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Krieg in der UkraineKein Konflikt, aber Spannungen

Wie ist die Lage der Ukraine an der Front? Präsident Wolodimir Selenski und der Oberbefehlshaber der Armee sind sich nicht einig.

Ein von einer russischen Drohne getroffenes Auto nahe Donezk Foto: Serhii Nuzhnenko/Radio Liberty/reuters

Berlin taz | Die vergangene Woche war nicht gerade leicht für die militärische und politische Führung der Ukraine. Zum ersten Mal seit Beginn der großen russischen Invasion diskutiert die ukrainische Öffentlichkeit aktiv über die innenpolitischen Spannungen, die man schon fast als offenen Konflikt bezeichnen könnte.

Im Zentrum stehen Präsident Wolodimir Selenski und Armeechef Walerij Saluschnyj. Beide Männer haben breite Unterstützung in der Bevölkerung und sind für die Ukrainer Symbole im Kampf gegen die russische Aggression. Doch im 21. Kriegsmonat haben sie unterschiedliche Vorstellungen davon, wo die ukrainische Armee steht. Was wiederum an die Öffentlichkeit gedrungen ist und zu Gerüchten über Risse im Verhältnis der beiden geführt hat.

Auslöser dafür war ein Artikel von Saluschnyj am 1. November im Economist. Darin schreibt der Armeechef, die Kampfhandlungen hätten sich zu einem Stellungskrieg entwickelt, der bald zu einer Pattsituation und am Ende zur Erschöpfung einer der Seiten führe – und zwar wahrscheinlich nicht der russischen. Darum müsse die ukrainische Armee technologisch besser ausgerüstet werden. Er bitte die Verbündeten um Unterstützung der ukrainischen Luftstreitkräfte.

Dies sowie sein Eingeständnis, das Tempo der ukrainischen Gegenoffensive falsch eingeschätzt zu haben, war für viele eine kalte Dusche. Offenbar auch für das Präsidialamt, wie man an Selenskis Reaktion erkennen konnte. „Das ist keine Pattsituation. Wir haben Probleme und unterschiedliche Meinungen, aber wir haben kein Recht, die Hände in den Schoß zu legen“, sagte Selenski.

Entlassung per Dekret

Denn: „Was wäre die Alternative? Auf ein Drittel unseres Landes zu verzichten? Damit ist nichts vorbei. Wir wissen, was ein eingefrorener Konflikt ist. Wir müssen bei der Luftverteidigung mehr mit unseren Partnern zusammenarbeiten und unseren Soldaten die Möglichkeit geben, in die Offensive zu gehen.“

Die Spannungen verschärften sich, als Selenski wenig später einen hochrangigen Kommandeur ohne Rücksprache per Dekret entließ und sich damit quasi in Saluschnyjs Verantwortungsbereich einmischte. Damit wurde das Gerücht befeuert, Selenskyj wolle Saluschnyj nicht nur unter Druck setzen, sondern ihn selbst feuern.

Und auch wenn es aktuell keine eindeutigen Anzeichen für einen Rücktritt des Armeechefs gibt, sorgt diese Situation für Unruhe. Gerüchte über einen möglichen Konflikt der beiden tauchen seit Frühjahr 2022, als der Armeechef durch seine Erfolge an der Front das absolute Vertrauen und die Sympathie der Ukrainer gewonnen hat, immer wieder auf.

Tatsächlich ist General Saluschnyj derzeit der Einzige, der im Falle von Präsidentschaftswahlen, über die immer häufiger gesprochen wird, mit Selenski konkurrieren könnte. Gleichzeitig hat Walerij Saluschnyj bereits mehrfach politische Ambitionen bestritten. Seit Februar 2022 hat er nur zweimal Interviews gegeben – für die westliche Presse. Und obwohl er die Konkurrenz des populären Saluschnyjs spürt, weiß Selenskyj, dass er dessen militärisches Genie braucht.

Zwei Ziele

Ukrainische Po­li­to­lo­g:in­nen vermuten, dass Saluschnyj mit dem Artikel im Economist zwei Ziele verfolgt haben könnte. Entweder war dies seine einzige Möglichkeit, Selenski über die reale Lage an der Front zu informieren, denn direkt will der nichts von einer Pattsituation hören. Oder der General wollte seine Autorität nutzen, um die Lieferung der benötigten Waffen zu beschleunigen.

Möglicherweise hatte Saluschnyj diesen Schritt nicht mit dem Präsidialamt abgestimmt, was auf Kommunikationsprobleme zwischen den beiden Schlüsselfiguren in der Ukraine hindeutet. Außerdem könnte Selenskis Verärgerung daher rühren, dass sich jemand mit großer Autorität in seine internationale Kommunikationsstrategie eingemischt hat.

