In Liberia wird abgerechnet

■ Innenansicht der „National Patriotic Front Liberias“ / Der Machtwechsel bringt keinen Frieden / Wer zur falschen Ethnie gehört, wird erschossen

Aus Nimba County Peter Labbe

„Charles Taylor will pay for it“, antwortet lakonisch der fünfzehnjährige Rekrut der „National Patriotic Front of Liberia“ auf meine Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, das kostbare Holz für den Wiederaufbau der zerstörten Städte zu verwenden anstatt es als Feuerholz zu verbrennen. Die 1.000 in Saclepea stationierten Rekruten des 2.NPF-Batallions verschwenden keinen Gedanken an die Zeit nach dem Sieg über die Truppen des Präsidenten Samuel K. Doe. „Doe hat einfach zu viele Leute umbringen lassen. Jetzt wird abgerechnet“, betont Spezialkommandeur William Karnoe und schwingt seine Baretta Baujahr 1944. Er war bis 1985 in der liberianischen Armee, setzte sich danach ins Ausland ab. Zusammen mit 180 anderen Exilanten ließ er sich knapp drei Jahre lang in Libyen im Guerillakampf ausbilden.

Israelis halfen Doe

Die libysche Unterstützung für Charles Taylors NPF ist vor allem in der massiven Hilfe Israels für Doe begründet. Israel finanzierte nicht nur Waffenlieferungen und den Bau des neuen Verteidigungsministeriums, sondern stellt auch etwa 150 Militärs. Als Berater und kämpfende Einheiten bildeten sie das Rückgrat der liberianischen Armee, die sonst viel früher unter dem Ansturm der fast 10.000 NPF -Soldaten zusammengebrochen wäre. „In Gbanga und Buchanan haben wir über 20 Israelis getötet, aber sie stecken einfach nicht auf. Ohne sie wäre Does demoralisierter Haufen längst weggelaufen.“

Was erwartet Liberias Bevölkerung nach dem Sieg der NPF? „Wir alle sind froh, daß die Doe-Soldaten uns nicht mehr bedrohen. Aber unsere eigenen Leute stehlen auch nicht schlecht“, erzählt Victoria Nyangwoi, die sich zweieinhalb Monate lang mit ihrer vierzehnköpfigen Familie in einer abgelegenen Waldregion Nimbas versteckt hielt und sich jetzt wieder in ihr Dorf trauen konnte. „Sogar den letzten Sack Reis haben die Freiheitskämpfer aus dem Getreidespeicher gestohlen.“ In der Umgebung der NPF-Hauptquartiere wie Saclepea ist längst jede Maniokknolle von den Rekruten, die sich meist selbst verpflegen müssen, ausgegraben worden. Und einige ihrer Kommandanten spielen sich gegenüber der Dorfbevölkerung schon genauso arrogant auf wie ihre Vorgänger. „Taylor weiß bestimmt, wie wir Liberia wieder aufbauen können, aber viele seiner Leute wollen nur einen Posten von Does Leuten übernehmen und genauso weiterwirtschaften“, meint resigniert ein Lehrer, der mit 23 Jahren der älteste Rekrut seiner Ausbildungseinheit ist. „Und viele der jungen Burschen hier wissen gar nicht genau, wofür sie eigentlich kämpfen. Sie wollen sich vor allem für getötete Familienangehörige rächen.“

Disziplinlosigkeit

In der Tat ist es um die von Taylor gepriesene Disziplin seiner Soldaten längst nicht so gut bestellt, wie er auf seinen Pressekonferenzen gerne behauptet. Seine Leute gehen rücksichtslos gegen Zivilisten der Krahn- und Mandingo -Ethnien vor, wenn sich die Gelegenheit bietet. „Als unsere Leprastation vond er NPF besetzt wurde, sortierten sie alle Patienten dieser Stämme aus und erschossen sie eiskalt. Was können die denn für die Verbrechen der Armee?“ Saye Nunlor, Krankenpfleger in Gantar und selber ein Mano, ist bestürzt über die Verbrechen seiner eigenen Landsleute. „So werden wir nie alle Liberianer versöhnen können.“

Beim Morgenappell in Saclepea unter der Flagge der NPF dem schwarzen Skorpion auf rotem Hintergrund - gibt dies Isaac Musa, Frontkommandant des 2. Batallions, auch indirekt zu, als er seine Leute zusammenstaucht, endlich die Übergriffe gegenüber der Zivilbevölkerung sein zu lassen. „Vergeltung“ zu üben und alle Mandingos aus Liberia zu vertreiben dominiert jedoch die Gefühle der meisten Rekruten. Ein abtrünniger NPF-Kommandant, Prince Johnson, war sogar wie ein traditioneller „Warlord“ auf eigene Rechnung plündernd und mordend durch Bong County gezogen und wurde mit seinen 300 Mann in einer tagelangen Schlacht niedergekämpft.

Mit dem Fall Monrovias hat die NPF ihr Ziel erreicht - doch die Entwicklung einer weniger gewalttätigen politischen Kultur und die Überwindung des Tribalismus sind weiter entfernt denn je.