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Unionspolitiker gegen SeenotrettungMenschenrettung im Mittelmeer

CDU-Politiker kritisieren, dass die Bundesregierung finanziell Seenotrettung unterstützt. Das begründen sie mit einer umstrittenen Behauptung.

Schon mehr als 2.500 Menschen haben in diesem Jahr die Flucht übers Mittelmeer mit dem Leben bezahlt Foto: Daniel Kubirski/IMAGO

Berlin taz | In der Union mehren sich die Stimmen, die sich mehr oder weniger deutlich dafür aussprechen, noch mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Die Forderung der rechtsgerichteten italienischen Regierung, dass die Bundesregierung ihre Zuschüsse für private Seenotrettungsvereine im Mittelmeer einstellt, sei „berechtigt“, sagte der für Außenpolitik zuständige Vizevorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadephul, der Welt.

„Faktisch, wenn natürlich auch ungewollt, ermöglichen die Rettungsorganisationen den menschenverachtenden Schleuserbanden deren Geschäft“, so Wadephul. „Dafür sollte kein deutsches Steuergeld verwendet werden.“

Ähnlich hatte sich zuvor bereits Wadepuhls Parteifreund Wolfgang Schäuble geäußert. Er verstehe „die Verärgerung der Italiener darüber, dass Deutschland Seenotrettung-NGOs im Mittelmeer staatlich unterstützt, die Flüchtlinge eben nicht nur retten, sondern auch nach Europa bringen“, sagte der frühere Bundestagspräsident in einem Interview mit Zeit Online. „Das ist die Geschäftsgrundlage für die Schlepperkriminalität“, so Schäuble.

Als „mehr als erschütternd“ bezeichnete SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese die Äußerungen aus den Reihen der CDU in Sachen Seenotrettung. „Wenn es um Menschen geht, die man vor dem Ertrinken bewahrt, dann darf es kein Abwägen geben“, sagte er der Welt.

CDU-Position „ziemlich faktenfrei“

Der Sprecher der grünen Europaabgeordneten, Rasmus Andresen, wies die Kritik, staatliche Zuschüsse zur Seenotrettung beförderten ungewollt Schleusungen von Flüchtlingen, als „ziemlich faktenfrei“ zurück. Wissenschaftliche Studien hätten belegt, dass dies nicht der Fall sei. Deshalb sei es eine „sehr gute Sache“, dass der Haushaltsausschuss des Bundestages Zuschüsse zur Seenotrettung beschlossen habe, sagte der Europapolitiker dem Fernsehsender phoenix.

Darüber hinaus bewertete Andresen die Verhandlungen zwischen den EU-Mitgliedsländern über die sogenannte Krisenverordnung im europäischen Asylkompromiss kritisch. Unter anderem drohe die Absenkung von Menschenrechtsstandards. „Eine wochenlange Inhaftierung unschuldiger Menschen“ führe nicht dazu, dass die großen Herausforderungen in der Asylpolitik gelöst würden, kritisierte Andresen.

Gleichwohl würde seine Partei einen europäischen Asylkompromiss nicht blockieren, versicherte er. Die Grünen seien vielmehr bereit, bei der Registrierung von Geflüchteten an den EU-Außengrenzen „lösungsorientierten Maßnahmen“ zuzustimmen, sagte Andresen.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae, sagte der Welt: „Wir müssen die EU-Außengrenzen besser schützen und irregulärer Migration entgegenwirken.“ Dafür müsse die EU-Grenzschutzagentur Frontex weiter gestärkt werden. „Dazu gehört perspektivisch auch die Übernahme der Seenotrettung im Mittelmeer“, so Thomae. „Die Ausschiffung der Geretteten in Drittstaaten mit Migrationsabkommen muss der Regelfall werden.“

Die Linken-Abgeordnete Clara Bünger warnte hingegen vor einem solchen Vorgehen. Als konkretes Beispiel nannte sie den Fall Tunesiens: „Wenn zu befürchten ist, dass Tunesien Menschen in der Wüste aussetzt, ist das ein schwerwiegendes Hindernis, Menschen dorthin zurückzubringen“, sagte sie.

Bünger sprach sich für den Umbau von Frontex in eine europäische Seenotrettungsagentur aus. „Die Bundesregierung sollte sich für eine staatlich koordinierte und europäisch getragene Seenotrettung im Mittelmeer einsetzen, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart wurde“, sagte die fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Außerdem bräuchte es „sichere Fluchtwege, damit niemand mehr ertrinken muss“. Sie rief die Po­li­ti­ke­r:in­nen aller demokratischen Parteien auf, „die unverantwortliche Stimmungsmache gegen die Aufnahme von Geflüchteten sofort zu beenden“.