Dennoch haben sowohl Selenski als auch Saluschnyj nach wie vor das Ziel, den Krieg mit einem ukrainischen Sieg zu beenden. Aber angesichts der Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung, der langsamen Fortschritte der ukrainischen Armee, der Ungewissheit über die künftige militärische Unterstützung durch die Partner und der schwindenden Aufmerksamkeit angesichts des Krieges im Nahen Osten sind solche besorgniserregenden Signale über interne Konflikte nicht das, was die Ukraine im Moment braucht.

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10 Kommentare

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  • The Ukrainian counteroffensive already failed?

    Zitat: „angesichts der Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung, der langsamen Fortschritte der ukrainischen Armee, der Ungewißheit über die künftige militärische Unterstützung und der schwindenden Aufmerksamkeit sind solche besorgniserregenden Signale über interne Konflikte nicht das, was die Ukraine im Moment braucht.“

    Ja, was braucht die Ukraine dann „im Moment“ angesichts alldessen?

    „Dieser Krieg wird höchstwahrscheinlich nicht mehr durch größere Durchbrüche und überraschende Manöver entschieden. Darauf wies der Kriegsforscher Phillips O´Brien zuletzt hin.“ (B. Reuter im „Tagesspiegel“ v. 6.10.) Auch der britische Militär- und Diplomatiehistoriker Prof. G. Roberts von der Royal Irish Academy sieht das ähnlich: Generell bestehe „keine Aussicht auf irgendeine Art von strategischem Durchbruch. Die ukrainische Gegenoffensive ist gescheitert. („The Ukrainian counteroffensive has already failed.“) Die materiellen und menschlichen Kosten der gescheiterten Offensive waren enorm, und langsam, aber sicher, verschiebt sich das militärische Gleichgewicht entscheidend zu Gunsten Russlands. Trotz massiver westlicher Hilfe verliert die Ukraine eindeutig den Krieg. Es bleibt abzuwarten, ob diese Realität die westlichen Entscheidungsträger dazu veranlaßt, sich der Diplomatie zuzuwenden und ein Verhandlungsende des Krieges anzustreben. (In: Brave New Europe, 27.8.2023) Bereits im November 2022 appellierte der damalige Chairman of the Joint Chiefs of Staff, Gen. M. Milley an beide Seiten einzusehen, „daß sie ihre Kriegsziele nicht mit militärischen Mitteln erreichen können und in Verhandlungen eintreten sollten.“

    Was es braucht, ist also die Einsicht in Kiew, diesen in einem mörderischen Stellungskrieg à la Verdun festgefahren Konflikt lieber früher als später gesichtswahrend mit einem Deal mit dem Kreml zu beenden, wie von Kissinger vor dem WEF ventiliert und sogar aus dem Umfeld von Nato-Generalsekretär J. Stoltenberg, aufgegriffen.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Sie haben hoffentlich auch einen guten Plan für die 10 bis 20 Millionen Flüchtlinge, die zu erwarten sind, wenn Russland die Ukraine unterworfen hat.

      Ich habe den nicht.

      Unser Herr Bundeskanzler ist in der Unterstützung der Ukraine so zurückhaltend, dass man vermuten kann, dass auch er einen solchen Plan hat. Ohne Kertsch- Brücke wäre die Situation so, dass Russland grössere, Verhandlungsbereischaft zeigen würde. bzw. überhaupt welche. Bisher ist Russland ja allenfalls bereit, über die Modalitäten einer ukrainischen Kapitukation zu reden, mit den oben erwähnten Folgen.

      • @Carsten S.:

        Nun, es leben in der Ukraine noch etwa 30 Millionen Menschen, davon viele bereits unter russischer Besatzung (ob aus Sympathie oder mangels Alternativen oder Fluchtchancen können wir hier sicher nicht beurteilen).



        Russland hat weder Interesse bekundet, die Westukraine zu besetzen noch haben sie jemals westlich des Großraums Kiew Bodentruppen entsandt. Von daher ist nicht mit 10 bis 20 Millionen Flüchtlingen zu rechnen, wenn dann mit vielen Binnenflüchtlingen.



        Das Problem ist: Taurus ist auch nur eine der langen Liste der "Wunderwaffen". Da waren Manpads, Bayrakthar-Drohnen, HIMARS, der Leopard II, Storm Shadow...



        Ich bezweifle nicht, dass wir den Preis für Russland hochtreiben können.



