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Die WahrheitBraune Ringe für Berlin

Eine Initiative will die Olympischen Spiele ausgerechnet im Jahr 2036 in die Ex-Hauptstadt der Bewegung holen – als Mega-Retro-Event mit Rammstein.

Illustration: Denis Metz

Das wird ganz groß“, sagt Gerd Neulitz begeistert und auch ein bisschen atemlos. „Das heißt, wenn es klappt.“

„Natürlich klappt es“, fällt ihm Steffen Winterberg ins Wort. „Selbstzweifel sind verboten“, lacht er keuchend. Neulitz ist Vorsitzenden der Initiative „Holt die Spiele nach Berlin!“. Winterberg ist deren Pressesprecher. Während die lokale Politik noch hadert, ob Berlin sich um die Olympischen Spiele 2036 bewerben soll, hat die Initiative, in der sich nach Angaben der beiden Funktionäre namhafte Firmen, Verbände und Prominente zusammengefunden haben, die Bewerbung bereits fertig in der Schublade liegen. Trotzdem will zu diesem Zeitpunkt kein Unterstützer der Initiative namentlich genannt werden.

Neulitz und Winterberg sind beim Pressetermin im Berliner Olympiastadion eine Ehrenrunde gelaufen, nun fallen sie schwer atmend aus einem leichten Trab. „Wir müssen jetzt schnell sein, sonst kommt uns irgendein Satire-Magazin zuvor und Berlin erhält den Zuschlag, ohne sich überhaupt beworben zu haben“, meint der 44-jährige Betriebswirt Neulitz, als er wieder bei Atem ist. Er hat schon Berlins Bewerbung um die Spiele 2000 scheitern sehen. Ein traumatisches Erlebnis.

„Und genau aus dieser historischen Verantwortung heraus …“, ergänzt der 66-jährige emeritierte Historiker Winterberg. „Ich meine – wie stehen wir 2036 denn da, wenn die Nazis wieder an der Macht sind und die Olympischen Spiele finden nicht in Berlin statt. Die ganze Welt wird über uns lachen. Und Sie wissen ja, was passiert, wenn die ganze Welt über Deutschland lacht. Deutschland mag es nicht, wenn die ganze Welt über es lacht …“, wird er ernst.

Abgesehen von der historischen Last, die Olympia 36 in Berlin bedeuten würde, sind da ja auch immer noch die Kosten, die letztlich der Steuerzahler tragen wird.

Historisches Recycling ist das olympische Motto der Stunde

„Nein, nein“, sagt Winterberg. „Das wird alles von unseren verantwortungsbewussten Sponsoren gezahlt. Wir haben schon Rheinmetall, KMW und MBDA an Bord. Entschuldigen Sie die Abkürzungen, aber das würde jetzt zu lange dauern …“

„Die Spiele sind ja auch eine Prestige-Sache“, unterbricht ihn Neulitz. „Die finden nun mal nicht einfach so statt. Die locken ja auch die Touristen an. Außerdem werden die Olympischen Spiele 2036 in Berlin super umweltfreundlich und nachhaltig. Sie wissen ja: nichts verschwenden – wiederverwenden.“

„Wir recyclen alles, was geht“, wirft Winterberg ein, „die Jahreszahl, die Sportstadien – ich meine, hallo“, er lässt den Blick über die leeren Ränge schweifen, „das Olympiastadion! Wir haben eine Regattastrecke, mehrere Pferderennbahnen, die Avus … es ist ja im Grunde alles schon da. Für die Radrennen und den Marathon wird die Innenstadt gesperrt. Auf dem Flugfeld Tempelhof ist Platz für zwei bis drei Pop-up-Stadien, die hinterher wieder abgebaut werden. Die Sportler werden in leerstehenden Bürohochhäusern untergebracht. Gut, hier und da muss noch was repariert werden, natürlich.“

