piwik no script img

verwickeltKein richtiger Aktivismus im Falschen

Die Instagram-Userin „gnarf_._“ will „Antisemiten aus der Demo prügeln“. Okay, das klingt vielleicht ein wenig hart. Aber das Ziel, in Hamburg ein machtvolles Zeichen gegen Gewalt an Frauen, Lesben, Inter-, Nonbinären, Trans- und Agender* zu setzen – kurz Flinta* – heiligt dieses Mittel bestimmt. Wenigstens im Bezug auf Antisemiten mit Bärten. Das sind nämlich die schlimmsten.

Und möglicherweise wird so die Demo zum 25. November – das ist der Welttag gegen Gewalt an Frauen –, zu der das Bündnis „Frauenstreik Hamburg 8M!(HH)“ aufgerufen hat, in der Folge dann doch noch zu einem sicheren Ort für „Jüdinnnen:Juden“. Dass sie das noch sein könne, hatten andere bezweifelt, ja für ausgeschlossen erklärt, nachdem den Demo-Aufruf auch die Gruppen „Zora“ und „Young Struggle“ unterzeichnet hatten. Zwar unterstützen diese seit Jahren das Anliegen, aber sie verklären in – wirklich unsäglichen – Online-Verlautbarungen den Angriff auf Israel am 7. Oktober als Befreiungskampf. Durch die Mitunterzeichnung des Aufrufs von Young Struggle und Zora hätten die Demo-Anmelder*innen klar „für einen Rahmen“ gesorgt, „der jüdische Flinta ausschliesst“, moniert daher eine andere Instagram-Aktivistin, die vorgibt, nur Zionisten zu küssen. Die aber, das muss hier mal kritisch angemerkt werden, in ihrer Booklist auch Au­to­r*in­nen wie die BDS-Sympathisantin und Literaturnobelpreisträgerin Annie ­Ernaux, Anti­semitenverteidiger Brett Easton Ellis und Intifada-Befürworterin Audre Lorde promotet. So ganz konsequent wirkt das also auch nicht. „Wollt ihr unter diesen Umständen an der Demo tatsächlich festhalten?“, fragt sie die Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen trotzdem.

Nein, eine Demo-Absage soll es nicht geben. Die befugten Personen vom Bündnis „8M!(HH)“ haben aber eingesehen, angesichts der „verständlichen Empörung“ den verunsicherten Mit­strei­te­r*in­nen „etwas Kontext geben“ zu müssen: Tatsächlich hätten sich manche der aktiven Gruppen „mit der Unterzeichnung nicht wohl gefühlt“! Gäbe es etwas Wichtigeres im politischen Kampf, als sich wohlzufühlen?

Das Problem, ob ich mit anderen das Patriarchat weghauen darf, die in anderen Fragen möglicherweise andere Ansichten vertreten wie ich und die mein politisches Anliegen durch ihre Kopräsenz zu verunreinigen drohen, ist ein ernstes. Es sollte auch mit aller Strenge vor jeder weiteren Kundgebung durchleuchtet werden. Es ist zum Beispiel noch nicht klar, ob mit denjenigen, die nun mit den falschen Un­ter­stüt­ze­r*in­nen, also mit Young Struggle und Zora, auf der Liste gestanden haben, überhaupt noch eine politische Aktion denkbar ist.

Auch steht das „8M!(HH)“-Bündnis vor der wirklich kniffligen Frage, wie es als erklärtermaßen komplett offenes Bündnis, das alle feministischen Gruppierungen einschließen will, einige dann doch ausschließen kann, zumal infolge der sich verfestigenden Offenheit Fluktuation herrscht: „Gruppen kommen und gehen“, so die „Stellungnahme zu Unterzeichnenden und Bündnisstrukturen“, die am 25. November alle zur Demo auf dem Alma-Wartenberg-Platz lädt. Pardon, natürlich nicht alle, sondern „Flinta* only“.

Das Demo-Bündnis zum Tag der Gewalt gegen Frauen steht vor der kniffligen Frage, wie es als offenes Bündnis einige dann doch ausschließen kann

Diese Selbstkritik ist löblich und darf auch vor anderen noch unbequemeren Fragen nicht halt machen. So auch nicht vor der Frage nach dem Datum des 25. November. Wer an diesem Tag auf die Straße geht, erinnert an Las Mariposas, die von den Schergen des dominikanischen Diktators Rafael Leónidas Trujillo brutal ermordeten Schwestern Mirabal. Heldinnen?! Ha! Um mal ein wenig Kontext zu geben: Diese Frauen haben den Staat bekämpft, der, gemessen an der Größe des Landes, die meisten aus Nazi-Deutschland geflüchteten Juden aufzunehmen bereit gewesen war. Können militante Streiterinnen gegen dieses System heute noch Vorbild sein? Muss nicht dringend das Verhältnis zu ihnen überdacht werden? Es bleibt spannend. Benno Schirrmeister

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen