Bundesverfassungsgericht zu Wahlrecht: Wahlgesetze dürfen kompliziert sein

Das Bundesverfassungsgericht billigt das Wahlrecht der letzten Bundestagswahl. Klagen von Grünen, FDP und Linken wurden abgelehnt.

Hand lässt einen Stimmzettel in eine Wahlurne fallen

Überprüft wurde die „kleine“ Wahlrechtsreform der Großen Koalition aus dem November 2020 Illustration: Gary Waters/imago

KARLSRUHE taz | Wahlgesetze, deren Details durchschnittliche Bür­ge­r:in­nen nicht verstehen, sind deshalb nicht verfassungswidrig. Das entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts am Mittwoch mit knapper Mehrheit von 5 zu 3 Stimmen. Das Wahlrecht der letzten Bundestagswahl 2021 verstieß damit nicht gegen das Grundgesetz. Klagen von Grünen, FDP und Linken wurden abgelehnt.

Überprüft wurde die „kleine“ Wahlrechtsreform der Großen Koalition aus dem November 2020. Zentraler Punkt damals: Drei Überhangmandate sollten nicht mehr ausgeglichen werden. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate holt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis Sitze zustehen. Seit 2013 erhalten die anderen Parteien dann Ausgleichsmandate, damit das Wahlergebnis nicht verzerrt wird. Dies hat aber den Bundestag aufgebläht.

Grüne, FDP und Linke kritisierten an der Reform, dass es vor allem der CDU/CSU nutze, wenn Überhangmandate nicht ausgeglichen werden.

In der mündlichen Verhandlung im April ging es aber kaum um die Überhangmandate, sondern vor allem um die Frage, wie verständlich Wahlgesetze sein müssen. Der damalige Paragraph 6 des Wahlgesetzes, der die Umrechnung der Stimmen in Sitze regelt, war ein Monster mit 680 Wörtern.

Bür­ge­r:in­nen „im Blindflug“?

Im Urteil vom Mittwoch kommen fünf von acht Rich­te­r:in­nen nun zum Ergebnis, dass das Bestimmtheitsgebot und das Gebot der Normenklarheit nicht verletzt sind. Es genüge, wenn die Wahl­lei­te­r:in­nen den komplizierten Paragraf richtig anwenden können. Damit die Bür­ge­r:in­nen ihre Erst- und Zweitstimmen entsprechend ihren Interessen abgeben, sei es nicht erforderlich, dass sie die Details der Umrechnung in Sitze exakt verstehen. Der Bundestag dürfe sich auch für ein kompliziertes Wahlsystem entscheiden, das viele Aspekte berücksichtigt.

Immerhin drei Rich­te­r:in­nen gaben ein Sondervotum ab, darunter die Senatsvorsitzende Doris König und der federführende Richter Peter Müller. Den Bür­ge­r:in­nen dürfe nicht zugemutet werden, ihr Wahlrecht „im Blindflug“ wahrzunehmen.

Beim ursprünglichen Streitthema, dem Nichtausgleich von drei Überhangmandaten, hatte das Bundesverfassungsgericht keine Einwände. Dies liege im Rahmen des „Gestaltungskorridors“ des Gesetzgebers.

Das nun für verfassungskonform erklärte Wahlrecht kommt noch einmal zum Einsatz, wenn in Teilen Berlins wegen des Chaos in den Wahllokalen die Bundestagswahl 2021 wiederholt wird. In wievielen Wahlkreisen es eine Wiederholungswahl gibt, wird das Bundesverfassungsgericht am 19. Dezember verkünden. Die erneute Wahl in Berlin wird dann am 11. Februar stattfinden.

Im Juni 2023 hat allerdings die Ampel-Koalition das Wahlgesetz erneut geändert. Nun gab es eine „große“ Wahlrechtsreform, bei der insbesondere die Überhangmandate und die Grundmandateklausel völlig abgeschafft wurden. Dagegen haben aber unter anderem die CSU und die Linke geklagt. Zuständig wird wieder der Zweite Senat sein, dann aber ohne Richter Peter Müller, dessen Amtszeit zu Ende ist. Letzte Woche wählte der Bundesrat bereits seinen Nachfolger, den bisherigen Generalbundesanwalt Peter Frank.

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