Ukraine verklagt Russland: IGH soll sich wohl raushalten
Die Ukraine hat Russland beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag verklagt. Dort hat jetzt die Verhandlung begonnen.
Bereits am 26. Februar 2022, zwei Tage nach Beginn der russischen Invasion, rief die Ukraine den IGH an. Allerdings darf der IGH nicht entscheiden, ob der russische Überfall gegen das Gewaltverbot der UN-Charta verstößt. Ein solches Urteil wäre nur möglich, wenn sowohl Russland als auch die Ukraine die IGH-Rechtsprechung generell oder in diesem Fall als verbindlich anerkennen – was aber bei beiden Staaten nicht der Fall ist.
Die Ukraine griff daher zu einem Kniff und berief sich auf die UN-Völkermordkonvention, die von beiden Staaten unterzeichnet wurde. Hier ist der IGH immer zur Klärung von Streitigkeiten zuständig. Die Ukraine machte geltend, sie sei von Russland fälschlicherweise des Völkermords an Russen im Donbass beschuldigt worden. Diese falschen Vorwürfe habe Russland dann als Kriegsvorwand missbraucht.
Einen ersten Erfolg erzielte die Ukraine im März 2022. Damals forderte der IGH in einer einstweiligen Anordnung Russland auf, die Militäroperation in der Ukraine „sofort“ zu stoppen. Die Entscheidung fiel mit 13 zu 2 Richterstimmen, nur der russische und der chinesische Richter stimmten dagegen. Allerdings ignorierte Russland den Richterspruch. Der IGH kann seine Urteile nicht selbst vollstrecken, im UN-Sicherheitsrat hat Russland ein Vetorecht.
Russland rechnet sich Chancen aus
An diesem Montag, eineinhalb Jahre später, hat der eigentliche Prozess begonnen. Allerdings geht es zunächst nur um die Frage, ob der IGH für die ukrainische Klage überhaupt zuständig ist. Am ersten Tag hatte ausschließlich die russische Seite das Wort. Gennadi Kusmin forderte den IGH auf, an seiner strengen Rechtsprechung festzuhalten, dass die Völkermordkonvention kein Türöffner ist, um ganz andere Fragen zu klären. So hatte der IGH mehrfach zu Streitfragen im Zusammenhang mit dem Jugoslawienkrieg der 1990er Jahre entschieden.
Kusmin behauptete zudem, dass Russland die „spezielle Militäroperation“ in der Ukraine gar nicht mit Völkermordvorwürfen begründet habe. Vielmehr sei man den „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk gegen ukrainische Angriffe zu Hilfe gekommen. Kusmin betonte schließlich, dass die Konvention überhaupt kein Recht auf eine (humanitäre) Intervention zur Verhinderung von Völkermord gebe. Dies werde zwar von einigen Nato-Staaten behauptet, sei aber überhaupt nicht allgemein anerkannt. Schon deshalb gehe der ukrainische Vorwurf, Russland habe dieses Recht „missbraucht“, ins Leere.
Russland scheint sich in Den Haag einiges auszurechnen. Anders als im Eilverfahren 2022, das man boykottierte, nahm die russische Seite diesmal normal an der Verhandlung teil. An diesem Dienstag wird die Ukraine in Den Haag erwidern. Am Mittwoch kommen 32 Staaten zu Wort, die sich auf Seiten der Ukraine am Verfahren beteiligen, zu ihnen gehört auch Deutschland. Nächste Woche sprechen dann noch einmal Russland und die Ukraine. Wann der IGH seine Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage verkündet, ist unklar.
Schon seit 2017 ist am IGH eine ukrainische Klage gegen russischen „Staatsterrorismus“ im Donbass anhängig. Dort stützt sich die Ukraine auf das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus. Hier haben die Anhörungen längst stattgefunden. Das Urteil wurde aber noch nicht verkündet.
Der IGH ist nicht mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zu verwechseln, der auch in Den Haag sitzt. Am IStGH geht es um die Bestrafung von Einzelpersonen. Im März 2023 hat eine Vorprüfungskammer des IStGH Haftbefehl gegen Russlands Präsident Wladimir Putin erlassen, weil er für die Entführung ukrainischer Kinder nach Russland, was als Kriegsverbrechen gilt, verantwortlich gemacht wird.
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