piwik no script img

AfD im niedersächsichen LandtagAggression und Verweigerung

Die AfD-Politiker im niedersächsischen Landtag inszenieren sich als Kümmerer. Doch der realen täglichen Arbeit in den Ausschüssen verweigern sie sich.

Schilder hochhalten klappt, der Rest der Arbeit nicht: AfDler in Niedersachsens Landtag im Juni 2023 Foto: dpa | Julian Stratenschulte

P rovokation und PR-Coup: Die blauen Plakate mit der weißen Aufschrift „Keine Heizung ist illegal“, die die AfD-Abgeordneten im niedersächsischen Landtag hochhielten, waren eine Anspielung auf die Botschaft „Kein Mensch ist illegal“.

Der Fraktion um den Vorsitzenden Stefan Marzischewski-Drewes gelang seit der Landtagswahl sonst kaum eine Inszenierung. Vor gut einem Jahr zog die AfD mit 11 Prozent in das Parlament ein. Sie konnte ihr Ergebnis fast verdoppeln, erreichte 18 Mandate. Die Krise durch den Angriffskrieg auf die Ukraine brachte Zuspruch. Vorher waren Landtagsfraktion und Landesverband zerstritten – die Fraktion zerbrach, der Verband agierte kaum. Mit Marzischewski-Drewes kamen die Einigung und der Erfolg.

Als Arzt inszeniert er sich als Kümmerer. Die vermeintliche sozialpolitische Ausrichtung der Partei, die Sorgen der einfachen Leute aufzugreifen, spiegelt sich jedoch kaum in der parlamentarischen Arbeit wider.

„In den Ausschüssen arbeiten die AfD-Mitglieder nicht mit“, sagt Uwe Schünemann der taz. Der stellvertretende Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion berichtet, dass die Abgeordneten kämen, aber nichts sagten. In der ersten Phase der Legislaturperiode sei die AfD auch kaum durch „Klamauk“ aufgefallen. Die Zurückhaltung könnte Klaus Wichmann verantworten, sagt Schünemann. Als parlamentarischer Geschäftsführer der AfD ist er im Ältestenrat.

Die Umfragewerte steigen

Doch Schünemann stellt auch fest, dass die Rhetorik schärfer wurde: Nach dem Auffliegen der rechtsterroristischen Gruppe um Heinrich Prinz Reuß Ende 2022 – die Gruppe plante, den Bundestag zu stürmen – schrieb der AfD-Abgeordnete Stephan Bothe bei Facebook, dass dieser „Staatsstreich“ eine „Art des ‚Hauptmann von Köpenick‘“ sei, den die Medien hochputschten. Boris Pistorius (SPD), damals Landesinnenminister, nehme das zum Anlass, um ein AfD-Verbotsverfahren „ins Spiel zu bringen“.

Dass eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete zu den Hautverdächtigen gehörte, ignorierte Bothe. Jüngst unterstellte Bothe der rot-grünen Landesregierung einen „ausländer- und migrationspolitischen Blindflug“ und sprach von einem „ausufernden Aufenthaltsrecht“.

Kleine Anfragen der AfD an die Landesregierung zeigen, dass die Fraktion der Parteiagenda ohne sozialpolitische Ausrichtung folgt. AfD-Abgeordnete Jessica Miriam Schülke ging in ihrer Anfrage die Organisation „Schlau Niedersachsen“ an, die über diverse sexuelle Identitäten aufklärt. Per Anfrage griff die AfD ebenso die Verwendung der „‚Gendersprache‘ an Niedersachsens Schulen“ auf.

Marzischewski-Drewes und Bothe schossen auch gegen den Oldenburger Polizeipräsidenten, der in einem Interview gesagt hatte, dass die AfD ein „Treiber“ für „menschenverachtende Ideologien“ sei. Die Fraktion stellte zudem den Antrag, dem Projekt „Vollkontakt – Demokratie und Kampfsport“ die Zuschüsse zu entziehen.

Die Inszenierung als Kümmerer ohne reale Praxis genügt: In Niedersachsen liegt die AfD in Umfragen bereits bei 18 Prozent.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Andreas Speit
Autor
Rechtsextremismusexperte, Jahrgang 1966. In der taz-Nord schreibt er seit 2005 die Kolumne „Der Rechte Rand“. Regelmäßig hält er Vorträge bei NGOs und staatlichen Trägern. Für die Veröffentlichungen wurde er 2007 Lokaljournalist des Jahres und erhielt den Preis des Medium Magazin, 2008 Mitpreisträger des "Grimme Online Award 2008" für das Zeit-Online-Portal "Störungsmelder" und 2012 Journalisten-Sonderpreis "TON ANGEBEN. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" des Deutschen Journalistenverbandes und des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt. Letzte Bücher: herausgegeben: Das Netzwerk der Identitären - Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten (2018), Die Entkultivierung des Bürgertum (2019), mit Andrea Röpke: Völkische Landnahme -Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos (2019) mit Jena-Philipp Baeck herausgegeben: Rechte EgoShooter - Von der virtuellen Hetzte zum Livestream-Attentat (2020), Verqueres Denken - Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus (2021).
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Immer wieder erstaunlich, wie plump-hanebüchen das wirre Theater der Rechten ist, noch erstaunlicher, dass dieses von einem Großteil der Wähler für bare Münze genommen wird.

    • @Bambus05:

      Nun dies gilt sicherlich auch für andere Parteien, aber die AfD ist schon ein spezieller Fall.

      Die meisten Wähler lesen keine Wahlprogramme oder verfolgen den parlamentarischen Alltag, zumal in einem Landtag. Sie entscheiden nach dem Bild, das die Medien von den Parteien zeichnen, und der Dilettantismus der gewählten AfD-Volksvertreter wird zu wenig thematisiert. Es wird meist unsachlich oder ohne konkrete Bespiele und Belege über die AfD geschrieben, oder nur über die Verfehlungen einzelner Mitglieder - dieses unpräzise Gepöbel lässt viele glauben, dass es den "Systemmedien" lediglich um eine Dämonisierung geht und halten sich für schlauer.



      Obiger Artikel ist in meinen Augen viel besser geeignet über die AfD aufzukären als moralschwangere Empörung über Höckes neueste Entgleisungen.

    • 6G
      699549 (Profil gelöscht)
      @Bambus05:

      Ohne Frage ist das so.

      Aber Mal ganz ehrlich: Wie viele Wähler anderer Parteien wissen denn so genau darüber Bescheid, wie gut ihre Partei in irgendwelchen Ausschüssen mitarbeitet oder was für Anträge sie stellt?