Pressefreiheit im Israel-Gaza-Krieg: Jour­na­lis­t*in­nen als Zielscheibe

In dem Krieg zwischen Israel und der Hamas wurden bisher mindestens neun palästinensische, ein israelischer und ein libanesischer Journalist getötet.

Männer mit Kriegsbemalung im Gesicht

Issam Abdallah starb am Freitagabend durch israelischen Beschuss (hier ein Selfie vom 11. Februar 2023, dass den Kameramann im türkischen Erdbebengebiet zeigt) Foto: Issam Abdallah/rtr)

BEIRUT taz | Es waren erfahrene Jour­na­lis­t*in­nen von renommierten Medienhäusern, die am Freitagabend in Alma Al-Schaab, im Südlibanon an der Grenze zu Israel, ihre Kameras aufgestellt hatten. Sie berichteten über den hin- und hergehenden Beschuss zwischen israelischen Streitkräften und der libanesischen Partei und Miliz Hisbollah, als eine Granate einschlägt. Das israelische Militär erklärte, es habe das Gebiet beschossen, in dem die Jour­na­lis­t*in­nen arbeiteten.

Der Reuters-Videograf Issam Abdallah kam dabei ums Leben. Sechs weitere Jour­na­lis­t*in­nen von den Nachrichtenagenturen Reuters und AFP sowie dem arabischen Sender Al-Jazeera wurden teilweise schwer verletzt. Alle trugen Helme und schusssichere Westen, auf denen „Presse“ geschrieben stand. „Kein Warnschuss, das war Absicht“, kommentierte Michael Downey, ein Journalist, der für die New York Times und die BBC gearbeitet hat, ein kurz vor dem Vorfall aufgenommenes Video, das er auf X (Twitter) teilte. „Die Panzergranate hat sie direkt getroffen“ bestätigte Al Jazeera-Korrespondent Ali Hashem aus Alma Al-Schaab.

Bisher hatten sich die Angriffe im Grenzgebiet auf militärische Stützpunkte, Militär und Kämpfer beschränkt. Schon vor dem Großangriff der islamistischen Hamas auf Zi­vi­lis­t*in­nen in Israel am vergangenen Wochenende gab es in der Region seit Monaten Schusswechsel. In den ersten sieben Tagen der Kämpfe wurden mindestens 11 Jour­na­lis­t*in­nen getötet, zwei verletzt und zwei werden vermisst. Darunter sind mindestens neun palästinensische Journalist*innen, die bei israelischen Luftangriffen ums Leben kamen oder erschossen wurden und ein israelischer Journalist, der bei dem Angriff der Hamas auf den Kibbuz Nahal Oz getötet wurde.

Das in New York ansässige Komitee zum Schutz von Jour­na­lis­t*in­nen (CPJ) geht allen Berichten über getötete, verletzte, inhaftierte oder vermissten Medienschaffenden nach. Jour­na­lis­t*in­nen im Gazastreifen seien besonders gefährdet, „da sie versuchen, über den Konflikt zu berichten, während die israelischen Truppen einen Bodenangriff durchführen, verheerende israelische Luftangriffe fliegen, die Kommunikation unterbrochen ist und der Strom weitgehend ausfällt.“

Einer der ersten, die am Samstag in Gaza waren, um den Beginn der israelischen Reaktion auf den Angriff der Al-Qassam-Brigade zu dokumentieren, war der palästinensische Fotojournalist Mohammed al-Salihi. Nach Informationen von RSF wurde er an der Ostgrenze des Gazastreifens von mehreren Kugeln in den Kopf getroffen. Mehreren Quellen zufolge war er eindeutig als Journalist zu identifizieren.

Von derselben Konfrontation berichtete auch der Fotojournalist Ibrahim Lafi. Er trug eine Presseweste und hielt seine Kamera in der Hand, als er erschossen wurde. In einer Erklärung vom Dienstag machte die palästinensische Journalistengewerkschaft die israelischen Streitkräfte für den Tod der Reporter verantwortlich und prangerte „von der israelischen Besatzung begangene Verbrechen“ an. Die israelischen Behörden sagten in ihrer offiziellen Mitteilung, dass sie keine Zi­vi­lis­t*in­nen ins Visier nähmen.

Doch nach Angaben des CPJ trafen israelische Luftangriffe in den vergangenen Tagen die Redaktionsgebäude mehrerer Medienunternehmen in Gaza – darunter die Räume der lokalen unabhängigen Tageszeitung Al-Ayyam im „Palästina“-Hochhaus und das Büro der Nachrichtenagentur Ma'an in Gaza, wobei Gerätschaften zerstört wurden. Nach Angaben des Chefredakteurs Imad Eid geschah der Angriff ohne die sonst übliche Vorwarnung.

