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Präsidentschaftswahlen in den USABidens Risikospiel

Gastkommentar von Paul Hockenos

Der US-Präsident könnte als sehr erfolgreicher Präsident in die Geschichts­bücher eingehen – wenn er auf eine erneute Kandidatur verzichten würde.

Präsident Joe Biden sitzt mit seinem Hund Commander auf den Stufen vor dem Weißen Haus Foto: President Joe Biden/APA Images/ZUMA Press/dpa

S ollte Joe Biden sich – theoretisch – doch noch dagegen entscheiden, erneut als US-Präsident zu kandidieren, ginge er als herausragendes Staatsoberhaupt in die Geschichte der Vereinigten Staaten ein. Für eine zweite Amtszeit anzutreten, wie er es vorhat, setzt hingegen alles, was er erreicht hat, aufs Spiel.

Bidens Erfolge sind bedeutend und übersteigen die seiner Vorgänger Bill Clinton oder Barack Obama, die jeweils acht Jahre im Amt waren. Er besiegte 2020 den Rechtspopulisten Donald Trump und beseitigte so eine schwere Gefahr für die USA. Und bei den Zwischenwahlen 2022 gewann Bidens Demokratische Partei sogar einen Senats- und mehrere Gouverneurssitze hinzu. Weder Clinton noch ­Obama kamen da auch nur annähernd heran.

Im Weißen Haus hatten zunächst die Folgen der Coronapandemie Priorität: Bidenomics entschärfte sie für die ärmeren US-Bürger mit der größten Erweiterung von Sozialleistungen seit einem halben Jahrhundert. Der von Biden eingebrachte American Rescue Plan brachte den ärmsten US-Amerikanern deutliche Verbesserungen: Erweiterte Bundeshilfen für Lebensmittel, Wohnkosten und andere Grundbedürfnisse halfen, die Armutsrate auf ein Rekordniveau zu senken.

Mit dem Infrastructure Investment and Jobs Act sowie dem Inflation Reduction Act (IRA) sollten rund 2 Billionen Dollar in den Ausbau und die Erneuerung der Infrastruktur im gesamten Land fließen, dazu sollten Erziehungswesen, Gesundheitsversorgung und Umweltschutz besser finanziert werden.

Es ist ausgesprochen egoistisch, dass Biden nicht bereit ist, für die nächste Generation Platz zu machen

Der IRA ist das Kernstück der US-Klimaschutzpolitik und sieht Ausgaben von mindestens 370 Milliarden Dollar für den Ausbau erneuerbarer Energien vor – dass auch die Kernenergie dazugehört, ist eine Verschwendung von Teilen dieser großzügig bemessenen Finanzmittel, aber kein Hindernis für den mit Hochdruck vorangetriebenen Ausbau echter erneuerbarer Energien. Angesichts eines polarisierten Kongresses und hauchdünner Mehrheiten für Biden musste bei diesem Füllhorn an Ausgaben für alle etwas dabei sein, um der Klimakrise begegnen zu können – und Biden hat seine Chance mit beiden Händen ergriffen.

Zudem sorgt der IRA dafür, dass die 66 Mil­lionen älteren US-Bürger, die über das Medicare-Programm krankenversichert sind, die gebräuchlichsten Medikamente günstiger erhalten. Jahrzehntelang hatten sich weder Demokraten noch Republikaner mit der Pharmaindustrie darauf einigen können, nun sparen der Staat Milliarden und ältere Patienten viele Tausend Dollar Kosten für ihre Arzneimittel.

Was auch ein wichtiges Signal setzte: Biden hat bewusst wichtige Regierungsposten mit Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und sexueller Orientierung besetzt. Mit Ketanji Brown Jackson nominierte er die erste schwarze Frau für das Oberste Gericht. Und auf der außenpolitischen Habenseite Bidens steht, dass er die transatlantische Partnerschaft gestärkt, den US-Truppeneinsatz in Afghanistan beendet hat und die Ukraine standhaft unterstützt. Aus all diesen Gründen ist Biden fest davon überzeugt, dass er einen weiteren Wahlerfolg erzielen kann.

Selbstvertrauen ohne Basis

Aber Bidens Selbstvertrauen ist nicht gerechtfertigt – sein Weg zur Wiederwahl ist mit Ungewissheiten und gewaltigen Risiken gepflastert. Trotz des von ihm Erreichten sind laut Umfragen nur rund 40 Prozent der Bevölkerung mit seiner Amtsführung zufrieden, was für einen Amtsinhaber, der wiedergewählt werden will, wenig ist. Landesweit liegen Donald Trump – der vermutlich wieder für die Republikaner antritt – und Biden Kopf an Kopf.