Laut Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sind bislang etwa 186.000 Flüchtlinge in diesem Jahr im Süden Europas angekommen. Davon sollen mehr als 102.000 von Tunesien aus die gefährliche Fahrt übers Mittelmeer gewagt haben, mehr als 45.000 seien von Libyen aus gestartet. Die Zahl der Vermissten und Toten im Zeitraum von Anfang Januar bis zum 24. September liegt laut UNHCR bei mehr als 2.500 Menschen. Die UN-Organisation für Migration (IOM) bezifferte mit Stand 25. September die Zahl der Toten und Vermissten im Mittelmeer auf 2.778.

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8 Kommentare

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  • Die CDU/CSU macht einen Riesenfehler mit ihrer Positionierung.



    Die Union nimmt den Ball der italienischen Regierung auf, die vor allem dramatisch redet, aber eben gar nicht handelt.

    Die vielen wirtschaftlichen Gruppen in Italien, die sich billige Arbeitskräfte importieren, schaffen die Wege, sie sind die Ursache dafür, dass Italien jetzt die meisten Flüchtlinge abbekommt, es sind eben nicht die Flüchtlinge und die Schlepper. Die Schlepper sind überall in Nordafrika, in der Türkei, in Russland, in Weißrussland oder Pakistan oder Afghanistan. Diese Gruppe von Menschen agiert grundsätzlich kriminell und gewinnorientiert, dass sie besonders in Italien Erfolg haben, hat nichts mit Seenotrettung zu tun.

    Die Argumentation, dass deutsche Seenotretter den Zuzug steuern, ist absurder Quatsch, aber brandgefährlich, weil so könnte man auch sagen, dass das Asylgesetz der Magnet ist, dass die Erstaufnahmen in Deutschland so toll sind, dass die Taschengelder so hoch sind, eigentlich ist dann alles eine Art Beihilfe zum Grenzübertritt und zur illegalen Zuwanderung nach Deutschland.

    Die Union argumentiert so fehlgeleitet, dass es nur ein paar Centimeter zu NPD und AfD ist. Das rächt sich, und das ist vor allem unter dem Gesichtspunkt von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie eine brandgefährliche Vorlage.

    Wenn eine bürgerliche Partei behauptet, man werde 'überrannt', verfängt das.

    Und dann diese Show aus Italien, die Ministerpräsidentin dort attakiert jetzt bereits Richter, versucht die Justiz zu beeinflussen. Angeblich sabotieren die Richter die 'harten' Gesetze der Regierung. Wie gesagt, immer schön an der wahren Interessenslage vorbei argumentiert, so lange in Italien so viele Schwarzarbeiter benötigt werden, und die Regierung mit diesen Kreisen irgendwie zusammen hängt, wird es diese Zuwanderung geben, das hat mit Seenotrettern gar nichts zu tun.

    Und dann schicken ital. Behörden viele Menschen direkt nach Deutschland, darüber sollte die CDU/CSU mal nachdenken.

  • Die CDU wird zum Steigbügelhalter der faschistischen AfD.



    Mal sehen, wie sie sich zerfleischt!

  • tja... die Spirale der `ökonomisierung´ der Allgemeinen Menschenrechte geht ja leider weiter ! Ob durch Angst vor Verlust der Ideale des Lebensluxus.. oder ob durch die sich zeigenden "Grenzen des Wachstums" oder sei es durch die Erwärmung des Klimas, oder durcg globale Übervölkerung? Die EU wird sich wohl auf einen steigenden Ansturm von



    Klimaflüchtlingen vorbereiten müssen!

  • Was sollen das für "wissenschaftliche Studien" sein, die nach Ansicht des grünen Europaabgeordeten Andresen belegen sollen, dass staatliche Zuschüsse zur Seenotrettung nicht die Schleusung von Flüchtlingen befördern? Die sog. Schleusung ist darauf gerichtet, dass die "geschleusten" Menschen Europa erreichen. Wer bei der Überfahrt in Seenot gerät und nicht gerettet wird, erreicht Europa nicht, sondern ertrinkt. Bei den Menschen, die gerettet und nach Europa gebracht werden, hat die "Schleusung" hingegen im Ergebnis ihr Ziel erreicht. Was soll daran "faktenfrei" sein? Das ist doch Fakt, unabhängig davon, dass dieser Fakt nicht dagegen spricht, die in Seenot Geratenen zu retten.

