piwik no script img

Kriminalisierung von SeenotrettungZweifel sind nicht angebracht

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Das Innenministerium bestreitet, dass es See­not­ret­te­r:in­nen kriminalisiere. In anderen Ländern Europas ist das längst Alltag.

Ein Boot mit Migranten im Mittelmeer wartet auf Hilfe der Seenotretter von Open Arms Foto: Santi Palacios/ap/dpa

D as Innenministerium hat Berichte zurückgewiesen, nach denen es eine Strafverfolgung für See­not­ret­te­r:in­nen ermöglichen will. Zuvor hatte die Süddeutsche Zeitung eine geplante Änderung des Aufenthaltsgesetzes so ausgelegt. Ein Sprecher von Faeser versicherte nun, die Reform ziele nicht darauf, humanitäre Hel­fe­r:in­nen künftig wie erwerbsmäßige Schlep­pe­r:in­nen verurteilen zu können.

Dass die Seenotrettungsorganisatio­nen sofort alarmiert waren, verwundert kaum. Denn genau das, was die SZ aus dem Gesetzentwurf liest, ist in immer mehr Ländern Europas längst Justizpraxis: Solidarische Hilfe mit gewerblicher Beihilfe zur illegalen Einreise gleichzusetzen – und entsprechend zu ahnden.

In Polen droht Menschen entsprechende Verfolgung, die Flüchtlingen im Wald Essen oder Wasser bringen, wenn diese sich fortbewegen und nicht an einem Ort sitzen bleiben. In Griechenland und Italien stehen immer wieder Menschen vor Gericht, weil sie Hilfe für Menschen in Seenot geleistet haben.

Was früher entscheidend war – die Gewinnerzielungsabsicht –, spielt in diesen Ländern heute keine Rolle mehr. Die Folge liegt auf der Hand: Wer einen jahrelangen, enorm teuren Gerichtsprozess riskiert, überlegt sich zweimal, ob er auf einem Rettungsschiff als Freiwilliger mitfährt. Die Verfahren verursachen enorme Kosten, binden Ressourcen, sind für die Beschuldigten äußerst belastend – selbst wenn am Ende ein Freispruch steht. Das ist ein mittlerweile alltäglicher Skandal, vor allem angesichts des Umstandes, dass die Todeszahlen im Meer so hoch sind wie lange nicht.

Die Ampel hat es eine „zivilisatorische und rechtliche Verpflichtung“ genannt, Menschen nicht ertrinken zu lassen. „Die zivile Seenotrettung darf nicht behindert werden“, steht in ihrem Koalitionsvertrag.

Es wäre ein Desaster, wenn Faesers Ministerium nun ein Gesetz vorlegen würde, auf dessen Grundlage die Justiz nach dem Vorbild Griechenlands oder Italiens gegen humanitäre Hel­fe­r:in­nen vorgehen kann. Wenn die Bundesinnenministerin das nicht will, darf sie auch keinen Gesetzestext zulassen, der diese Möglichkeit offenlässt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Dass diese Gewinnerziehungsabsicht bei der Betrachtung (und der juristischen Umsetzung) ausgenommen wird, ist skandalös! Wieso wird das einfach so hingenommen?!

    So wird aus Helfende ganz schnell Kriminelle!

    Ich fürchte um die Menschlichkeit in dieser Welt!

  • Verfolge ich die Berichterstattung zu diesem Thema stelle ich fest, niemand kriminalisiert Seenotrettung. Die Mittel dafür werden seitens der Bundesregierung sogar erhöht. Als kriminelle Handlung, also als Straftat, wird dagegen die Beihilfe zur illegalen Migration nach Europa durch die Seenotretter benannt. Das geschieht m.E. nach voll zu Recht.

    • @Trabantus:

      Ob die Migration illegal ist, wird von Gerichten entschieden. Die Entscheidung kann nicht auf offenem Meer entschieden werden, wo die Todesstrafe die Konsequenz ist.



      Asylanträge im Ausland in einer Bot wäre die beste Lösung. Aktuell kann die Frage ob Asyl möglich ist ja nur nach ggf. Illegaler Migration beantwortet werden.