Im Jahr 2021 hatten israelische Raketen das von Medien genutzte Jalaa-Hochhaus in Gaza zerstört. Das israelische Militär begründete die Zerstörung damit, dass sich in dem Gebäude der militärische Geheimdienst der Hamas befunden habe. Die Nachrichtenagentur AP, die das Gebäude 15 Jahre lang genutzt hatte, erklärte, sie habe die Hamas nie in dem Gebäude gesehen. Am 16. Mai 2021 sagte Israel, es habe den USA Beweise vorgelegt, dass die Hamas in dem Gebäude operiere. Doch US-Außenminister Antony Blinken, erklärte, er habe persönlich keine Beweise dafür gesehen.

„Es gibt ein intensives und tief besorgtes Interesse an diesem Konflikt auf der ganzen Welt, aber die Menschen werden nur in der Lage sein zu verstehen, was wirklich vor sich geht, wenn Jour­na­lis­t*in­nen ihre Arbeit machen dürfen“, sagte der Generalsekretär der Internationalen Journalisten-Föderation (IJF), Anthony Bellanger, in einer Erklärung. Augenzeug*innen-Berichte und Journalist*innen, die das Geschehen vor Ort im Blick haben, sind umso wichtiger, weil soziale Medien wie die Plattform X (ehemals Twitter) mit Missinformationen geflutet werden.

Gefährliche Region für Medienschaffende

„Schon vor dem Beginn des Angriffs der Hamas auf Israel wurden im vergangenen Jahrzehnt 17 palästinensische Medienschaffende im Westjordanland und im Gazastreifen getötet – aktuell sind es insgesamt also 22 Menschen. Das macht die palästinensischen Gebiete zu einer der weltweit gefährlichsten Regionen für Medienschaffende“, sagte der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr am Mittwoch.

Die NGO für weltweite Pressefreiheit schreibt: „Übergriffe und Waffengewalt der Armee gegen Jour­na­lis­t*in­nen in den Palästinensergebieten sind häufig, besonders bei Demonstrationen“. Israelische Verteidigungsstreitkräfte nutzen laut Pressefreiheits-Organisationen verschiedenen Formen von Menschenrechtsverletzungen wie Verhaftungen, Zerstörung der Ausrüstung und körperliche Angriffe. In einem Bericht der Internationalen Journalisten-Föderation (IFJ) heißt es, dass die Verstöße „ein klarer Versuch Israels sind, die Medienberichterstattung vor Ort zum Schweigen zu bringen“ und dass „niemand zur Rechenschaft gezogen wurde“.

In dem Jahrzehnte anhaltenden Konflikt wurden Kor­re­spon­den­t*in­nen sowie lokale Jour­na­lis­t*in­nen getötet, darunter der italienische AP-Journalist Simone Camilli und der britische Kameramann James Miller. Die meisten waren jedoch Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen wie die amerikanisch-palästinensische Journalistin Shireen Abu Akleh, die am 11. Mai 2022 über eine Razzia des israelischen Militärs im Westjordanland berichtete. Sie befand sich etwa 200 Meter entfernt von israelischen Soldaten und bewegte sich langsam auf sie zu, um zu filmen. Das Militär schoss, einer der Schüsse traf Abu Akleh unterhalb des Helms. Ein Augenzeuge berichtete später in der ARD-Sendung „Monitor“: „Ich wollte Shireen so weit wie möglich von der Armee wegbringen. Als ich versuchte, ihr zu helfen, schossen sie auf mich.“ Israel sieht keine Anzeichen für eine Straftat. Niemand wurde bislang für den Tod der Journalistin zur Verantwortung gezogen.

Am Montag forderte der CPJ Koordinator für Nahost und Nordafrika, Sherif Mansour, „die israelische Armee muss alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Sicherheit der Journalist*innen, die über den Konflikt zwischen Israel und Gaza berichten, zu gewährleisten.“ RSF-Geschäftsführer Christian Mihr forderte „sowohl die israelische als auch die palästinensische Führung auf, auch im Krieg den Schutz von Medienschaffenden gemäß Resolution 2222 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu gewährleisten.“ Die Resolution soll Menschen schützen, die aus Kriegen und Konflikten berichten. Doch die Morde und Angriffe bleiben bisher ungeahndet.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.