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Digitalisierung und MündigkeitDie KI ist nicht am Zug

Vor digitalen Neuerungen können wir uns nicht drücken, wenn wir kommende Engpässe überwinden wollen. Das Zauberwort dafür heißt Bildung – wie so oft.

Nicht die bösartige Maschine stellt die unmittelbare Gefahr dar, sondern Trolle und Fake News Foto: Stefan Ziese/imago

I n Frankreich steht vor unbeschränkten Bahnübergängen ein Schild: „Attention. Un train en peut cacher un autre.“ Sinngemäß: der Zug, auf den sie achten, könnte den hinter ihm heranrasenden verdecken. Passen Sie auf, was sich hinter dem Vordergrund abspielt. Auch bei der Diskussion über sogenannte künstliche Intelligenz ist dieser Rat angebracht.

Seit in diesem Frühjahr Millionen von Menschen mit Chat-GPT oder GPT 4, mal mehr, mal weniger ernsthaft gespielt und damit die Leistung des Systems verbessert haben, wird allenthalben über KI diskutiert. Auf der einen Seite verheißen die Entwickler eine Gesellschaft mit rationaler Bürokratie, smarten Städten und märchenhaftem Wachstum. Gleichzeitig warnen führende Betreiber von „künstlicher Intelligenz“ vor deren Gefahren: Unkontrolliert könne sie unzählige Menschen überflüssig machen und die Welt mit Fake News überschwemmen. Ultimative Steigerung: KI könnte die menschliche Zivilisation auslöschen. Die Entwickler forderten ein Moratorium – an das sie sich natürlich nicht hielten.

Diese überdrehte Vernichtungsdrohung durch eine fehlfunktionierende oder gar bösartige Maschine durchzieht, trotz aller technischen Aufklärungen, nach wie vor die Feuilletons. Selbst seriöse Forscher hüllen sich oft in Skepsis, wenn sie gefragt werden, ob die Maschinen Selbstbewusstsein entwickeln können.

Hinter den Märchen von mörderischer Software oder den Warnungen vor unüberprüfbaren KI-Entscheidungen gerät eine diffuse, aber machtvolle Entwicklung in den Hintergrund. Nicht eine aus dem Ruder laufende, sondern ein ganz normal funktionierende Digitalisierung könnte das kommende große Problem sein: die Vision einer Menschheit, in der die kooperativen und kreativen Aspekte von Arbeit in Algorithmen ausgelagert werden.

Ein wirklicher Bildungswumms dürfte unter 100 Milliarden Euro nicht zu haben sein. Das wäre ein Anfang

Eine Menschheit, die mit manipulativem Marketing oder mit Anweisungen aus dem Zentralkomitee auf Trab gehalten und mit kultureller Billigware stillgestellt wird; in der Trolle und Fake News die Demokratie zersetzen und Menschen mit märchenhaftem Reichtum die Lieferketten und die Sinnfabriken kontrollieren; die Vision von automatisierten Grenzkontrollen und Technokriegen – diese Gefahren sind jedenfalls weit realistischer als eine diabolische Killer-KI.

Auch wenn – oder gerade weil – sich das Fenster für eine Zähmung der von Oligarchien getriebenen Umwälzungen gerade rasant schließt: Wir können uns vor einer folgenreichen Diskussion nicht mehr drücken. Zum Beispiel darüber, wie wir Leben und Zusammenleben organisieren. Wollen wir die Alten von Robotern pflegen lassen, wollen wir lebendige Lehrer durch Lernautomaten ersetzen, die Vielfalt des Marktes durch ein paar planwirtschaftlich organisierte Oligopole planieren lassen? Wollen wir die Erziehung zur demokratischen Mündigkeit durch digitale Kontrollen à la Volksrepublik China oder durch die Lernsoftware welcher Multis auch immer ersetzen lassen?

Wir werden Technik brauchen

Auch wenn die Verheißung, dass das Internet Menschheitswissen fast kostenlos allen zugänglich machen werde, Computer eine rationelle Ökonomie und eine gerechte Verteilung möglich machen, arg lädiert ist – wir können auf beides nicht verzichten. Aus der Sackgasse der kapitalistischen Evolution kommen wir nur mit Algorithmen und menschlicher Intelligenz heraus. Wir werden Technik, auch die zur Überwachung und Planung, und automatisierte Prozesse brauchen, um die Engpässe der kommenden Jahrzehnte zu überwinden, um die Temperaturen und den Schwund von Fauna und Flora zu bremsen.

Und das heißt auch: Je komplexer und allumfassender die kapitalgetriebene Technik wird, desto klüger, urteilsfähiger und politisch aktiver müssten die Menschen werden, wenn wir uns noch als Individuen wiedererkennen wollen und nicht als Anhängsel von Apps und Algorithmen. Und umso aufgeklärter müssen Politiker sein, vor allem aber: durchsetzungsstark gegen die techno-kapitalistischen Oligarchen.

Das Zauberwort heißt Bildung. Auch die vorige große Epochenwende, hin zur bürgerlichen Gesellschaft und zum industriellen Kapitalismus, ging einher mit einer Bildungsrevolution. Angesichts einer erneuten Steigerung der manuellen und intellektuellen Fähigkeiten des Menschen durch ihre Automatisierung geht es darum, die technische, digitale, historische, literarische und anthropologische – kurz und knapp: die umfassende polytechnische und humanistische – Bildung zu steigern, und dazu die Motivation, die eigenen Leben nicht aus der Hand zu geben, sondern aktiv zu gestalten.

Wo bleibt der Bildungsprotest?

Die Forderung von „Bildung“ und nicht nur von Wissen für alle ist so alt wie die Neuzeit, aber heute geht es dabei, in den Politsprüchen und bei den Kapitalliberalen, eigentlich nur um Fachkräfteeinwanderung oder um „Startchancen“ – also um Rekrutierungshilfen für die Exportwirtschaft und zwei Lehrer für die schlechtesten 10 Prozent der allgemeinbildenden Schulen. Ein wirklicher Bildungswumms aber dürfte unter 100 Milliarden Euro nicht zu haben sein.

Das wäre ein schöner Anfang, aber mehr auch nicht. Um die Bildungsausgaben um 30 Prozent zu steigern, bräuchte es 50 Milliarden Euro – jedes Jahr. Das ist nicht viel, es entspräche einer rund einprozentigen Steuer auf die Nettovermögen der Deutschen: eine Bildungssteuer, damit das Land vermögend bleibt – und Kinder die Chance haben, zu Bürgern zu werden, auch im Zeitalter der künstlichen Intelligenz.

Warum das nicht möglich ist, obwohl es doch alle wissen und es durchargumentiert ist bis zum Abwinken? „Solange nicht jede Woche 10.000 Eltern und Lehrer in jedem Bundesland vor den Schulministerien demonstrieren, wird nichts geschehen, aber ich glaube, das würde etwas ändern.“ Das sagte kürzlich Michel Friedman auf der lit.cologne. Er fügte hinzu: Solange sie das nicht machen, werfen sie bitte nicht mit Dreck auf die da oben.

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5 Kommentare

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  • Mir fehlt hier ein wichtiger Aspekt: Technikglaube durch mangelndes Technikverständnis (hauptsächlich aufgrund mangelnder Bildung). Und damit am Ende der Kette Schäden an Gesellschaft und Individuen durch falschen Einsatz.

    Das was heute als KI vermarktet wird ist nur der nächste Scam nach Crypto (Also Blockchain, Smart Contracts, Kryptowährungen, etc.).

    Es handelt sich bei "KI" momentan lediglich um dynamische statistische Modelle, die auf Basis von Wahrscheinlichkeiten Speicherfragmente aus ihren Lerndaten aneinanderreihen. Mit Verständnis, Wissen oder Kreativität hat das einfach mal gar nichts zu tun.

  • Die größte Bedrohung, die von KI ausgeht, liegt in dem irrsinnig hohen Energiebedarf für diese Art Programm. Schon wird als altmodisch verschrien, was ohne KI ausgeliefert wird. KI wird als Heidenspaß zelebriert und als unentbehrlich gleichermaßen. KI in jedes T-Shirt, in jeden Burger, in jeden Kopf. Wir haben die Energie nicht für dieses Ding, das uns höchst zweifelhafte Segnungen bietet und mehr Angriffsflächen für Hacker und Betrüger.

  • Volle Zustimmung zu dem Artikel. Er hat die Marktmechanismen in unserem Wirtschaftssystem sehr gut beschrieben!

  • Mit KIs wird die Bildung - wir sie kennen - zum großen Teil überflüssig. Wir werden Zugang zu KIs haben, bei denen wir nicht mehr Unterscheiden können, ob wir uns mit einer KI oder einem biologischen Artgenossen unterhalten. Chat-GPT ist schon ein guter Vorgeschmack darauf. Solche KIs werden dann sukzessive den Lehrbetrieb übernehmen. Ob innerhalb einer Schule oder außerhalb. Ein durchaus realistisches Szenario, denn KIs wären in allen Sachfragen (aber auch bei bei Lernzielkontrollen, etc. ) immer "besser" als klassische Lehrer:innen. Man kann durchaus von neuer Konkurrenz sprechen. Die Sachlage wird noch prekärer, wenn man daran denkt, dass Schulen ja Teil der öffentlichen Hand sind. Für alle unter uns, die es vergessen haben: Das sind solche Ämter, für die bereits ein Fax das modernste an Technik darstellt.

    Die Forderung nach mehr Etat und mehr Lehrer:innen für mehr Bildung alleine wird nicht mehr aufgehen. KIs werden in der Bildung einziehen und KIs werden dabei erfolgreich sein. Zu groß könnte der Umbruch sein. Was geschieht dann mit Lehrer:innen und den Schulen?

    Ich denke, es kommt darauf an, wie wir Bildung in Zukunft haben möchten. Das alles könnte für Lehrer:innen auch eine nie dagewesene Chance sein. Sie könnten sich ihrem eigentlichen Bildungsauftrag widmen: nämlich Schüler zu entwickeln und zu fördern und sie für unsere Gesellschaft "fit" zu machen. Für die reine Wissensvermittlung hätten sie dann eine KI zur Seite.

  • Wir wissen alles, nur nicht weiter.