Generalstreik im Westjordanland: „Die Menschen in Gaza haben Rechte“

Über 50 Menschen sterben bei Angriffen auf ein Flüchtlingslager in Gaza. Aus Protest treten Palästinenser im Westjordanland in den Generalstreik.

Ein Mann auf einem Trümmerhaufen stützt den Kopf in seine Hände

Am 1. November suchen Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen im Flüchtlingslager Dschabalia nach Überlebenden Foto: Mohammed Al-Masri/reuters

Es war ein seltener Anblick am Mittwoch auf dem zentralen Al-Manara-Platz in Ramallah: Die sonst Tag und Nacht belebten Straßen waren wie leer gefegt, Geschäfte und Restaurants hatten geschlossen. Die regierende Fatah-Partei hatte für Mittwoch zum Generalstreik im gesamten Westjordanland aufgerufen. Anlass war nicht nur der Krieg in Gaza, sondern auch die zunehmende Gewalt im Westjordanland.

Auf dem Kreisverkehr neben den berühmten Löwenstatuen im Zentrum Ramallahs, der De-facto-Hauptstadt des Westjordanlands, steht bereits um 10 Uhr eine Gruppe Jugendlicher, junge Frauen und Männer, gekleidet in schwarz-weiße Kufijas. Sie protestieren gegen die israelischen Luftangriffe auf Gaza. „Wir wollen, dass das, was in Gaza passiert, aufhört. Das ist das Einzige, was wir im Augenblick tun können“, sagt eine junge Frau der taz.

Kurze Zeit später zieht ein weiterer Protestzug durch die Stadt, diesmal sind auch Frauen und Familien mit Kindern dabei. Sie schwenken Hamas-Flaggen, rufen „Allahu Akbar“ (Allah ist der Größte), „Freies Palästina“ sowie Kampfaufrufe.

Nahezu zur selben Zeit protestiert eine Delegation verschiedener Organisationen und Parteien vor dem Büro des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen. Auch sie verlangen einen Stopp der Luftangriffe und fordern den Internationalen Strafgerichtshof zum Handeln auf. „Auch die Menschen in Gaza haben Rechte“, sagt ein Priester der melkitischen Kirche. „Ein paar Lkws (mit Hilfsgütern, d. Red.) pro Tag werden das Problem nicht lösen. Das grundlegende Problem ist die Besatzung“, fügt Menschenrechts­aktivist Issam Aruri hinzu.

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Seit Wochen demonstrieren täglich Menschen in Ramallah, auch Streiks gab es bereits. Durch schwere Luftangriffe auf das dichtbesiedelte Flüchtlingslager Dschabalia im Norden des Gazastreifens am Dienstag war die Lage am Mittwoch aber angespannter als zuvor. Bei dem Angriff waren nach Angaben der israelischen Armee etwa 50 Menschen getötet worden, darunter auch ein Hamas-Führer. Der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa zufolge könnten einige Hundert Menschen verletzt worden sein. Die Hamas gab an, bei den israelischen Angriffen seien auch sieben Geiseln aus Israel ums Leben gekommen.

Am 7. Oktober hatte die radikalislamistische Hamas israelische Dörfer und Städte überfallen, etwa 1.400 Israelis getötet und mehr als 240 entführt. Daraufhin führte die israelische Armee Luftschläge auf Ziele im von der Hamas kontrollierten Gazastreifen durch. Dabei tötete sie nach Hamas-Angaben mehr als 8.700 Menschen in Gaza, davon etwa 40 Prozent Kinder.

Gewalt in Gaza und im Westjordanland intensiviert

Seit dem Terrorangriff der Hamas nimmt auch im Westjordanland die Gewalt zu. Durch Konfrontationen mit israelischen Streitkräften und Siedlern sind laut dem palästinensischen Gesundheitsministerium seit dem 7. Oktober mindestens 125 Menschen ums Leben gekommen.

Am Mittwoch gab es laut Wafa erneut Zwischenfälle: Israelische Siedler eröffneten demnach das Feuer auf Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen in einem Dorf südlich von Nablus. Bei Razzien des israelischen Militärs im nordwestlichen Dorf Tulkarem wurde ein behinderter Mann erschossen, drei weitere wurden bei Auseinandersetzungen in Dschenin getötet.

Am Mittwoch gingen die Luftangriffe auf den Gazastreifen weiter, laut al-Dschasira griff Israel auch erneut das Flüchtlingslager Dschabalia an. Dabei sollen laut Hamas dutzende Menschen getötet oder verletzt worden sein. In etlichen Städten in Israel heulten am Mittwoch die Sirenen, nachdem aus dem Gazastreifen erneut Raketen auf das Land abgeschossen wurden. Nach israelischen Angaben vom Mittwoch wurden am Vortag elf israelische Soldaten bei „erbitterten Kämpfen“ mit der Hamas „tief im Gazastreifen“ getötet. Die Zahl der getöteten israelischen Soldaten seit Beginn des Krieges stieg damit auf insgesamt 326.

Evakuierung von Verletzten

Die israelische Armee hatte in den vergangenen Tagen ihre Bodenoffensive in dem Küstenstreifen intensiviert. „Unsere bedeutenden Erfolge bei den heftigen Kämpfen fordern zu unserem Leidwesen einen hohen Tribut“, erklärte Israels Verteidigungsminister Joav Gallant.

Karte von Israel

Unterdessen hat ein Deal zwischen der Hamas, Israel und Ägypten ermöglicht, dass erstmals verletzte Palästinenser sowie Inhaber ausländischer Pässe über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten ausreisen konnten. In Krankenwagen wurden einige Dutzend Menschen nach Ägypten gebracht.

Die Abmachung sieht vor, dass weitere Personen in kritischem Zustand oder mit ausländischer Staatsangehörigkeit aus Gaza evakuiert werden. Wie viele und wann, war am Mittwochnachmittag noch unklar. Der Ägyptische Rote Halbmond bestätigte der Deutschen Presse-Agentur am Mittwochnachmittag die Einreise von 285 Personen. Unter den Ausländern im Gazastreifen sind auch mehrere hundert deutsche Staatsbürger.

Erneut Internetausfälle in Gaza

Aus Gaza wurden am Mittwoch erneut Internetausfälle gemeldet, auch die Telefonverbindungen waren stundenlang gekappt. Menschen konnten ihre Angehörigen nicht erreichen, NGOs beklagen, dass die Ausfälle ihre Arbeit behindern. Insgesamt ist laut internationalen Organisationen sogar die Verteilung von Hilfsgütern aufgrund von zerbombten Straßen und Benzinknappheit schwer. Die durchschnittlichen 14 Lkws mit Hilfsgütern, die inzwischen jeden Tag den Grenzübergang passieren, seien zudem viel zu wenig für eine Bevölkerung von 2,3 Millionen Menschen, die unter Lebensmittelknappheit leide.

Arabische Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien verurteilten den Angriff auf das Flüchtlingslager Dschabalia am Mittwoch. Jordanien zog seinen Botschafter aus Israel ab. Das südamerikanische Land Bolivien kündigte an, die diplomatischen Beziehungen zu Israel abzubrechen.

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