Die erste und wichtigste Schwachstelle ist Bidens Alter: Der Präsident wäre am Ende einer zweiten Amtszeit 86 Jahre alt. Sein hohes Alter ist der wesentlichste Grund für die allenfalls lauwarme Begeisterung vieler Demokraten für seine Kandidatur. Zu Recht: In diesem Alter fordern ihm ein kräftezehrender Wahlkampf und der zermürbende Job eines US-Präsidenten zu viel ab. Biden ist zwar robust für sein Alter, aber er zeigt Schwächen: Er spricht undeutlich, verliert mitten im Satz den Faden. Was, wenn er sich auch in einer der großen Debatten mit Trump böse verheddert? Es könnte ihn die zwei oder drei Prozentpunkte Stimmen kosten, die er für einen Sieg über Trump braucht.

Zudem: Es ist ausgesprochen egoistisch, dass Biden – wie auch andere hochbetagte Persönlichkeiten der US-Politik – nicht bereit ist, für die nächste Generation Platz zu machen. Es gibt bei den Demokraten zahlreiche ausgesprochen beeindruckende Abgeordnete im Kongress, dazu Bürgermeister oder Gouverneure, die in ihren Ämtern Erfahrung gesammelt haben. Ich nenne nur Gretchen Whitmer, die Gouverneurin von Michigan, aber es gibt noch weitere Namen. Wenn sie sich bei Vorwahlen beweisen könnten, würde man sehen, wer die besten Chancen beim Wahlvolk hätte.

Problem Kamala Harris

Die zweite Bürde auf dem Weg zu Bidens Wiederwahl ist Vizepräsidentin Kamala Harris. Man kann darüber streiten, ob ihr schlechtes Image gerechtfertigt ist, aber bisher hat sie nicht beeindruckt und ist in Umfragen sogar noch weniger beliebt als Biden oder Trump. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie Biden im Fall seines Todes ersetzen muss, ist ziemlich groß. Ich habe von niemandem gehört, der das begrüßen würde. Denkbar wäre, dass Biden sie durch einen neuen Running Mate ersetzt, womöglich den eloquenten schwarzen Senator Raphael Warnock.

Als Spielverderber könnte auch ein dritter Kandidat wirken, womöglich gar als Konkurrenz von links, etwa der schwarze Intellektuelle Cornel West, der für die Grüne Partei antreten will. Bidens Weg zu einer zweiten Amtszeit ist vermint. Falls für ihn etwas schiefgeht, droht eine Rückkehr Donald Trumps ins Oval Office. Das wären gefährliche und verstörende Aussichten für die USA, mit erschreckenden globalen Konsequenzen.

Paul ­Hockenos, Jahrgang 1963, ist ein US-­amerikanischer Journalist und lebt in Berlin. Er schreibt unter anderem für das Magazin Foreign Policy. Er ist im Bundesstaat New York aufgewachsen.

Übersetzung aus dem Englischen: Stefan Schaaf

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6 Kommentare

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  • Spannend, dass die Schwächen seiner Politik, wie die Entscheidung, Studienschulden nicht zu annulieren, keine Erwähnung als Grund für die schlechten Zustimmungswerte finden. Wenn man seine Versprechen während des Wahlkampfs und die dann tatsächlich gemachte Politik vergleicht, ist es nicht überraschend, dass linke Amerikaner sich fragen, welches positive Argument es gäbe, für Biden zu stimmen.

    • @BigRed:

      "U.S. Will Build Stretch of Border Wall and Begin Deportations to Venezuela"

      Gerade in der New York Times gefunden. Casi point oder Talking Lame Duck?

  • Mag sein dass Trump für die Amerikaner gefährlich wäre.

    Für Europa wäre es wahrscheinlich egal ob Biden oder Trump gewinnt.

    Wirtschaftlich geht es mit Europa wegen der hohen Energieoreise bergab, das war das Ziel von Biden.

    Hat er doch vor der Sprengung von Nordstream gemeint dass er die Mittel dazu hätte die Inbetriebnahme der Pipeline zu verhindern.

    • @AndreasHofer:

      Biden wollte Nord Stream 2 verhindern. Was er mit der Drohung, jede Firma zu sanktionieren, die beim Bau mithilft, auch geschafft hat.

      Nord Stream 2 ist noch zu 50% intakt, und die dort gesprengte Röhre ist (im Gegensatz zum Totalverlust von NS1) reparabel.

  • Wirtschaftliche Erfolge spielen in den USA traditionell eine wichtige Rolle. Er konnte eine Inflationswelle von 8 % nicht vermeiden. Im Nachhinein haben die USA geschickter agiert (konnten die Energiepreise in den Griff bekommen) als Europa und liegen aktuell unter 4%. Aber diese Welle steckt den Amerikanern noch in den Knochen. Der anhaltende Zustrom von Ausländern ist eine weitere Bürde die er einfach nicht in den Griff bekommt und so den Weg für Donald Trump bereitet.

  • Biden hat inhaltlich überzeugt, aber nicht öffentlichkeitswirksam, leider.



    Die Lorbeeren kommen womöglich erst in der nächsten Amtszeit... Bei den Wahlen zählen leider, die Öffentlichkeitswerte, die Wahrnehmung bei den Wählern. Sind die schlecht, hilft alles nichts.