Nachverdichtung in Berlin: Wohnen statt Freizeit
Eine Sporthalle im Märkischen Viertel soll nach 40 Jahren abgerissen werden. Dabei erfüllt die Sporthalle auch soziale Funktionen im Viertel.
Doch manchmal gibt es dabei Zielkonflikte. Denn der Mensch wohnt nicht in einem Haus allein. Dazu gehört auch ein funktionierendes städtisches Wohnumfeld mit sozialer Infrastruktur wie Kitas und Schulen, Krankenhäusern, mit Verkehrsanbindung und Flächen für Freizeit, Erholung und Sport. Letzteres ist im Märkischen Viertel in Reinickendorf nun in Gefahr: Die Gesobau will hier eine funktionierende und gut besuchte Sporthalle abreißen lassen. Ende August läuft der Mietvertrag aus.
Michael Schlehuber stünde dann „vor dem Nichts“, wie der 80-Jährige es formuliert. Das „Squash Tennis Nord“ ist Schlehubers Lebenswerk. So sehen es viele der jährlich rund 100.000 Besucher der Halle in der Treuenbrietzener Straße 36 am Ostrand des Märkischen Viertels. In der Tennishalle sowie der Mitte der 90er Jahre von Schlehuber dazugebauten Fußballhalle mit ihren vier Feldern für In-Door-Fußball spielen Alt und Jung, Privatleute wie Vereine.
Guter Geist des Viertels
Im Märkischen Viertel ist die Halle und Schlehuber als ihr guter Geist eine Institution. Seit 40 Jahren kümmert sich Schlehuber hier um alles. Nach der Eröffnung 1979 war er zunächst Tennislehrer und Manager, zwischenzeitlich wurde er Pächter, gründete eine Betreiberfirma, und nun firmiert er noch bis Ende des Monats als Mieter.
Die Halle sieht zwar arg in die Jahre gekommen aus, aber sie funktioniert, dafür hat Schlehuber gesorgt. Vielleicht ist es sogar das konservierte 70er-Jahre-Flair, als Squash eine Modesportart wurde und Tennis sich vom Ruch des Snobismus befreien konnte, das der Halle mit integrierter Kneipe – wie es sie heute auch nur noch selten gibt – seinen Charme verleiht.
Warum also soll die Halle dann abgerissen werden? Die Gesobau will und soll Wohnungen bauen. Nicht direkt hier, wo Kleingärten und Gewerbegebiet die unmittelbare Nachbarschaft bilden. Aber das Hallengrundstück werde als Ausgleichsfläche für den Wegfall von Schrebergärten an andere Stelle gebraucht, meint die Gesobau. Außerdem werde geprüft, ob nicht eine neue Kita hier unterkommen könnte. Alles dringend benötigt und offenbar dringender als eine viel frequentierte und von vielen hoch geschätzte Sportstätte in privater Trägerschaft. Sporthallen gibt es im Märkischen Viertel nach Ansicht des Bezirksamts genug. Das meint auch die Gesobau.
Die Wohnungsbaugesellschaft hat das Hochhausgebirge des Märkischen Viertels in den Jahren 1963 bis 1974 auf Geheiß des damaligen Senats gebaut. Es entstand eine ganz neue Stadt für heute mehr als 40.000 Menschen. Sie ersetzte einen „grünen Slum“ mit wild gewachsenen Lauben und stellte Umsetzwohnungen auch für die Mieter aus den innerstädtischen Kahlschlagsanierungsgebieten bereit.
Ausreichend Angebote
Bei der Fertigstellung des Märkischen Viertels gab es dann zwar vergleichsweise komfortable Wohnungen (gut 15.000 von insgesamt 17.000 gehören der Gesobau), aber lange nicht genug soziale Infrastruktur. Und auf eine U-Bahn-Anbindung warten die,Märker' bis heute. Die Gesobau hat zur Kompensation der Mängel – etwa bei den ungenügenden Sport-, Spiel‑ und Freizeitmöglichkeiten – seit Jahrzehnten Wohnumfeldverbesserungen vorangetrieben. So weit, dass die Squash- und Tennis-Halle Nord sowohl vom Bezirk als auch von der Gesobau als obsolet betrachtet wird.
Im Bereich des Märkischen Viertels unterhält der Bezirk Reinickendorf laut eigenen Angaben 14 Sporthallen, zwei Fußballplätze, einen Baseballplatz, ein Leichtathletikstadion sowie mehrere Tennisplätze. Mehr als zehn Sportvereine, die Volkshochschule, zwei Betriebssportgruppen und ein Träger der Jugendhilfe würden den Bewohnerinnen und Bewohnern des Viertels dort „ein breites Angebot an Sportmöglichkeiten“ anbieten, teilt das Bezirksamt auf taz-Anfrage mit.
Von Turnen, Fechten und Judo über Fußball bis zu Cheerleading ist so ziemlich alles dabei. Und nicht nur das: „Über den organisierten Sport hinaus werden auch der Mehrgenerationenspielplatz am Seggeluchbecken und die BMX-Bahn sehr gut angenommen“, so ein Sprecher des Berzirksamts. Hinzu komme noch ein Hallenbad. Daher könnte man auch beim Wegfall der Halle von Squash Tennis Nord von „keiner Unterdeckung in der Region Märkisches Viertel“ sprechen.
Schade wäre es trotzdem für Michael Schlehuber, der sein Lebenswerk gern erhalten sehen würde. Mindestens ein Nachfolger als Betreiber stünde auch schon bereit: Der im Bezirk angesiedelte Fußballverein MSV Normannia 08 ist interessiert, würde den Spielbetrieb aufrechterhalten und gern sein Vereinsheim und sein Büro hier einrichten. Potenzielle Sponsoren für eine Übernahme hätte man auch schon an der Hand, sagt Zafer Yelen, ehemaliger Fußballprofi von Hansa Rostock und erster Vorsitzender von Normannia.
Zu dicht für Nachverdichtung
Aber bei der Gesobau scheinen die Würfel für einen Abriss der Halle bereits gefallen. „Der dringend notwendige Wohnungsbau hat Vorrang“, heißt es auf taz-Anfrage. Der Bezirk sieht durch den Abriss der Halle Potenzial für 190 Wohneinheiten. Wo diese Wohnungen entstehen sollen, darüber hält sich die Gesobau auf Nachfrage jedoch bedeckt.
Dabei ist das Märkische Viertel für eine Nachverdichtung eigentlich bereits zu dicht bebaut. Die Bau‑ und Einwohnerdichte ist vergleichbar mit den Altbauquartieren in Wedding oder Prenzlauer Berg. Und die Hochhausschluchten werden eben für Spiel‑, Sport‑ und Freizeitflächen gebraucht. Bleibt also die Frage: Wohnungsbau überall und immer? Schließlich kann der Boden in der Stadt nur einmal verteilt werden. Und, das ist ja gerade die Lehre aus der seinerzeitigen Fehlplanung des Märkischen Viertels: Wohnungen allein machen noch keine funktionierende Stadt.
Neben der nötigen Infrastruktur muss das Augenmerk bei der Stadtplanung heute darauf gerichtet werden, dass die hochverdichteten Baumassen die Lebensqualität ihrer Bewohner nicht abwürgen – etwa durch fehlende Grünflächen und ein dadurch überhitztes Stadtklima. Ein Bündnis von Initiativen und dem Berliner Mieterverein fordert daher unter dem Motto „Klimastadt Berlin 2030“ eine „Bauwende“: „Der Erhalt und die Anpassung des Gebäudebestands“ sei „dem Neubau vorzuziehen“, heißt es.
Eine funktionierende Sporthalle abzureißen ist für viele jedoch nicht nur aus klimapolitischer Perspektive unsinnig. Denn abgesehen davon übernimmt Squash Tennis Nord auch soziale und integrative Funktionen. In einem Viertel, in dem über 120 Nationen leben und etwa die Hälfte der Bewohner Migrationshintergrund hat.
Auch Zafer Yelen kommt aus dem Märkischen Viertel. Der Fußballer hat im Bezirk bereits eine Bolzplatz-Liga für Jugendliche gestartet und afghanische Flüchtlinge trainiert. Die Sporthalle in der Treuenbrietzener Straße wird er aller Voraussicht aber nicht betreiben können. Warum die Gesobau nicht nach Alternativen zum Abriss eines sozial, gesundheitlich und integrativ förderlichen Projekts sucht, ist für ihn und viele der Anwohner unverständlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren