Kundgebung nach Femizid in Hannover: „Das Morden muss aufhören“

Auf einer Gedenkkundgebung trauern feministische Ak­ti­vis­t*in­nen in Hannover um die 21-jährige Leonie F.. Sie wurde von ihrem Ex-Freund erstochen.

Menschen stehen auf dem Goseriedeplatz in Hannover. Der Schriftzug "Keine mehr" ist auf einem Plakat zu lesen.

Trauer und Wut: Teil­neh­me­r*in­nen der Kundgebung am 15.11.2023 in Hannover Foto: dpa | Moritz Frankenberg

HANNOVER taz | Rund 160 Trauernde haben sich am Mittwochabend auf dem Goseriedeplatz in Hannover zu einer Gedenkkundgebung versammelt. „Wir sind heute hier, weil eine junge Frau von ihrem Ex-Partner getötet wurde“, schallt es über den Platz. „Es handelt sich um einen Femizid. Wir sind traurig. Wir sind wütend.“

Die Trauernden legen Blumen ab und zünden Kerzen an. Einige spannen zwischen zwei Laternen eine Wäscheleine und befestigen rote Kleidung und Schilder an ihr. „Unsere Organisierung ist unsere Selbstverteidigung“, steht auf einem, auf einem anderen: „Ni una menos“.

Die 21-jährige Leonie F. aus Hannover traf sich am 7. November mit ihrem Ex-Freund. Eine Woche vorher wurde die Beziehung beendet. Sie wollten persönliche Gegenstände übergeben. Mit einem Messer soll ihr Ex-Freund auf Leonie eingestochen haben. Schwer verletzt flüchtete sie aus ihrer Wohnung auf die Straße, wo sie starb.

Das Gedenken findet nicht am Tatort statt, sondern am ­Ni-una-menos-Platz. So wird die Goseriede von feministischen Ak­ti­vis­t*in­nen genannt. Am Frauenkampftag, dem 8. März 2020, wurde sie symbolisch umbenannt.

„Ni una menos“ ist Spanisch und bedeutet: „Nicht eine weniger“. Es ist der Name einer feministischen lateinamerikanischen Bewegung, die sich weltweit ausbreitet. Sie setzt sich gegen Gewalt an Frauen, Lesben, nichtbinären, trans, inter und a-geschlechtlichen Menschen (kurz: FLINTA*) ein.

Internationale feministische Kämpfe

Der Ni-una-menos-Platz sei ein Platz des feministischen Widerstandes, erklärt Lucia Schrader. Sie ist eine Sprecherin des Bündnisses, das die Gedenkkundgebung organisiert. Es sei wichtig, einen Ort zu haben,um Wut und Trauer zum Ausdruck zu bringen. Gleichzeitig sollten Familie und Freun­d*in­nen die Möglichkeit haben, am Tatort in Ruhe zu trauern, ohne von Zu­schaue­r*in­nen und der Presse gestört zu werden. Der Platz sei zentral gelegen, sodass Pas­san­t*in­nen auf die Femizide aufmerksam gemacht werden könnten.

Das Bündnis, dem rund 30 Fe­mi­nis­t*in­nen und feministische Gruppen angehören, organisiert regelmäßig Gedenken an Femizide, die in oder nahe Hannover passieren. Im September trauerten sie gemeinsam um eine 61-jährige Frau aus Schaumburg und im vergangenen Jahr gedachten sie der 35-jährigen Esra C. aus Burgdorf. „Es muss ein würdevolles Gedenken geben“, sagt Schrader und fordert: „Das Morden an FLINTA* muss aufhören. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.“

Die Redebeiträge und Lieder der Kundgebung beziehen sich auf internationale feministische Kämpfe. Mehrfach wird „Frauen, Leben, Freiheit“ auf Deutsch und Kurdisch gerufen: „Jin, Jiyan, Azadî“. Diese Parole hat ihren Ursprung in der kurdischen Frauen- und Freiheitsbewegung. Weltweit bekannt wurde sie im letzten Jahr durch die iranische Frauenrevolution – ausgelöst durch den Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini im Iran, die im September 2022 von islamischen Sittenwächtern wegen eines angeblich nicht richtig getragenen Kopftuchs festgenommen wurde und kurze Zeit später in einem Krankenhaus starb.

„Wundert euch nicht über die Auflagen. Das Gedenken an Leonie wurde von einer Kurdin angemeldet“, sagt eine Rednerin zu Beginn der Kundgebung am Mittwoch und liest vor: „Wir dürfen keine PKK-Symbole zeigen.“ Die darauf folgenden Redebeiträge betonen den Zusammenhang zwischen dem Patriarchat und Morden an FLINTA*. „Wir trauern, weil ein Mann einer Frau das Leben nimmt. Weil er kein Nein akzeptiert. Wir kennen diese Dynamik: wenn unser Nein nicht akzeptiert wird; wenn wir bevormundet werden“, heißt es zur patriarchalen Gewalt.

Femizide werden nicht systematisch erfasst

Eine Studie des BKA für das Jahr 2022 zeigt: Mehr als 14 Frauen sind jede Stunde von Gewalt des Partners betroffen. Fast jeden Tag versucht ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten. Ungefähr jeden dritten Tag gelingt es. Im vergangenen Jahr wurden 133 Frauen durch den Partner oder Ex-Partner getötet.

Wie viele Frauen außerhalb der Beziehung oder Ex-Beziehung getötet wurden, wird nicht systematisch erfasst. ­Lucia Schrader erzählt von der Plattform „Femizide stoppen“, die versuche, alle Femizide in Deutschland zu erfassen. Auch solche außerhalb der Partnerschaftsgewalt. Dafür würden Presseberichte und Polizeimeldungen systematisch gescannt. Leonie sei der 97. dokumentierte Femizid in diesem Jahr.

Mit Tränen in den Augen und Wut in der Stimme spricht eine Rednerin zum Abschluss der Kundgebung „Wir müssen zusammenstehen, den Schmerz und die Wut teilen. Wenn wir zusammenstehen, werden wir die globale patriarchale Gewalt überwinden.“ Danach singen die Ver­an­stal­tungs­teil­neh­me­r*in­nen gemeinsam das Lied „Patria Ciao“. Eine feministische Umdichtung des italienischen Par­ti­sa­n*in­nen­lie­des „Bella Ciao“.

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