Haushaltsplan für Berlin: Rechentricks mit Jugendsozialarbeit
Neukölln wollte Straßensozialarbeit aus Geldern gegen Jugendgewalt finanzieren. Das Parlament wies dies zurück – nun muss der Bezirk woanders kürzen.
Der Grund für die Finanzierungsprobleme ist eine Lücke von rund 560.000 Euro im Haushalt von Neukölln. Der Bezirk hatte deshalb die Mittel bei der Straßensozialarbeit für Jugendliche aus dem Haushaltsplan herausgenommen – mit dem Plan, die Projekte dann, in einem zweiten Schritt, aus den über die Gipfel gegen Jugendgewalt bereitgestellten Geldern wieder zu finanzieren.
„All das, was ich mache, mache ich, weil der Haushalt nicht anders aufzustellen ist“, hatte Katrin Dettmer, kommissarische Leiterin des Jugendamts Neukölln, bei der ersten Lesung des Haushalts im Jugendhilfeausschuss noch gesagt. Dort hatte sie auch in Aussicht gestellt, dass Kürzungen „durch Jugendgipfelgelder 2024 abgefedert“ werden könnten.
Das Problem versteckt sich im Unterschied zwischen Haushaltsplan und tatsächlichen Zuweisungen. Im Plan des Jugendamts für 2023 waren rund 560.000 Euro mehr aufgeführt, als dann die Finanzverwaltung tatsächlich an Mitteln zur Verfügung stellte. Das Jugendamt konnte laut Bezirk einen Teil des Gelds im Laufe des Jahres durch Umschichtungen aus anderen Bereichen einsparen. Deshalb kam die Lücke 2023 noch nicht zum Tragen. In der Aufstellung des Haushalts für 2024/25 fehlen die rund 560.000 Euro nun aber tatsächlich.
Finanzierung aus eigenen Mitteln
Der Plan des Bezirks, diese Lücke über Gelder gegen Jugendgewalt zu stopfen, wird so allerdings nicht aufgehen. „Zusätzliches Geld gibt es nur, wenn bestehende Projekte nicht eingespart werden“, hatte Falko Liecke (CDU), ehemaliger Jugendstadtrat von Neukölln und inzwischen Staatssekretär für Jugend beim Senat, im B.Z.-Interview gesagt. „Ich bin entsetzt darüber, dass ausgerechnet der Bezirk, in dem es die schlimmsten Krawalle und Ausschreitungen gegen Polizei- und Feuerwehrkräfte zu Silvester gab, Kürzungen zum Beispiel bei der Straßensozialarbeit vollzieht.“
Der Haushaltsausschuss des Abgeordnetenhauses hat den Plan Neuköllns ohne die Finanzierung der Projekte nun zurückgewiesen. „Dieses Vorgehen ist dem Haushaltsausschuss möglich“, teilte die Senatsverwaltung für Jugend auf Nachfrage mit. Neukölln habe die Finanzierung der Projekte aus eigenen Mitteln herzustellen. „Damit stehen dem Bezirk wieder die vollen Mittel zur Verfügung, zusätzlich zu den Geldern aus dem Jugendgewaltgipfel“, sagte Staatssekretär Liecke. „Ich begrüße diese Entscheidung ausdrücklich.“
Im Bezirk selbst ist man weniger euphorisch. Denn das heißt nicht, dass das Geld dafür nun da ist. „Faktisch wurde so Geld in den Haushalt festgeschrieben, das es nicht gibt“, sagt Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) der taz. „Der Bezirk hat keine Kürzungen vorgenommen. Diese Aussage der Senatsverwaltung weise ich entschieden zurück, die Kürzung kam vom Senat“, sagt er. „Vielmehr hat der Bezirk im Jahr 2023 mehr Geld als zugewiesen für die Jugendsozialarbeit ausgegeben, um die Jugendarbeit zu stärken und in diesem Jahr eben Kürzungen zu vermeiden.“ Dies sei ihnen nun auf die Füße gefallen.
Für Hikel stellt sich nun die Frage, inwieweit die Bezirke überhaupt noch eigene Projekte steuern können, wenn das Abgeordnetenhaus so stark reguliert. Die Entscheidung auf Landesebene bedeute, dass der Bezirk die Gelder wohl woanders einsparen muss. „Die wenigen freiwilligen Leistungen, die der Bezirk steuern kann, stehen komplett zur Disposition“, sagt Hikel. Von 30 Millionen Euro müsse der Bezirk etwa 10 Millionen bei den freiwilligen sozialen Leistungen einsparen – etwa in der Obdachlosenarbeit, in der Suchthilfe und der Seniorenarbeit, wo Neukölln „entsprechend der Problemlagen“ Schwerpunkte setzen wollte. Welche konkreten Maßnahmen in Zukunft entfallen, werde derzeit diskutiert.
Noch keine Pflichtaufgabe
Aus Sicht der Projekte sei die Unsicherheit über die Finanzierung zuletzt sehr belastend gewesen, sagt Samira Bekkadour von Outreach. „Wir haben in der Hobrechtstraße einen Raum für Jugendliche und sind in der Gegend dort mit Straßensozialarbeiter*innen präsent. Die Sozialarbeiter*innen vermittelten dort etwa bei Problemen zwischen Jugendlichen und Gewerbetreibenden oder bei Konflikten in der Nachbarschaft“, sagt sie.
„Wir arbeiten zu sozialer Ungleichheit, zu Antisemitismus und zu Homophobie.“ Rund 10 bis 15 Jugendliche würden sie täglich erreichen, ihre Arbeit würde auch dazu beitragen, die Jugendlichen in soziale Netzwerke einzubeziehen. „Die Arbeit ist wichtig, insbesondere in einer Zeit, in der die Wirkungen der Pandemie noch zu spüren sind, die Mieten steigen und in der die Kriege in der Welt sich auch im Bezirk abbilden“, sagt sie.
Die Straßensozialarbeit in Nordneukölln von Outreach, Gangway und vom Madonna Mädchenzentrum wird über den Paragraf 13 finanziert – das bedeutet, dass sie nicht zu den Pflichtaufgaben eines Bezirks gehört. Nur deshalb konnte sie zur Disposition stehen. „Wir fordern, dass auch die Arbeit nach Paragraf 13 zu Pflichtaufgaben werden“, sagt Simone Hermes, beratendes Mitglied im Jugendhilfeausschuss und Sprecherin der politischen Selbstvertretung der freien Träger. Sie fordert zudem mehr Geld für diesen Bereich. „Allein durch Teuerungen und durch gestiegenen Bedarf sind es trotzdem immer noch viel zu wenig Mittel“, sagt sie.
Weiterhin sei vieles nur temporär und nur projektfinanziert. „Das heilt nichts, und es deckt nicht die Bedarfe“, sagt sie. „Straßensozialarbeit ist nicht dazu da, Feuer zu löschen, sondern um die Folgen von Armut aufzufangen.“ Das sei gerade in Neukölln wichtig, wo jedes zweite Kind von Armut betroffen sei.
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