piwik no script img

Milliardenproblem der BundesregierungDas bisschen Haushalt

Die Finanzpläne der Ampel sind verfassungswidrig, die Verwirrung ist groß. Wie geht es jetzt weiter? Die taz klärt auf.

Haushalts-Trickser: SPD-Kanzler Scholz und sein Finanzminister Lindner von der FDP Foto: Fabrizio Bensch/reuters

Was ist eigentlich passiert?

Normalerweise ist das Bundesverfassungsgericht zurückhaltender, was Eingriffe in die Finanzpolitik angeht. Ein umso größerer Paukenschlag war deshalb am 15. November das Urteil der Karlsruher Rich­te­r*in­nen zu einer Klage der Unionsfraktion gegen den „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF). Sie entschieden, dass der Nachtragshaushalt für das Jahr 2021 gegen die Schuldenbremse verstieß und 60 Milliarden Euro an ungenutzten Kreditermächtigungen für den Kampf gegen die Corona-Pandemie nicht in den Klimafonds hätten verschoben werden dürfen.

Im politischen Berlin ist die Aufregung und Ratlosigkeit seitdem anhaltend groß. Zunächst schob Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mittels einer Haushaltssperre künftigen Ausgaben einen Riegel vor. Am Mittwoch verschob zudem der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages die finalen Beratungen für das Budget 2024 – auf unbestimmte Zeit. Am Donnerstag teilte Christian Lindner dann mit, dass die Bundesregierung für 2023 noch einmal die Schuldenbremse aussetzen will. Damit hat sie die Situation erst einmal etwas beruhigt, aber grundsätzlich gelöst ist die Haushaltskrise noch nicht.

Warum ist das Urteil so grundlegend?

Mit dem Urteil fehlt der Bundesregierung viel Geld. Laut Expertenmeinung sind die Haushalte für dieses und kommendes Jahr verfassungswidrig. Auch gibt es nun Zweifel, ob der 200 Milliarden Euro schwere Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds (WSF), der ebenfalls kreditfinanziert ist und mit dessen Mitteln unter anderem die Strom- und Gaspreisbremse beglichen werden, im Einklang mit den Regeln des Grundgesetzes konstruiert wurde.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

„Sollte der Bundestag den Haushalt 2024 sowie den Wirtschaftsplan des WSF für das Jahr 2024 auf Grundlage des Regierungsentwurfs ohne wesentliche Änderungen im Hinblick auf die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts beschließen, hielte der Bundesrechnungshof dies für verfassungsrechtlich höchst risikobehaftet“, heißt es zum Beispiel in einer Stellungnahme des Bundesrechnungshofes für den Haushaltsausschuss des Bundestages.

Auch Bundesländer haben kreditfinanzierte Sondertöpfe eingerichtet, um Klimaprojekte zu finanzieren. Das Saarland hat zum Beispiel vergangenes Jahr einen drei Milliarden schweren Transformationsfonds eingerichtet. Die saarländische Landesregierung will nun Ängste nach dem Urteil zerstreuen und verweist darauf, dass für den Fonds im Gegensatz zum Klimafonds des Bundes keine Mittel umgewidmet wurden und er deswegen nicht in Gefahr sei. Ähnliches gilt für das Land Berlin.

Wenn starr an der Schuldenbremse festgehalten wird, was heißt das für die Wirtschaft?

Die Auswirkungen des Urteils sind nicht zu unterschätzen. „Wenn die Bundesregierung die im Klimafonds vorgesehenen Ausgaben nicht tätigt oder an anderer Stelle spart, dann wären das erhebliche Kürzungen, die der Konjunktur fürs kommende und vielleicht sogar für die folgenden Jahre einen schweren Schlag versetzen könnte“, sagt Achim Truger der taz.

Truger ist Mitglied der sogenannten Wirtschaftsweisen, also des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Das Gremium geht in seiner jüngsten – vor dem Urteil veröffentlichten – Prognose von einem Wirtschaftswachstum von 0,7 Prozent im kommenden Jahr aus. „Kürzungen im Rahmen des Urteils könnten zur Folge haben, dass Deutschland in eine Rezession gerät“, warnt Truger.

