Klinikkonzern gegen Gewerkschaftlerin: Gefeuert wegen 28 Minuten

Helios hat eine Anästhesistin fristlos gekündigt, weil sie zu früh nach Hause gegangen sein soll. Der Marburger Bund vermutet einen anderen Grund.

Warnstreik mit einem Plakat "Operiert euch doch selbst"

Dringend gebraucht, bei Helios gefeuert: Kli­nik­ärz­t:in­nen Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Hamburg taz | Es sind an diesem Mittwochmittag viele Mit­ar­bei­te­r*in­nen aus verschiedenen Kliniken zum Arbeitsgericht Hamburg gekommen, um der Ärztin Franziska Schlosser Rückhalt zu geben. Schlosser klagt gegen eine Kündigung seitens der Helios Endo-Klinik. Im Prozess vertreten wird sie von der Ärzt*innen-Gewerkschaft Marburger Bund, in der sie Mitglied ist.

Nach 23 Jahren, die Schlosser ohne einen einzigen Vorfall in der Endo-Klinik Altona gearbeitet hat, erfuhr sie im Mai von ihrer Kündigung. Helios begründet diese so: Nach einem Bereitschaftsdienst von 24 Stunden soll die 54-Jährige 28 Minuten früher nach Hause gegangen sein. Dem Marburger Bund dränge sich der Eindruck auf, dass Helios durch die Kündigung Angst zu verbreiten und so das gewerkschaftliche Engagement der Mitarbeitenden zu bremsen beabsichtigt.

Die Anästhesistin gehört bereits seit 2012 zu der Verhandlungskommission des Marburger Bundes für den Tarifvertrag der Helios-Ärzt*innen. Auch sonst sei sie bereit, Kol­le­g*in­nen bei Problemen zu helfen, wie sie sagt. 2021 gehörte sie zur Streikleitung bei einem Ärzt*innen-Warnstreik in Hamburg.

Ebenso im März 2023: Dabei hielt sie eine Rede anlässlich des Streiks vor Tausenden Menschen, der NDR filmte sie für einen Beitrag. Einige Zeit später, im Mai, erhielt sie dann die fristlose Kündigung von der Endo-Klinik.

Aus dem Operationssaal geholt

Der Konzern Helios betreibt 87 Kliniken in Deutschland und beschäftigt rund 76.000 Mitarbeitende. Bereits 2019 war die Helios Mariahilf-Klinik Hamburg in die Diskussion geraten, als mehrere Ärz­t*in­nen in der Geburtshilfe schlagartig kündigten und unzureichende Rahmenbedingungen kritisierten (taz berichtete).

Schlosser war am 10. Mai gerade im OP tätig, als plötzlich eine Kollegin kam, um sie abzulösen. Schlosser sollte nach vorn auf den Gang vor den OP gehen. Dort wurde ihr ein Brief übergeben, in dem sie von dem Geschäftsführer der Helios Endo-Klinik, Philip Wettengel, über den Vorwurf des Arbeitszeitbetrugs informiert worden sei. „Ich fühlte mich richtig überrumpelt. Zumal ich an dem Tag dann mit dieser Nachricht im Kopf ja trotzdem noch weiterarbeiten musste,“ berichtet die Anästhesistin.

Schlosser gibt sich überzeugt, dass es Helios nicht um die angeblichen 28 Minuten an sich gehe, sondern um einen persönlichen Angriff auf sie als Person. „Weil ich laut bin und an Tarifverhandlungen teilnehme. Ich bin wohl unbequem und soll entfernt werden“, sagt die Ärztin.

Nach dem Warnstreik 2021 habe Helios ihr ebenfalls Arbeitszeitbetrug vorgeworfen. Damals habe sie aber lückenlos belegen können, dass der Vorwurf unbegründet war. „Das wurde auf dem kurzen Dienstweg ohne Aufsehen – aber auch ohne Entschuldigung – geklärt,“ sagt die 54-Jährige.

Franziska Schlosser, Ärztin

„Ich bin wohl unbequem und soll entfernt werden“

Die genauen Hintergründe spielen beim Aufeinandertreffen Schlossers und ihres Arbeitgebers vor Gericht erst einmal keine Rolle. Bei der sogenannten Güteverhandlung geht es darum, eine Einigung zwischen beiden Parteien zu finden, bevor es zu einem langen Gerichtsprozess kommt.

Der Anwalt der Klinik beruft sich auf die 28 Minuten Arbeitszeitbetrug und spricht von Vertrauensmissbrauch, da Schlosser die behauptete Tat auch in einer Anhörung danach nicht zugegeben habe. Schlossers Kolleg*innen, die mit im Saal sitzen, schütteln die Köpfe.

Katharina von der Heyde, Geschäftsführerin der Gewerkschaft Marburger Bund und Prozessbevollmächtigte Schlossers, betont, dass es der betroffenen Ärztin darum gehe, ihren Job zu behalten. Schlosser selbst sagt vor Gericht: „Ich will die Wahrheit ans Licht bringen. Die Vorwürfe gegen mich sind haltlos. Ich will weiterhin in der Endo-Klinik tätig sein.“

Pedram Emami, Landesvorsitzender des Marburger Bunds, kritisiert: „Egal wie der Fall ausgeht: Ich meine, es soll ein Exempel an Frau Schlosser statuiert werden, damit intern die Mitarbeitenden wissen, was passieren kann, wenn man sich für die Arbeitnehmerrechte engagiert.“ Schlosser habe keine Abmahnung erhalten, schon das sei wohl ein Punkt, an dem die Kündigung scheitern könnte, sagt die Prozessbevollmächtigte von der Heyde.

Ärztin will Arbeitsplatz behalten

An diesem Mittwoch kommt es zwischen den beiden Parteien zu keiner Einigung. Der Klinik-Konzern bietet Schlosser eine Abfindung an. Es ginge der Ärztin aber nicht um das Geld, sondern um ihren Arbeitsplatz, sagt sie. Der nächste Termin vor dem Arbeitsgericht soll nun im November stattfinden.

Die laufenden Tarifverhandlungen mit Helios hat der Marburger Bund bundesweit vorerst unterbrochen. Emami zufolge, um weitere Mitglieder der Verhandlungskommission zu schützen.

Der Helios-Konzern wollte sich auf Anfrage der taz nicht zu dem Fall äußern, da es sich um ein laufendes Verfahren handele.

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