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Ökonom zum Industriestrompreis„Er ist gut fürs Klima“

Der Ökonom Tom Krebs sagt, dass ein stabiler Strompreis Unternehmen im Land halten kann. Das gesenkte Risiko ermögliche erst die grüne Transformation.

Bessere Zeiten für die energie­intensive deutsche Wirtschaft? Regenbogen über dem Ruhrgebiet Foto: Hans Blossey/imago
Simon Poelchau
Interview von Simon Poelchau

taz: Herr Krebs, energieintensive Unternehmen drohen, Deutschland wegen angeblich zu hoher Strompreise zu verlassen. Die Ampel streitet deshalb über einen Industriestrompreis – seit Mai. Wird sie sich noch einigen?

Tom Krebs: Es gibt zumindest eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein Industrie- beziehungsweise Brückenstrompreis kommt. Immerhin konnten sich ja auch die Gewerkschaften darauf verständigen, dass die Strompreise übergangsweise staatlich reguliert werden müssen. Im DGB gab es in der Vergangenheit Diskussionen zwischen Befürwortern und Gegnern eines Industriestrompreises. Nun spricht sich der DGB geschlossen für die Verlängerung einer modifizierten Strompreisbremse aus.

Was unterscheidet diesen DGB-Vorschlag vom Industriestrompreis?

Im Interview: Tom Krebs

ist Wirtschafts­politik an der Universität Mannheim und ist für die Gewerkschaften Mitglied in der Mindestlohnkommission. In seiner Forschung untersucht er die Auswirkungen von Wirtschafts­krisen und Reformen auf Wachstum, Ungleichheit und die Lebensqualität der Menschen.

Der Industriestrompreis ist nur Teil eines Gesamtkonzepts zur Begrenzung der Stromkosten. Der Vorschlag sieht nicht nur Hilfen für energieintensive Unternehmen vor, sondern eine perspektivische Verlängerung der allgemeinen Strompreisbremse für alle Kunden bis 2030. Für Privathaushalte und Kleinstgewerbe soll der Strompreis auf 35 Cent pro Kilowattstunde und für kleine und mittlere Unternehmen auf 10 Cent gedeckelt werden. Teil der modifizierten Strompreisbremse sollte dann auch ein Brückenstrompreis für energieintensive Unternehmen in Höhe von 6 Cent pro Kilowattstunde sein. Das würde die Wirtschaft stabilisieren sowie insbesondere untere und mittlere Einkommen vor möglichen neuen Kostenexplosionen beim Strompreis schützen.

Sie plädieren auch für einen zusätzlichen Rabatt von einem Cent pro Kilowattstunde für Unternehmen, die sich an Tarifverträge mit Gewerkschaften halten. Was soll das bringen?

Unternehmen mit Tarifvertrag bezahlen in der Regel bessere Löhne und Gehälter als Unternehmen ohne Tarifbindung. So kann dieser Zusatzbonus einen wichtigen Beitrag leisten, die starken Reallohnverluste, die Beschäftigte durch den Inflationsschub 2022/2023 erlitten haben, längerfristig wieder auszugleichen.

Die Inflation klingt ab, auch der allgemein prognostizierte Rückgang der Wirtschaftsleistung in diesem Jahr von rund 0,5 Prozent ist im Vergleich zu vergangenen Krisen relativ gering. Braucht es überhaupt noch Maßnahmen wie den Industriestrompreis?

Die Energiekrise hat die deutsche Wirtschaft weitaus schwerer getroffen, als diese Zahlen suggerieren. Eigentlich hätte die Wirtschaft in diesem Jahr nach zwei Jahren Coronapandemie um 4 bis 5 Prozent wachsen müssen. Wir haben also unterm Strich einen Verlust bei der Wirtschaftsleistung von mindestens 4 Prozent. Das sind große Produktionsverluste, die auf die Energiekrise zurückzuführen sind. Da wäre es fatal, wenn jetzt noch aufgrund der hohen Strompreise energieintensive Unternehmen aufgeben oder ihre Produktion verlagern.

Und ein Industriestrompreis ist das richtige Mittel dagegen?

Ja, in Kombination mit anderen Maßnahmen wie zum Beispiel einer öffentlichen Investitionsoffensive. Ein Brückenstrompreis sichert nicht nur den Standort Deutschland, indem er den Unternehmen Planungssicherheit gibt. Er trägt auch zu mehr Resilienz der deutschen Wirtschaft bei.

Wieso macht ein Industriestrompreis die deutsche Wirtschaft resilienter, also widerstandsfähiger?

Wenn Unternehmen ihre Produktion wegen zu hoher Energiekosten ins Ausland verlagern, dann bedeutet das, dass deutsche Unternehmen gewisse Produkte künftig importieren müssen. Das kann zu gewaltigen Problemen führen, wie das Beispiel der deutschen Autobauer zeigt, die vor zwei Jahren ­wegen Chip-Lieferengpässen teilweise in Kurzarbeit gehen mussten.

Aus diesem Grund fördert die Bundesregierung jetzt mit Milliardensubventionen die Ansiedlung von Halbleiter-Firmen in Deutschland.

Prinzipiell ist das auch richtig. Übrigens ist die Begrenzung der Stromkosten auch Teil der Förderpakete für die Halbleiterhersteller. Ich möchte, dass die Bundesregierung für alle Unternehmen in Deutschland kalkulierbare Strompreise gewährleistet.

Die Industrie klagte bereits vor zehn Jahren im Rahmen der Debatte um die EEG-Umlage, mit der früher die Kosten der Energiewende auf die Verbraucher verteilt wurden, über angeblich zu hohe Stromkosten. Was hat sich seitdem verändert?

Dass wir eine Energiekrise haben. Und sie ist längst noch nicht vorbei. Strom ist immer noch doppelt so teuer wie vor der Krise. Deswegen muss der Staat den Unternehmen eine Brücke bauen, bis der Ausbau der Erneuerbaren den Strompreis wieder genügend nach unten gedrückt hat. Denn die Energiekrise ist eine Krise der fossilen Energie. Aus diesem Grund müssen wir auch so schnell wie möglich aus der Nutzung fossiler Energiequellen aussteigen. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Und deswegen ist der Industriestrompreis wichtig.

Andere Öko­no­m*in­nen gehen davon aus, dass Strom durch die Energiewende teurer wird. Eine Abwanderung energieintensiver Unternehmen sei deswegen gar nicht zu vermeiden. Was halten Sie von diesem Argument?

Ich gehe davon aus, dass sich der Strompreis langfristig auf einen Preis von 5 bis 8 Cent pro Kilowattstunde einpendelt, wenn die Ausbauziele der Bundesregierung erreicht werden und der Strommarkt funktioniert. Andere Öko­no­m*in­nen müssen erst mal begründen, warum Strom im Zuge der ­Energiewende noch teurer werden soll. Das Problem der Debatte um den Industriestrompreis ist, dass kaum jemand mit Zahlen arbeitet. Es gibt nur wenige Studien, die beziffern, wie sich die Strompreise in den nächsten Jahren entwickeln werden, und die Ergebnisse dieser Studien werden in der Debatte kaum verwendet. Deswegen kann man auch in der Ökonomenszene nicht vernünftig diskutieren, ob ein Brückenstrompreis wirklich eine Brücke in die Zukunft baut oder zur Dauersubvention wird.

Verhindert ein Industriestrompreis nicht wichtige Investitionen in den Klimaschutz, weil Unternehmen durch einen gedeckelten Strompreis keinen Anreiz zum Sparen haben?

Nein. Im Gegenteil. Der Industriestrompreis ist gut fürs Klima.

Warum?

Die gesamte Industrie wird sich im Rahmen der Energiewende transformieren müssen. Das gilt ganz besonders für die energieintensive Industrie. Eine klimaneu­trale Industrie wird eine auf Strom basierende Industrie sein. Gewisse Prozesse müssen von Erdöl und Erdgas auf Strom umgestellt werden. Doch die Unternehmen werden die dafür nötigen Investitionen nur tätigen, wenn sie einen Strompreis haben, mit dem sie kalkulieren können.

Wäre es dann nicht klimapolitisch sinnvoll, wenn gewisse energieintensive Produktionsschritte in Länder ausgelagert werden, in denen es erneuerbare Energien im Überfluss gibt?

Das wird vermutlich aber nicht passieren. Wahrscheinlicher ist es, dass die Unternehmen in Länder wie China oder Australien abwandern, die zwar gute Bedingungen für den Ausbau von erneuerbaren Energien haben, aber trotzdem noch viel mit fossilen Energieträgern wie Kohle arbeiten. Eine Abwanderung wäre also sogar schlecht für das Klima. Und für den Industriestandort Deutschland hätte es unüberschaubare Folgen.

Stromkosten machen laut Bundesbank im Schnitt lediglich 0,7 Prozent der gesamten Produktionskosten aus. Warum sind die Unternehmen da überhaupt so aufgeregt?

In energieintensiven Branchen wie der Chemie- und der Papierindustrie liegt der Anteil der Stromkosten aber bei 13 beziehungsweise 18 Prozent. Und wenn ein Produktionsschritt ausgelagert wird, kann das auch negative Folgen auf andere, nachgelagerte Produktionsschritte haben. Wenn zum Beispiel ein Aluminiumhersteller seine Produktion ins Ausland verlagert, dann sind nicht nur seine 2.000 Angestellten, sondern viel mehr Ar­beit­neh­me­r*in­nen davon betroffen.

Sie gehen von Kosten von bis zu 60 Milliarden Euro für Ihre modifizierte und verlängerte Strompreisbremse aus. Ist das nicht viel Geld?

Diese Maßnahme ist nicht zu teuer, wenn man die Verluste betrachtet, die eine Untätigkeit zur Folge hätte. Allein die kurzfristigen Produktionsverluste infolge der Energiekrise könnten sich bis Ende 2024 auf insgesamt 390 Milliarden Euro belaufen. Und eine Verlängerung der Strompreisbremse kann durchaus auch günstiger als die von mir veranschlagte Summe ausfallen, wenn die Energiewende schneller gelingt und die Strompreise schneller sinken.

Angesichts der gegenwärtigen Haushaltslage wird Ihr Vorschlag schwer zu finanzieren sein. Woher soll das Geld kommen?

Man könnte die Verlängerung der Strompreisbremse aus Mitteln des Wirtschaftsstabilisierungsfonds finanzieren, der bereits zur Finanzierung der aktuellen Gas- und Strompreisbremsen verwendet wird. Dessen Mittel sind bei Weitem noch nicht aufgebraucht. Man müsste also nicht an anderer Stelle sparen.

Das würde die FDP vermutlich aus finanzpolitischen Gründen ablehnen.

Die Finanzpolitik ist derzeit leider ein großes Standortrisiko.

Im FDP-geführten Finanzministerium sieht man das vermutlich anders. Minister Lindner hat mit dem Wachstumschancengesetz zudem gerade Entlastungen für die Unternehmen in Höhe von 7 Milliarden Euro auf den Weg gebracht.

Gerade am Wachstumschancengesetz kann man sehen, was derzeit falsch läuft. Denn darin enthalten ist eine Investitionsprämie für den Klimaschutz, die alle gut finden. Doch die dafür bereitgestellten Mittel – weniger als eine Milliarde Euro – sind viel zu gering, um einen ökonomischen Impuls zu erzeugen.

Trotzdem sind das wieder Milliarden für Unternehmen, während die Menschen allein mit der Inflation zurechtkommen müssen. Ist das nicht sozialpolitisch gefährlich?

Natürlich braucht es sehr viel mehr als nur einen Industriestrompreis. Es braucht zusätzliche Klima- und Sozialinvestitionen des Staates, die über das bereits Geplante hinausgehen. Und als wissenschaftliches Mitglied der Mindestlohnkommission bin ich für die Anhebung des Mindestlohns auf 14 Euro, die leider bisher am Veto der Arbeitgebervertreter gescheitert ist. Aber von einem Industriestrompreis profitieren auch Arbeitnehmer*innen.

Inwiefern?

In der Industrie werden in der Regel überdurchschnittlich gute Löhne und Gehälter bezahlt. Ein Industriestrompreis soll gewährleisten, dass die gutbezahlten und klimaneutralen Jobs der Zukunft in Deutschland geschaffen werden.

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2 Kommentare

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  • Wer die wirtschaftliche Situation unseres Landes und in der EU beurteilen will, muss berücksichtigen, dass die großen Player, die einst den größten Anteil am Exportüberschuss beitrugen, inzwischen abgewandert sind, dahin, wo sich günstiger produzieren liess, sei es über günstigere Rohstoffe und Manpower, als auch -wie zum Beispiel in China- durch Staatsunterstützung, die Investitionen in noch effiziezientere Automaten und Roboter möglich machen. Der größte Teil der Wertschöpfungskette ist abgewandert und -das ist auch die bittere Nachricht- die Unternehmen sind nicht mehr unabhängig, sondern chinesischem Management ausgeliefert. Auch wenn sie inzwischen einem ungeheuren Veränderungsdruck durch chinesische Entwicklungstätigkeit ausgesetzt sind, -das ist eine 'gute' Nachricht- es gibt hierzulande noch einen kreativen Mittelstand, der ursprünglich die -abgewanderten- Großen unterstützte und sich jetzt neu formieren muss. Es wäre gut, diese Unternehmen zu unterstützen, nicht zuletzt, um den Binnenmarkt zu fördern, um teure Importe, die Ursache für eine zunehmende Inflation sein können wie wir sie überall dort erleben, wo multinationale Konzerne für den Binnenarbeitsmarkt keine Rolle mehr spielen. Auf Teufel komm raus die jammerden 'Großen' wie BASF, Siemens-Energy zu subventionieren, ist rausgeschmissenenes Steuergeld, das man Habeck lieber nicht in die Hand gibt.

    • @Dietmar Rauter:

      Da gebe ich Ihnen Recht, die Schwerindustrie macht nur einen kleinen Anteil am BIP aus und diese Wandert auch nicht so einfach mal ab, denn das sind ebenfalls unternehmerische Herausforderungen.



      Aber eine Abwanderung dieser kann auch eine Kettenreaktion herbeiführen und mittlere und kleinere Unternehmen in dieser Wertschöpfungskette betreffen. Das sollte man auch mitbedenken.



      Außerdem führen höhere Strompreise zu höheren Produktkosten und gleichzeitig weniger Geld bei den Verbrauchern, was ich für eine schlechte Kombination halte, da das wirtschaftlich nicht rentabel scheint.



      Die Industriestrompreis muss aber an ganz klare und Klimaziele und sozialverträgliche Rahmenbedingungen geknüpft werden, sodass die Unternehmen die diesen Beziehen ein Umwandlung vollziehen müssen.