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Neue Denkfabrik für KlimaschutzNahverkehr statt E-Auto-Prämie

Ein neuer parteiübergreifender Thinktank macht sich Gedanken, wie Klimaschutz für alle funktionieren kann. Denn derzeit klappt das nicht.

Nahverkehr für alle, statt E-Autos für viele: Haltestelle in München Foto: Sven Hoppe/dpa

Berlin taz | Klimaschutz ist derzeit kein Thema, das Begeisterung weckt. Das erleben die Grünen schmerzlich. Für die Mehrheit der Deutschen ist das wichtigste politische Problem derzeit die (zu hohe) Zuwanderung. Klimawandel und Umweltschutz folgen laut ARD-Deutschlandtrend vom Oktober erst auf Platz zwei.

Dass Klimaschutz so in Verruf geraten ist, daran ist auch die Politik schuld. Findet jedenfalls der SPD-Politiker Thomas Losse-Müller. „Wir haben uns zu wenige Gedanken gemacht, wie wir Klimaschutz sozial gerecht realisieren“, so Losse-Müller zur taz. Und meint damit auch die Ampel und seine eigene Partei, die SPD.

Der schleswig-holsteinische Oppositionsführer, der als Spitzenkandidat gegen Daniel Günther von der CDU verlor, hat nun zusammen mit Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und Wis­sen­schaft­le­r:in­nen einen Sozial-Klimarat gegründet. Die neue Denkfabrik soll sich Gedanken machen, was in der Klimapolitik schiefläuft und was besser werden muss. Die These: Damit Klimaschutz für alle funktionieren kann, muss er auch Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge sein und gemeinschaftlich finanziert werden.

Auf der Auftaktveranstaltung des neuen Thinktanks am Dienstag diskutieren etwa SPD-Parteichef Lars Klingbeil und die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang. Zu Wort kommen aber auch Ver­tre­te­r:in­nen von Fridays for Future, der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung oder die Vorsitzenden der Sozialverbände Deutschlands, VdK und SoVD.

Klimaschutz als Daseinsfürsorge

Losse-Müller und sein neuer Thinktank haben vorab eigene Thesen formuliert, die der taz vorliegen. Mit der gegenwärtigen Klimapolitik geht Losse-Müller, der erst 2020 von den Grünen zur SPD wechselte, in dem Papier hart ins Gericht. „Für sehr viele Haushalte ist bislang nicht klar aufgezeigt, wie sie aus eigener Kraft klimaneutral werden können“, heißt es in den Thesen, die der taz vorliegen. Die Höhe der notwendigen Investitionen in klimaneutrale Wärme und Mobilität übersteige ihre Möglichkeiten oftmals bei Weitem.

Losse-Müller und seine Mit­strei­te­r:in­nen schlagen ein radikales Umdenken vor: Weg von der kleinteiligen und individuellen Förderung hin zu breiten Investitionen in staatliche Infrastruktur in Wärme und Mobilität. „Klimaschutz muss als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge verstanden werden“, heißt es in dem Papier. Denn: „Für die meisten Haushalte sind öffentliche Infrastrukturen die einzige Möglichkeit, überhaupt klimaneutral leben zu können.“

Vereinfacht könnte man sagen: Die Politik soll sich um Nahverkehr für alle kümmern, statt E-Autos für viele zu finanzieren und sich auf den Ausbau von Wärmenetzen statt Wärmepumpen konzentrieren.

Staat ist in der Pflicht

Die bisherige Klimapolitik mit dem Fokus auf individuellen Anreizen sieht der SPD-Politiker sogar zum Teil kontraproduktiv. Je mehr Haushalte mit Solar- und Wärmepumpen in ihre eigene Klimapolitik investieren könnten, desto höher seien die Kosten für diejenigen, die das nicht schafften und weiter auf das Netz angewiesen seien, heißt es in dem Papier. Ähnliches gelte für den Nahverkehr und dem Umstieg auf E-Pkw.

Der Volkswirt sieht daher den Staat in der Pflicht. „Leistungsfähige öffentliche Infrastrukturen sind eine zentrale Voraussetzung für sozial gerechten Klimaschutz. Sie müssen gegenüber individuellen Anpassungsstrategien priorisiert werden.“ Damit der Staat in der Lage ist, die notwendigen Investition zu stemmen, fordert Losse-Müller staatliche Kredite und sozial gerechte Steuererhöhungen.

Das wollen im Grunde auch SPD und Grüne. Die Ampel praktiziert aber derzeit das Gegenteil: Sie hat sich im Koalitionsvertrag zu Einhaltung der Schuldenbremse verpflichtet und Steuererhöhungen ausgeschlossen. Viel Diskussionsbedarf also.

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5 Kommentare

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  • "Leistungsfähige öffentliche Infrastrukturen..." sind nicht nur für den Klimaschutz wichtig. Sie sind die Basis und zentrale Bausteine für eine demokratische und solidarische Gesellschaft von Bürgerinnen und Bürgern in einer Republik.



    Der marode Zustand öffentlicher Infrastrukturen und die soziale Ungleichheit, die es manchen Gleichen unter Gleichen erschwert bis unmöglich macht, sich klimafreundlich zu verhalten, sind Folgen politischer Entscheidungen. Entscheidungen, die weniger das Wohl aller, sondern primär das Wohl einzelner im Blick hatten.



    Wenn sich die neue Denkfabrik, wie viele andere Denkfabriken ebenfalls, auch nur auf ein Symptom/einen Aspekt/eine Folge dieser politischen Entscheidungen konzentriert und die strukturellen und ideologischen Ursachen und Zusammenhänge ignoriert, wird sich nichts ändern.



    Viele warten schon seit Monaten aufs angekündigte "Klimageld", Arbeitszwang für "Bürgergeld" Empfänger:innen wird diskutiert, das 49-Euro-Ticket steht auf der Kippe, ... während Milliarden an Subventionen für Akku-Autos und Millionen für Autobahnen, Finanzhilfen für Eigenheimbesitzer:innen, Ansiedlungsprämien, Subventionen und Steuervergünstigungen für arme Investoren und Eigentümer neuer Industrien nahezu unbegrenzt vorhanden waren und sind.



    Dank Privatisierungen muss man es sich in unserer Republik sogar leisten können, alt oder pflegebedürftig krank zu werden.



    Der neuen Denkfabrik: Viel Glück!

  • Klingt nach einem (möglichen und machbaren) politischen Paradigmenwechsel.

    Zwar wird sich die FDP quer stellen (wie immer beim Thema Klimaschutz), aber diese (noch) 4% Partei wird dann ja hoffentlich bei der nächsten BTW aus dem Parlament fliegen.. Und wer weiß, vlt hat sich die Linke ja bis dahin berappelt...

    So oder so: alle verfügbaren Daumen nach oben.!!

  • Das wäre doch was, einen Umsetzungs-Plan erstellen. Einen Masterplan, an dem alle gesellschaftlichen Gruppen beteiligt sind. Und nicht nur die, die am lautesten schreien, nicht nur die, die ihre Pfründe verteidigen, nicht nur die, für die Veränderung ein Teufelszeug sind.

    Einen solchen Handlungsvorschlag gab es übrigens schon mal:



    de.wikipedia.org/w...t_Klima#Ergebnisse

    Einen Plan, an dem alle Entscheidungen zu messen sind, die getroffen werden. Und wenn das Ergebnis negativ ausfällt, dem Plan zuwider läuft, dann muss die Entscheidung so angepasst werden, dass das Ergebnis der Abwägung positiv ausfällt.



    Man sollte sich auch überlegen, wie man die zum Mitspielen animieren kann, für die die Veränderungen zu größeren Verwerfungen führen als für den Rest der Bevölkerung.



    Und es muss bezahlbar sein, auch für weniger begüterte Mitbürger. Z.B. durch ein indexbasiertes „Basis-Geld“, das die zu einem menschenwürdigen Leben notwendigen Mittel berücksichtigt. Dieser Warenkorb enthält eine bestimmte Menge an Energie, Lebensmittel und sonstig notwendige Dinge. Die sich daraus ergebende Zahlung erfolgt monatlich an jede in Deutschland lebende Person und wird in der Steuererklärung berücksichtigt. Je vermögender eine Person ist, umso stärker wird das bei der persönlichen Steuer berücksichtigt.



    Mit diesem Basis-Geld könnte schnell und unbürokratisch auf Inflation und andere Entwicklungen reagiert werden. Das Gezerre um die steigenden Energiepreise der letzten Monate wäre damit erheblich entschärft und eine schnelle Reaktion wäre möglich gewesen.



    Außerdem könnten so Sparanreize entstehen: wer weniger verbraucht als ihm zugestanden wird, hat was davon, wer mehr verbraucht muss eben dafür aus seinem Vermögen bezahlen. Damit wäre auch eine Stellschraube installiert, mit der der Verbrauch gesenkt werden könnte.



    Finanziert wird das aus z.B. CO²-Abgabe, Abgaben auf Ressourcenverbrauch, Vermögensteuer, Erbschaftsteuer (die ihren Namen verdient).

  • Parteiübergreifend? Na ja, maximal 1,5 Parteien. Wobei wohl jede dem Slogan "sozial gerecht" zustimmt.



    Ob das aber politisch von Erfolg gekrönt sein wird, wenn der Fokus auf öffentlichen Nahverkehr und Wärmenetz gelegt wird, sei mal sehr dahin gestellt. 40+ Mio Autos gibt es eben nicht nur bei den Reichen - und das Auto ist für die meisten kein Ballast, sondern Individualität und oft Notwendigkeit. Und Erfahrungen mit dem ÖPNV haben schon so manche dazu gebracht, dem den Rücken zuzudrehen.

    Ein Wärmenetz ist sicher sehr sinnvoll. Gibt es sogar in Dörfern mit Eigenheimen. Nur hat so eine infrastrukturelle Massnahmen so gar keinen Glamourfaktor. Wenn es funktioniert, wird es hingenommen, wenn nicht, ist das Geschrei groß, weil die da irgendwas falsch gemacht haben. Es trägt zum Klimaschutz bei, aber nur ganz wenig zur Akzeptanz für Massnahmen und Massnahmen müss(t)en mehr sein als nur Wärme für die Wohnung.

  • Ein tauglicher "Nahverkehr für alle" hört an den Stadtgrenzen mittelgroßer deutsche Städte und Metropolen auf. Jeder der was Anderes erzählt ist ein Visionär, der zum Arzt gehen sollte. Was machen denn die Menschen die in den ländlichen Räumen leben, wenn individuelle Förderungen in jeglicher Hinsicht wegfallen ?

    Eine schöne Umverteilung und Bündelung der finanziellen Mittel für die Metropolen, der ländliche Raum bleibt aussen vor und hat lediglich gefälligst Energie und Nahrung zu liefern. Aber diese scharfe Trennung ist vieleicht auch besser so. So können die Städter unter sich in ihrer sozial gerechten Klima-Bubble bleiben und wir Landeier haben unsere Ruhe.