Roman „Torero, ich hab Angst“: Macho-Heroismus linker Mythologie

Gegen Queerfeindlichkeit und Femizide: Pedro Lemebel dient jungen ChilenInnen als Vorbild. Suhrkamp verlegt nun seinen einzigen Roman neu.

Ein Mann mit Brille und beigem Bandana wie Oberteil lehnt in einem Türrahmen – in seiner Hand eine Zigarette.

Inzwischen verstorben, 2008 noch virtuos und campy: der chilenische Autor Pedro Lemebel Foto: Effigie/Leemage/picture alliance

Divenhaft, auf Stöckelschuhen und in eine rote Federboa gehüllt, präsentierte sich der chilenische Schriftsteller und Performance-Künstler Pedro Lemebel zu Lebzeiten provokant der chilenischen Öffentlichkeit. Bei seiner Beerdigung 2015 würdigte die damalige Kulturministerin den Ausnahmekünstler, dessen Werk von Marginalität und sexueller Differenz erzählt: „Mit seiner Kraft und Respektlosigkeit zwang er die Chilenen, auf ein Chile zu blicken, auf das man nicht schaut.“

Denn damit war der homosexuelle Autor und Aktivist der Gesellschaft weit voraus. Erst vier Jahre nach seinem frühen Tod weckte der „Estallido“, die soziale Revolte, Chile 2019 auf. Eine junge Generation von Chi­le­n*in­nen stellte die herrschenden Verhältnisse infrage und forderte soziale Gerechtigkeit.

Sie wendete sich auf den Straßen des Landes gegen Femizide, Homo- und Transfeindlichkeit. 2021 feierte die feministische Performancegruppe Las Tesis den 1955 geborenen Pedro Lemebel in ihrem berühmten Manifest als inspirierendes Vorbild, der selbstbewusst für sein Anderssein sprach und es politisch verstand.

Nicht nur in dem südamerikanischen Chile erfährt das Thema sexueller Dissidenz heute größere gesellschaftliche Beachtung. Vielleicht aus diesem Grund entschied der Suhrkamp-Verlag, Pedro Lemebels Roman „Tengo miedo torero“(2001) – „Torero, ich hab Angst“ – in einer überarbeiteten Übersetzung erneut zu verlegen.

Anna Seghers-Preis für Pedro Lemebel

Denn „Träume aus Plüsch“, so der Titel einer früheren deutschsprachigen Ausgabe, war 2004 als Taschenbuch ohne größere Resonanz erschienen. Daran änderte auch 2006 die Auszeichnung des chilenischen Autors mit dem Anna Seghers-Preis in Berlin wenig.

Virtuos und campy erzählt „Torero, ich hab Angst“ von der aussichtslosen Romanze zwischen einem älteren, homosexuellen Transvestiten und einem bildhübschen Guerillero der „Frente Patriótico Manuel Rodríguez“.

Dabei entwickelt Lemebel seinen kapriziösen Liebesroman vor dem Hintergrund realer Ereignisse des Jahres 1986: Am 7. September verübte jene militante „Frente Patriótico Manuel Rodríguez“ ein Attentat auf Augusto Pinochet. Unverletzt überlebte der General den Anschlag. Doch das Jahr markiert für viele Chilenen einen Wendepunkt, der das Ende der Diktatur einläutete und es vier Jahre später mit dem Plebiszit besiegelte.   

Im kontrastreichen Wechsel mit Szenen aus dem Hause des greisen Diktators und seiner geschwätzigen Ehefrau schildert der Roman die Tage vor dem Anschlag aus der Perspektive der „Tunte“, die, gezeichnet von den Jahren, zurückgezogen in einem baufälligen Haus im Zentrum Santiagos ihre Bolero-Traumwelt lebt. „Ich habe Angst, Torero, ich habe Angst, dass heute Nachmittag dein Lachen schwebt.“

Mal explizit pornografisch, mal blumig verkitscht

Umso bereitwilliger lässt sie sich von dem hübschen Carlos überreden, einige „Bücherkisten“ seiner vermeintlichen Kommilitonen unterzustellen. Für die Guerilla ist ihr Haus das perfekte Versteck.

Viel später erst wird „die Tunte von der Front“ den Angebeteten mit gespielter Überraschtheit zur Rede stellen: „Du willst doch wohl nicht sagen, dass du zur Patriotischen Front ­Manuel Rodríguez gehörst? Es müsste längst ,wir' heißen, ­murmelte Carlos.“ Spätestens an dieser Stelle erklärt sich der vom Übersetzer etwas unglücklich gewählte Name der Protagonistin, die im spanischen Original „la Loca del Frente“ und in der englischsprachigen Ausgabe „Queen of the Corner“ heißt.

Lemebels literarische Sprache ist reich an folkloristischen Chilenismen und spielerischen Synonymen, die sich aus seiner eigenen Erfahrungswelt speisen. Mal explizit pornografisch, mal blumig verkitscht. Im Interview mit der chilenischen Tageszeitung Las Últimas Noticias erklärte er 2001: „Ich bin Schriftsteller und als solcher habe ich die Freiheit, eine Sprache zu entwickeln, die mich repräsentiert.“ Diese ohne stilistische Verluste ins Deutsche zu übertragen, ist eine Herausforderung.

In seinem einzigen Roman zeichnet der Chronist Pedro Lemebel ein lebendiges Porträt der chilenischen Klassengesellschaft während jener bleiernen Jahre. „Trotz allem war es ihr Santiago, ihre Stadt, waren es ihre Leute, die einen Lebenskampf in dieser Prügeldiktatur führten, während die dreifarbigen Papierschlangen in der Frühlingsluft flatterten.“ Anschaulich verhandelt er darin Doppelmoral, unterdrückte Homosexualität und Gewalt genauso wie den langlebigen Macho-Heroismus linker Mythologie.

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