungen seien durch Verkehr, Baustellen und unvorteilhafte Ampelschaltungen die Regel. Die kurze Wendezeit von nur vier Minuten am Ende einer Linie würde kaum noch ausreichen, um die Verspätung der nächsten Fahrt zu verhindern oder dem Fahrer eine Pause zu gönnen.

Bei der U-Bahn sind die Probleme dagegen überwiegend technischer Natur. Der Wagenfuhrpark ist veraltet und entsprechend störanfällig und wartungsbedürftig. Die Lieferung neu bestellter Wagen ist seit einem Jahr überfällig. Erst im Frühjahr soll es losgehen, zumindest für die Kleinprofil­bahnen U1 bis U4.

Fahrgast-Vertreter Wieseke spricht aber von einer „Krise, die über Jahre gereift ist“. Die Politik habe zu spät neue Wagen bestellt, erst zwei Drittel der 1.500 Neufahrzeuge seien finanziert. „Wir befinden uns mitten in einer Krise des öffentlichen Nahverkehrs“, urteilt auch der Gewerkschafter Arndt. Um diese noch abzuwenden, seien massive Investitionen seitens der Politik nötig.

Vom Senat hört man derzeit dagegen vor allem von Leuchtturmprojekten. Dort beschäftigt man sich mit Plänen für U-Bahn-Verlängerungen, die noch Jahrzehnte brauchen dürften, oder mit der Idee einer Magnetschwebebahn. Auch der Start eines berlinweiten 29-Euro-Tickets für den AB-Bereich unter dem Namen Berlin-Abo, der noch einmal nach hinten verschoben wurde und ab 1. Juli nächsten Jahres verfügbar sein soll, wird am Angebot nichts ändern. 300 Millionen Euro jährlich sind dafür vorgesehen.

Bei Fahrgastverband IGEB und BUND spricht man von „tollkühnen“ Projekten: „Im Roten Rathaus und im Abgeordnetenhaus scheint man den konkreten und massiven Problemen im Berliner Nahverkehr durch Flucht aus der Realität entschweben zu wollen.“

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2 Kommentare

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  • Die Idee mit der Magnetschwebebahn könnte vor diesem Hintergrund glatt von der Partei stammen...

  • Verkehrspolitischer Eskapismus bei der Berliner CDU - und die SPD lässt es geschehen.



    Warum?

    Der stetig zunehmende Autoverkehr (+ gesteigert Zulassungszahlen) fährt sich perspektivisch rein mengenmäßig und klimatechnisch komplett an die Wand, und dann haben die MIVler auch nichts gewonnen - außer ein bisschen Zeit.