„Es geht jetzt um die Frage, wie die Finanzpolitik in den nächsten drei bis vier Jahren unter stark veränderten Rahmenbedingungen gestaltet werden kann“, sagt auch Tobias Hentze vom Institut der deutschen Wirtschaft. Er geht davon aus, dass dem Bund von 2024 bis 2026 70 bis 80 Milliarden Euro fehlen, wenn sich auch der WSF-Fonds als verfassungswidrig herausstellt.

Und die Klimapolitik?

Welche Projekte vom Urteil betroffen sein werden, lässt sich bisher nur schwer abschätzen. Schließlich läuft die politische Diskussion über die Folgen gerade erst an. Doch kann die Gerichtsentscheidung auch Auswirkungen auf die künftige Klimapolitik haben, da mit dem Fonds Klimaschutzmaßnahmen finanziert und nachhaltige Investitionen angeschoben werden sollten.

So sind im Fonds zur Sanierung der Bahn-Infrastruktur eigentlich 12,5 Milliarden Euro vorgesehen. Der Umweltbonus für die Anschaffung eines E-Auto kommt bereits aus dem Fonds. Auch wollte man mit den Mitteln Subventionen für den Aufbau von Batteriezellenfabriken sowie die sogenannten Klimaschutzverträge finanzieren, die mittelständischen Unternehmen einen Anreiz zum CO2-Sparen geben sollten.

Eine weitere wichtige Maßnahme, die jetzt teilweise auf der Kippe steht: die Förderung von grünem Stahl. Allerdings haben Stahlunternehmen wie Thyssenkrupp und die niedersächsische Salzgitter AG bereits positive Förderbescheide erhalten. Damit können staatliche Gelder für den Bau klimafreundlicher Produktionsanlagen fließen.

Welche Regionen trifft das Urteil besonders?

Ob einzelne Bundesländer die Folgen des Urteils besonders schwer spüren werden, lässt sich ebenfalls noch nicht abschließend einschätzen. Allerdings waren im Klimafonds für kommendes Jahr ursprünglich auch vier Milliarden Euro zur Förderung der Halbleiterindustrie vorgesehen.

Folglich steht hinter Milliardensubventionen für die Ansiedlung von Chip-Fabriken des taiwanischen Konzerns TSMC in Dresden und des US-Herstellers Intel in Magdeburg nun ein großes Fragezeichen. Da die Bundesregierung mit den Mitteln aus dem Fonds auch den Wiederaufbau der Solarindustrie in den neuen Bundesländern finanzieren wollte, könnte das Urteil besonders die ostdeutsche Wirtschaft treffen, wie Wirtschaftsstaatssekretär Michael Kellner (Grüne) jüngst warnte.

Wie könnte es weitergehen?

Welche Auswirkungen das Urteil letztlich hat, hängt davon ab, wie mit ihm umgegangen wird. Und das ist eine politische Frage. Dass sie für 2023 die Schuldenbremse nochmal aussetzt, gibt der Ampel-Koalition Zeit, zu diskutieren, wie es weitergehen soll. Die Aussetzung wurde im Vorfeld bereits erwartet.

Mit ihrer Hilfe will die Bundesregierung 45 Milliarden an frischen Krediten aufnehmen, die vor allem für den Energie-Krisenfonds WSF gedacht sind. Für das Haushaltsloch im kommenden Jahr wird es vermutlich jedoch eine grundlegendere Lösung geben müssen. Insbesondere von Seiten der CDU und FDP kamen bereits Forderungen nach Kürzungen im sozialen Bereich auf.

Andere fordern stattdessen die Streichung klimaschädlicher Subventionen. Allein das Dienstwagen-Privileg schlägt jährlich mit 5,7 Milliarden Euro zu Buche. „Eigentlich müsste man die Schuldenbremse grundlegend reformieren“, sagt der Ökonom Achim Truger. Das Urteil habe gezeigt, „dass die Schuldenbremse gerade in Zeiten der Transformation die Finanzierung notwendiger öffentlicher Investitionen verhindert“.

Schließlich ist die Ampel-Koalition nur in die jetzige Situation geraten, weil die Schuldenbremse die Aufnahme von Krediten außerhalb von Notzeiten äußerst streng reglementiert. So darf der Bund in Normalzeiten neue Kredite in Höhe von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufnehmen. Truger schlägt deswegen die Einführung einer Investitionsklausel vor, damit der Bund wichtige Investitionen auch über Kredite finanzieren kann.