    Eine Seenotrettung ist an sich natürlich nicht zwingend damit verbunden, die Geretteten nach Europa zu bringen. Aber die von der BRD staatlich bezuschussten Seenotrettungs-NGOs bringen die Menschen nun einmal nicht in afrikanische Häfen, sondern in europäische.

  • Ich habe seit über 30 Jahren viel Zeit auf den Islas Canarias verbracht. Die Flüchtlinge auf dieser klassischen Route stechen im Senegal in offenen Fischerbooten in See und haben direkte Luftlinie über 1500 km bis zB Teneriffa vor sich, ungefähr die Strecke Tunis Marseille und zurück. Aber der Atlantik ist nicht das Mittelmeer, es geht über rauhe See und gegen den Strom, die Menschen fallen in die Hände von Piraten, verhungern und verdursten vor allem, der Sprit geht aus oder der eh zu Schwache Motor gibt auf und Leck geschlagene boote voller Leichen treiben fort. Die zerschellten Boote und die Toten treiben nie an den Hotelstränden an. Letztlich weiß niemand, wie hoch die Chance lebend das gelobte Land zu erreichen war und immer noch ist. Vielleicht 50 oder 60% über all die Jahre? Als es längst nicht mehr zu ertragen war hat das arme Spanien einen Vertrag mit dem Senegal geschlossen und fortan alle Überlebenden versorgt und umgehend zurück geflogen. Das hat für lange Zeit mehr Eindruck gemacht als alle Gefahren. Und viele Leben gerettet. Inzwischen gibt es längst wieder neue Wellen an Flüchtlingen auf der Route. Es ist ein auf und ab wie im Fieber, bestimmt von der Hoffnung oder nicht von der Alternative über die Sahara, Nordafrika und das Mittelmeer zu überleben. Befeuert von Terrorismus, Korruption und Menschenverachtung. Europa wird niemals alle diese Menschen Retten können, es wird immer wieder irgendwo eine Not sein. Wir müssen diesen Kontinent endlich ernst nehmen und viel mehr Energie verwenden die Situation vor Ort zu verändern. Denken wir allein das Familien dort jeden Cent für die Schleuser zusammen kratzen um ihren vermeintlich stärksten und besten zu schicken. Sicher ist das ein herber Aderlass für diese Gesellschaften. Dem müssen wir respektvoll begegnen, und diesen Menschen hier nach Talent eine Ausbildung und ein Einkommen zu ermöglichen suchen, damit es auch für die, die wir zurück schicken nicht umsonst war und sie ehrenvoll heimkehren können.

  • Nun könnte man den CDUlern geschätzte 2000 Zitate des Machwerkes "Die Bibel" um die Ohren oder auf den Schädel hauen ... eventuell wäre dies der Erinnerung hilfreich ? Oder sie lassen dieses C einfach weg. Das wäre zumindest einmal ehrlich. Aber was ist das schon für eine Kathegorie, wenn man Parteimitglieder wie Amtor, Linnemann oder Merz hat ?



    Beides geht halt nicht. Zumindest nicht im NT. Entweder christlich handeln oder Leute in Armut ersaufen lassen. Die heutige CDU ist zu einem prima Steigbügelhalter für die Braunen geworden. Das war sie früher auch schon, aber sie wirkt immer entschiedener ...

  • Wieso rettet man die Menschen erst, wenn sie auf dem Meer sind?



    Das Geld, das die Seenotrettung bekommt, könnte die Besatzung direkt in Tunesien an die Menschen weitergeben, wenn sie in die Heimat zurückkehren. Asylberechtigte mit dem Schiff in die EU bringen.



    Entwicklungshelfer könnten den abgewiesenen Menschen dabei helfen, sich eine Existenz aufzubauen.



    Die Seenotrettung halte ich für den falschen Weg. Sie werden nämlich nicht alle Boote erfassen.

    • @Anna Kirsch:

      In der Heimat herrscht in der Regel Krieg oder sie ist aufgrund des Klimawandels unbewohnbar geworden. In Tunesien werden Flüchtlinge zum Sterben in der Wüste ausgesetzt, im "humanen" Saudi-Arabien werden sie gleich an der Grenze erschossen.

      Es geht hier darum, Menschen elendig sterben zu lassen bzw. in Kauf zu nehmen, dass sie umgebracht werden - ich kann gar nicht so viel fressen wie ich kotzen muss.