Sein Handy vibriert, er schaut drauf und tippt etwas. Dann lächelt er. „Der Till ist auch dabei.“ Der Till ist Till Lindemann, erklärt Winterberg auf dem Weg zur olympischen Bewerbungszentrale im zweiten Untergeschoss des Stadions. Lindemann und seine Berliner Band Rammstein werden der Haupt-Act der Eröffnungsshow sein. „Elemente der Eröffnung 1936, aber im Rammstein-Style“, sagt Winterstein, „das wird ganz groß. Das wird mehr als groß.“

Das Bewerbungsmaterial ist fertig und einsatzbereit. Das Maskottchen Fritze ist ein sehr sportlich-muskulöser Bär, der eine Fackel in der einen Hand hält, der andere Arm ist ausgestreckt. „Das müssen Sie sich jetzt natürlich winkend vorstellen. Der Bär winkt. Der Bär kann auch: ‚Hi, Berlin!‘ sagen.“ Winterberg holt eine Fritze-Actionfigur hervor.

„Das Logo beinhaltet im Grunde die olympischen Ringe“, unterbricht Neulitz, „allerdings nicht in diesen woken Regenbogenfarben, sondern in den Berliner Farben Schwarz, Weiß, Rot. Schwarze Ringe in einem weißen Kreis auf rotem Untergrund.“

„Nein, schwarze Ringe in einem roten Kreis auf weißem Untergrund“, berichtigt Winterberg.

„Ich dachte, rote Ringe im weißen Kreis auf schwarzem Untergrund.“

„Stimmt, ich verwechsle das immer. Es gab da mehrere Entwürfe, bei manchen mischt sich das Ganze ins leicht Bräunliche“, erklärt Winterberg. „Wollen Sie den Imagefilm sehen?“, lenkt er ab und schaltet seinem Rechner ein, ohne eine Antwort abzuwarten.

Tausend bekannte und weniger bekannte Berlinerinnen und Berliner sagen „Berlin“ in die Kamera. Das Video dauert etwa tausend Jahre, nein, nur eine Viertelstunde lang, aber besteht zum großen Teil aus Archivaufnahmen, etwa von John F. Kennedy, Ronald Rea­gan, Hildegard Knef und anderen verstorbenen Lokalgrößen.

„Als Mischung aus Recycling und historischer Reminiszenz“, sagt Winterberg, „können nur Sportler an den Spielen teilnehmen, die aus Ländern kommen, die auch 1936 schon teilgenommen haben.“

Veränderungen auf der Weltkarte sind bereits Planungsbestandteil

Das hieße, dass zum Beispiel Israel oder die Ukraine von der Teilnahme ausgeschlossen wären.

„Das heißt erst mal gar nichts“, sagt Neulitz etwas unwirsch, „das ist ja auch nur ein Vorschlag. Letztlich müssen 2036 die Nazis selbst entscheiden, ob Israel teilnehmen darf. Und die Ukraine? Wer weiß, was in ein paar Jahren ist. So eine Weltkarte kann sich ja schnell verändern.“ – „Radikal ändern“, wirft Winterberg ein.

„Und Israel kann sich ja auch selbst um die Spiele bewerben, wenn es mitmachen will“, wendet Neulitz ein. Über die Idee einer gemeinsamen Bewerbung von Berlin und Tel Aviv kann er aber nur den Kopf schütteln. „Das hat nichts mit unserem Gedanken der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes zu tun. Was die Zuschauer und Sportler da zu den einzelnen Wettkämpfen hin- und herfliegen müssten …“

„Genau“, sagt Winterberg und spielt mit Fritze. „Hi, Berlin!“, brummt der Bär. Und was ist, wenn Berlin trotz dieses unglaublichen Bewerbungskonzepts die Spiele 2036 doch nicht bekommen sollte?

„Dann machen wir die Spiele trotzdem“, sagt Neulitz, „Die ersten Berliner Olympischen Spiele. Und wenn es gut läuft und kein Desaster wird …“

„Keine Selbstzweifel! Höher, schneller, weiter!“, mahnt Winterberg und droht mit dem Zeigefinger. „… dann gibt’s die Spiele alle vier Jahre – immer in einem anderen Land. Frankreich. Österreich. Und mit Polen fangen wir an …“

Wir ahnen schon in dunkler Vorfreude, das wird ganz, ganz groß.

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