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Migrationspolitik im BundestagGrüner Redebedarf bei Abschiebungen

Der Bundestag debattiert über Verschärfungen in der Migrations- und Lockerungen in der Integrationspolitik. Es ist eine hitzige Diskussion.

Berlin, 30.11.2023: Filiz Polat bei ihrere Rede im Deutschen Bundestag Foto: dts/imago

Berlin taz | Filiz Polat will eins klarstellen: „Gesetzgeber ist und bleibt das Parlament“, sagt die Grüne Bundestagsabgeordnete am Donnerstagmorgen. Das Plenum diskutiert gerade in erster Lesung über das sogenannte Rückführungserleichterungsgesetz: ein ganzes Bündel an Verschärfungen bei Abschiebungen. Das Bundesinnenministerium setze damit Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenzen um, sagt Polat. „Die Entscheidung treffen am Ende wir.“

Die Grünen, das wird deutlich, haben noch Redebedarf. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, den Ausreisegewahrsam bei Abschiebungen von zehn auf 28 Tage auszuweiten. In Gemeinschaftsunterkünften sollen neben den Räumen des Abzuschiebenden auch die Räume Unbeteiligter von der Polizei betreten werden dürfen. Beim Verdacht organisierter Kriminalität sollen Menschen auch ohne rechtskräftige Verurteilung ausgewiesen werden können. „Eingriffe in fundamentale Grundrechte“, findet Polat.

Damit ist der Ton gesetzt. Sei es zwischen Ampel und Opposition oder auch innerhalb der Ampel: In der Migrationspolitik hat gerade niemand freundliche Worte übrig. Wenige Stunden später werden die Abgeordneten auch noch über eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts und erleichterte Einbürgerungen diskutieren. Beide Debatten werden geprägt sein von Zwischenrufen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärt, es sei das „umfassendste Gesetz“ im Bereich Rückführungen, das „eine Bundesregierung jemals vorgelegt“ habe. Immer wieder ist an diesem Tag von einer „migrationspolitischen Wende“ die Rede. Aber nicht alle meinen damit das Gleiche. So sieht der FDPler Stephan Thomae diese Wende mit der Verschärfung des Abschieberechts vollzogen.

AfD bedient Verschwörungstheorien

Die Linke Clara Bünger hingegen erinnert die Ampel daran, dass sie eine solche Wende im Koalitionsvertrag versprochen hätte, aber in die genau andere Richtung: Die Ampel habe eigentlich eine andere Migrationspolitik machen wollen als der ehemalige Innenminister Horst Seehofer (CSU). Auch die Union erkennt einige ihrer eigenen Forderungen wieder, ihr aber gehen die Verschärfungen nicht weit genug.

Die AfD wiederum sähe am liebsten, wenn Deutschland alle nationalen und internationalen Gesetze und Konventionen zum Schutz von Menschenrechten hinter sich ließe. In der Debatte zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts wird die Fraktion später rechte Verschwörungserzählungen bedienen: Die Ampel forciere „Massenmigration“, es stehe eine „Integration“ von Deutschland in „islamisches Herrschaftsgebiet“ hervor.

Die Ampel will das bisher sehr restriktive Einbürgerungsrecht lockern: Menschen sollen künftig nach fünf statt nach acht Jahren eingebürgert werden können, bei besonders guten Integrationsleistungen schon nach drei. Mehrstaatigkeit soll ermöglicht werden. Und es soll Erleichterungen geben für die Generation der sogenannten Gastar­bei­te­r*in­nen.

Die Staatsbürgerschaft sei ein „Pfund“ im Wettbewerb um Hochqualifizierte aus dem Ausland, so Fae­ser. Zudem lebten zehn Millionen Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft in Deutschland, mehr als die Hälfte davon seit über zehn Jahren. Diese sollten „die Möglichkeit haben, vollständig Bürgerinnen und Bürger hier zu werden“. Ale­xander Throm (CDU) hingegen wirft der Ampel vor, es handle sich um ein „Staatsangehörigkeitsentwertungsgesetz“, mit dem in Zukunft regelmäßig die Falschen eingebürgert würden.

Keine Einbürgerung für Antisemiten

Den Gesetzentwurf hat das Kabinett bereits im August beschlossen. Nicht vorhersehbar war damals der brutale Terrorangriff der Hamas auf Israel und die daraufhin auch in Deutschland rapide ansteigenden Zahlen antisemitischer Vorfälle. Trotzdem enthält der Entwurf Regelungen, um die Einbürgerung von Antisemiten zu verhindern.

Antisemitismus, Rassismus und Menschenverachtung seien ein Verstoß gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, so Faeser. „Wer sich antisemitisch betätigt, darf kein Deutscher werden.“ Sowohl Faeser als auch die SPD-Fraktion haben klargemacht, dass sie auch zu weiteren Maßnahmen bereit seien.

Welche das sein könnten, davon hat die Union eine genaue Vorstellung: Dop­pel­staat­le­r*in­nen solle bei antisemitischen Vorfällen die deutsche Staatsbürgerschaft wieder aberkannt werden, erklärt Philipp Amthor. Die Ampel setze auf „Einbürgerung der Falschen statt auf Ausbürgerung der Richtigen“. Der Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft ist allerdings durch das Grundgesetz verboten – auch das, wie die deutsche Staatsräson, eine Lehre aus der deutschen Geschichte.

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