Auch Ökonom Hentze spricht sich für eine Reform der Schuldenbremse aus. „Dies bietet sich auch an, weil der Schuldenstand in Deutschland nicht besonders hoch ist“, führt er weiter aus. So liegt die hiesige Schuldenquote bei rund 66 Prozent der Wirtschaftsleistung. Zum Vergleich: In Frankreich sind es 112 und in Italien sogar 142 Prozent.

Gibt es Alternativen zu einer Reform der Schuldenbremse?

Es gibt ein Problem bei der Schuldenbremse: Sie ist im Grundgesetz verankert. Deswegen braucht es für ihre Reform eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. Um die zu erhalten, wäre die Ampel-Koalition auch auf die Stimmen der Union angewiesen. Doch die ist bisher dagegen, auch wenn sich drei ihrer Ministerpräsidenten schon für eine Reform ausgesprochen haben.

Die FDP ist auch dagegen. Eine Reform der Schuldenbremse ist derzeit also eher unwahrscheinlich. Truger schlägt deswegen als Alternative zur Reform eine Kombination verschiedener Maßnahmen vor. Diese könnte unter anderem die Einführung eines Energiesolis, also eines Aufschlags auf die Einkommenssteuer für Gutverdienende, beinhalten. Und die Abschaffung der Steuerrabatte auf Diesel.

„Dadurch könnte eine große Summe zusammenkommen“, so Truger. Zudem hätte dieser Strauß an Maßnahmen einen weiteren Vorteil: Da es vor allem Steuern des Bundes wären, die angefasst würden, wäre die Ampel nicht auf die Zustimmung der Union im Bundesrat angewiesen. Nur die FDP müsste noch überredet werden.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • 6G
    697175 (Profil gelöscht)

    "Nur die FDP müsste noch überredet werden" : ein extrem witziger Abschluss-Satz. Da man sich dort jeglicher wirtschaftlicher Vernunft aus Glaubensgründen verweigert, mus man sie ZWINGEN. Selbstverständlich muss man in einer (beinahe-)Rezession investieren und selbstverständlich muss man bei einer unausgeglichenen Bilanz ACH auf die Einnahme-Seite schauen. Wegfall von Klaima-schädlichen Subventionen (Diesel-, Kerosin-,..) ist das naheliegenste, bevor man sich endlich an Vermögens- und Erbschaftssteuer macht. Und zwischendurch noch die Abgeltungssteuer abschaffen - vor der Wahl haben sie doch so doll von sozialer Gerechtigkeit getönt.

  • "...Einführung eines Energiesolis, also eines Aufschlags auf die Einkommenssteuer für Gutverdienende, beinhalten. Und die Abschaffung der Steuerrabatte auf Diesel...."

    Ich hätte da andere Vorschläge: Vermögenssteuer, Finanztransaktionssteuer und die Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Darüber hinaus die Begrenzung privaten Vermögens auf max. 100 Mio.. Alles darüber fällt einer einmaligen Sondersteuer zum Opfer. Dann können wir sicher auch noch bei klimaschädlichen Subventionen sparen. Ich würde beim Kohlebergbau anfangen.

    • 6G
      697175 (Profil gelöscht)
      @Sabine Dettmann:

      Ja genau, die Finanztransaktionssteuer hatte ich ganz aus den Augen verloren - natürlich so, wie sie einmal gedacht war und nicht den Kümmerling, zu dem sie inzwischen schon geschrumpft wurde.

  • Witzige Überschrift

    Zitat "Das bisschen Haushalt"

    Diese witzige Überschrift erschließt sich wohl eher den älteren Jahrgängen, denen der Schlager diesen Titels noch im Ohr ist. Man wünscht mehr von solcherart lockerem und etwas ironischerem journalistischem Umgang mit dem Zeitgeschehen. Das trüge zur Entspannung in diesen aufgeregten und aufregenden Zeiten bei.

    • @Reinhardt Gutsche:

      diese Zeitung lese ich nicht zur Entspannung...für sowas gibts Formate wie die Mainzelmännchen...schon schade wenn Leute das nicht trennen...