        Natürlich könnte man die Kertsch-Brücke zerstören. Was wäre die Reaktion Putins? Können Sie diese voraussehen? Wie würden Sie z.B. eine thermobarische Bombe auf Kiews Regierungsviertel kontern?

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @Reinhardt Gutsche:

      Welchen Stoltenberg meinen Sie



      (oder welche Mitarbeiter?) - - und auf welche Argumente beziehen Sie sich?



      ==



      1.. O - Ton Stoltenberg vom 09.11.2023 20:56 Uhr:

      ""Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sichert der Ukraine weiter Unterstützung für die Verteidigung vor den russischen Angriffen zu.

      Zudem hebt Stoltenberg Kiews militärische Erfolge hervor.

      Mit Blick auf die ukrainischen Warnungen vor einem Stellungskrieg sagt Stoltenberg, dass zwar alle Unterstützer Kiews schnellere und größere Fortschritte begrüßen würden.

      "Gleichzeitig müssen wir auch erkennen, dass die Ukraine bereits große Erfolge erzielt hat." Als Russland seinen Angriff auf die Ukraine im vergangenen Jahr begonnen hatte, habe es geheißen, Kiew werde in wenigen Tagen fallen.

      Tatsache ist, dass es der Ukraine gelungen ist, im Norden, im Osten, im Süden Geländegebiete zu befreien, 50 Prozent dessen, was die Russen nach der Invasion besetzt haben.""

      2.. Ihr Kommentar mithilfe der bekannten Wagenknecht Populismus - Scheinargumentation, (ohne jegliche Sachkenntnis) die sie bei jeder Gelegenheit seit Wochen weit abseits der Realität abspielt, erklärt zwischen den Zeilen, das sich die Ukrainer mit einem russischen Folterregime und einer menschenunwürdigen abscheulichen russischen Diktatur auf eigenem Grund und Boden abfinden sollten.

      3.. General Milley zum Ukrainekrieg:



      „Aber das ist der Unterschied zwischen einem Krieg auf dem Papier und einem echten Krieg. Hier werden wirklich Menschen getötet und Fahrzeuge in die Luft gesprengt. Daher neigen die Leute dazu, in solchen Situationen langsamer zu werden.

      "Aber es ist sehr überlegt, und sie



      (die Ukraine) machen jeden Tag Fortschritte“, sagt Milley.

      4.. Was halten Sie davon Ihre Argumentation an die tatsächlich getätigten Aussagen von Milley und Stoltenberg anzupassen?

  • Schön, dass hier Mal ein wenig über die Kriegsmüdigkeit und den inneren Konflikt berichtet wird.

    Ich denke, dass an dieser Stelle auch nochmal deutlich wird wie wichtig Wahlen sind.

    Saluschnyj könnte zb ein guter Gegenkandidat sein, um mittelfristig Frieden mit Russland schließen zu können.



    Er weiß gut über den kritischen Zustand der Armee Bescheid und würde trotzdem nicht in den Verdacht geraten ein Verräter zu sein.

    • @Alexander Schulz:

      "Saluschnyj könnte zb ein guter Gegenkandidat sein, um mittelfristig Frieden mit Russland schließen zu können."



      Der Gedanke ist so was von völlig irre und bar jeder Rückbindung zur politischen Wirklichkeit in der Ukraine, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll.



      Haben Sie sich das selbst ausgedacht?

    • @Alexander Schulz:

      Sie meinen sicherlich Wahlen wie Ihr Freund Wladimir sie regelmäßig abhält? Frieden mit Russland kann es erst geben, wenn Ihr Freund und seine Entourage nicht mehr an der Macht sind, je eher desto besser für die Welt. Wollte Russland Frieden, dann gäbe es diesen Krieg nicht; da können Sie noch Sand streuen.

      • @Fran Zose:

        Ich begrüße Argumente auf sachlicher Ebene. Mir zu unterstellen, dass ich Sympathien für Putin habe ist sehr unpassend, da ich seine Verbrechen bereits mehrfach verurteilt habe.



        Leider sind diese Diffamierung nicht unüblich, wenn man für differenzierte Sichtweisen eintritt.



        Natürlich könnte Russland sich zurückziehen und den Krieg sofort beenden (wünschenswert wäre das), aber bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass das einfach sehr unrealistisch ist.

        • @Alexander Schulz:

          Es ist nur unter der gegenwärtigen - gedrosselten - Rüstungslieferung aus dem Westen unrealistisch.



          Würde man die Arsenale mit Streumunition speziell für MARS2 und HiMars (M26) freigeben, sähe das schon anders aus.