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Regierungswechsel in LiberiaGeister der Vergangenheit

Nur 20 Jahre nach einem der blutigsten Bürgerkriege der Welt vollzieht Liberia einen friedlichen Machtwechsel. Aber weist er in die Zukunft?

Liberias neuer Präsident Joseph Boakai nach seinem Wahlsieg Foto: Carielle Doe / reuters

E ine der wenigen guten Nachrichten der vergangenen Wochen kommt aus Liberia. In der Nacht zum 18. November erkannte Präsident George Weah seine Wahlniederlage gegen Oppositionsführer Joseph Boakai freiwillig an und äußerte staatsmännische Worte: Er habe die Wahl verloren, „aber Liberia hat gewonnen“.

Noch vor 20 Jahren war Liberia Schauplatz eines der brutalsten Bürgerkriege der Welt, mit Hunderttausenden Toten bei einer kleineren Bevölkerung als Berlin. Heute ist es Schauplatz eines für Westafrika seltenen reibungslosen Machtwechsels an der Staatsspitze – ein Ereignis, das mehr Beachtung verdient, als es erfährt. Liberia und die gesamte Region ist aus dem Blickfeld der Welt verschwunden, eine Generation nachdem sie zentral war für Debatten um Staatszerfall, Milizengewalt und Rohstoffkonflikte.

Liberias Geschichte an sich ist bereits lehrreich für alle gegenwärtigen Debatten um Sklaverei und Kolonialismus. Das Land entstand als Afrikakolonie der USA für freigelassene Sklaven sowie für aus Sklavenschiffen im Atlantik befreite Schwarze, die man dort hinbrachte, auch wenn sie eigentlich von ganz woanders auf dem Kontinent kamen. „Liberia“, das Land der Freien mit der nach US-Präsident Monroe benannten Hauptstadt Monrovia, wurde 1847 unabhängig: ein schwarzer Siedlerstaat in Afrika, der wie alle Siedlerstaaten die vorgefundene Bevölkerung und Natur einzig als auszubeutenden Rohstoff behandelte. Exportorientierte Plantagen und Bergwerke ausländischer Investoren verdrängten die Landwirtschaft der Einheimischen. Die Herrschaft der Amerikano-Liberianer endete erst mit dem Militärputsch von Samuel Doe 1980.

Does Gewaltherrschaft führte Liberia in den Krieg. Seine Feinde sammelten sich um den Exilanten Charles Taylor, dessen Rebellenarmee Ende 1989 von der Elfenbeinküste aus mit Finanzierung von Libyens Herrscher Gaddafi in Liberia einfiel. Nigerianische Eingreiftruppen hielten ihn auf, aber Doe wurde von einem Warlord namens Prince Johnson zu Tode gefoltert. Liberia zerfiel 1990 in Warlordgebiete, mit einer machtlosen Übergangsregierung in Monrovia und marodierenden Rebellen und Milizen im Rest des Landes. 1997 wurde Taylor mitten in diesem Chaos zum Präsidenten gewählt und 2003 von aus Guinea eingedrungenen Rebellen wieder gestürzt, nachdem er selbst den Krieg nach Sierra Leone getragen hatte, um Zugriff auf die dortigen Diamantengebiete zu erhalten.

Ein von außen eingepflanzter Staat – das Problem bleibt

2003 war Liberias Stunde null – mit einer zerstörten Hauptstadt und einer schutzlosen, verelendeten Bevölkerung, sofern überhaupt jemand übrig war. Liberia war Inbegriff des Zivilisationsbruchs, ein Land der Banden ohne Recht und Gesetz. Dass daraus innerhalb weniger Jahre eine funktionierende Demokratie wurde, deren gewählte Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf 2011 den Friedensnobelpreis erhielt, grenzt an ein Wunder. Ebenso bemerkenswert ist es, dass Johnson-Sirleafs Regierungspartei 2017 bei freien Wahlen die Macht wieder abgab und dass dies nun 2023 in umgekehrter Richtung ebenfalls möglich ist. Die Kinder der Warlords tragen die Kriege ihrer Eltern offensichtlich nicht weiter.

Sie holen stattdessen mit Boakai die Generation der Großeltern zurück. Der 78-Jährige war in den 1980er Jahren Landwirtschaftsminister unter Samuel Doe. Er ist ein erfolgreicher Geschäftsmann und stammt aus der Provinz Lofa im Nordwesten Liberias, einer abgelegenen Regenwaldregion an der Grenze zu Guinea, die unter dem Krieg mit am meisten gelitten hatte. Über Lofa marschierten ab 1991 versprengte Doe-Soldaten, versammelt in der Miliz Ulimo (Vereinigte Befreiungsbewegung für Demokratie), aus Guinea in Liberia ein, um Charles Taylor zu bekämpfen. Gegen sie formierte sich die lokale Miliz „Lofa Defense Force“. Lofa wurde leergeplündert, seine Jugend schloss sich marodierenden Banden landesweit an.

Der Wahlkampfvorwurf, Boakai sei ein General der „Lofa Defense Force“ gewesen, ist unbelegt. Aber Boakai wird von den traditionellen Autoritäten seiner Heimat nicht unterstützt, und das hat historische Gründe. Tamba Taylor, der verstorbene Chief der in Lofa dominanten Volksgruppe der Kissi, war ein alter Doe-Gegner und wurde 1995 im Alter von 97 Jahren kurzzeitig Mitglied des liberianischen Staatsrats im Bündnis mit Rebellenchef Charles Taylor. Joseph Boakai, der ehemalige Doe-Minister, wurde nach Charles Taylors Sturz 2003 erst Senatspräsident und ab 2006 Vizepräsident unter Ellen Johnson-Sirleaf.

Boakais designierter Vizepräsident Jeremiah Koung wiederum ist ein Getreuer von Samuel Does Mörder Prince Johnson. Koung folgt auf Charles Taylors Ehefrau Jewel Taylor, Vizepräsidentin unter dem scheidenden Präsidenten George Weah. Viele Täter des Krieges in Liberia sind noch aktiv – aber eben in der zweiten Reihe.

Mit der Generation der Großeltern könnten nun auch Liberias Vorkriegsprobleme zurückkehren. In den 1970er Jahren wollten in Lofa israelische Investoren auf gerodeten Regenwaldflächen Reis anbauen; das Projekt wurde später mit Gaddafi-Geldern zu neuem Leben erweckt und ging wie alle libyschen Afrikaprojekte nach Gaddafis Sturz 2011 pleite. Nun ist erneut von Großprojekten die Rede, angeblich unterstützt von Boakai. Liberias uraltes Entwicklungsproblem – ein von außen eingepflanzter Staat, der gegen die Bevölkerung regiert – bleibt ein Problem der Gegenwart.

Die alten Konflikte Liberias sind nicht bewältigt, sie bleiben latent. Am 21. November raste ein Auto in Boakais Siegesfeier vor seiner Parteizentrale in Monrovia. Es gab mindestens drei Tote. Offiziell war es ein Unfall. Augenzeugen zufolge steuerte der Fahrer das geparkte Auto beim Losfahren gezielt in die Menge, zündete nach der Tat das Auto an und verschwand auf einem wartenden Motorrad in die Nacht. Die Geister der Vergangenheit sind in Liberia nicht gebannt.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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1 Kommentar

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  • Die Demokratie ist ein zartes Pflänzchen, das der Pflege bedarf.