Gruppenfeindlichkeit in Indien: Wo Muslime um ihr Leben fürchten
Indien ist eine Demokratie. Aber an der Spitze und in der Breite auch eine islamophobe Gesellschaft.
N eulich hat mich ein ehemaliger Mitbewohner aus Indien wirklich schockiert. Es geschah in Dublin, wo ich derzeit lebe und wohin auch er ausgewandert war, weil er in der IT-Branche etwas werden wollte. „Du hast Pakistanis als Freunde? Dann will ich mit Dir nicht reden!“, war es aus ihm herausgeplatzt. „Ich kann ja Muslime noch ertragen, aber Pakistanis überhaupt nicht!“, setzte er nach. Mir blieb die Spucke weg. Gott sei Dank wohnen wir nicht mehr unter demselben Dach. Aber seine Haltung war typisch für eine Entwicklung, die in Indien immer weiter Fuß fasst: die infame Normalisierung des Hasses auf Muslime.
Ich bin schon mehrfach mit dem Zug von Mumbai nach Jaipur gefahren und habe gern dabei stundenlang aus dem Fenster geschaut. Aber jetzt gibt es erschreckende Videobilder vom 31. Juli: Ein Polizist erschoss im Zug drei muslimische Männer und seinen eigenen Vorgesetzten, einen Hindu. In den Videos, die von verängstigten Fahrgästen gemacht wurden, hört man den Attentäter sagen: „Wenn ihr in Indien leben wollt, müsst ihr eure Stimme Modi geben.“ Er wurde festgenommen und sollte medizinisch auf seine Zurechnungsfähigkeit untersucht werden. Wie sich zeigte, war er Angestellter der Eisenbahn-Sicherheitspolizei, die für den Schutz von Passagieren und Fracht sorgen soll.
Anfang August wurde außerdem eine Welle von Brandstiftungen von Geschäften im Bundesstaat Haryana, nicht weit von Neu-Delhi, verübt. Männer in safrangelber Kleidung, Anhänger der nationalistischen Hindutva-Ideologie, forderten, dass alle muslimischen Beschäftigten ihre Jobs verlieren sollten. Sie drohten: „Wir werden alle Muslime niederstechen!“ Diese Männer hatten nicht einmal Angst, auf Videos identifiziert werden zu können. Oft laufen Polizisten sogar neben ihnen her, ohne einzugreifen.
Die Gewalt hat auch in Gurugram zu Besorgnis geführt. In der Großstadt leben viele gut bezahlte Berufstätige, die in Delhi arbeiten. Nun haben ihre Dienstboten Angst, mit der Bahn zur Arbeit zu kommen. Per Video hat jetzt ein Bürger Gurugrams an die Regierung appelliert, für Sicherheit zu sorgen, damit endlich der Abfall wegkommt.
Apathie
Die schwer zu erklärende Apathie der hinduistischen Mittelschicht zeigt leider auch, wie sehr die Hindus eine Mitverantwortung an der Gewalt in ihrer Mitte tragen. Sie mögen selbst kein Blut an den Händen haben, aber ihr Denken ist rettungslos vergiftet. Ich muss schon lachen, wenn dieselben Mittelschichtsinder sich in anderen Ländern (völlig zu Recht) beklagen, wie rassistisch man mit ihnen umgehe, aber selbst offen antimuslimische Vorurteile weitertragen. In den USA waren viele Inder bei den Black-Lives-Matter-Protesten dabei, aber von einer Kampagne „Muslim Lives Matter“ in ihrer Heimat hat man noch nie etwas gehört.
Manche sorgen sich auch um das Ansehen Indiens auf der Weltbühne, sehen aber nicht die Notwendigkeit, die Bigotterie bei sich selbst und in ihren Familien zu bekämpfen. Wenn Indien den Rest der Welt mit einem stetigen Strom von IT-Fachkräften versorgt, sollten Indiens große Unternehmen einen Moment darüber nachdenken, ob sie weiter eine Regierung hinnehmen wollen, die solche Gewalt zulässt.
Es ist allgemein bekannt, dass Indiens arbeitslose Jugend ihre Zeit damit verbringt, Hass auf Muslime auszuleben. Ihr Treiben hat die schweigende Billigung des indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi. Wie kann Deutschland weiter Handelsbeziehungen mit einem Staat pflegen, in dem das „Nie wieder“ zum Hass auf bestimmte Volksgruppen ersetzt wurde durch ein „Immer wieder“?
Aus dem Englischen von Stefan Schaaf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung