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Schlichterspruch bei der Deutschen BahnKein schlechter Kompromiss

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Die EVG hat eine Rekord-Erhöhung der Tariflöhne bei der Deutschen Bahn erstritten. Mit Sparmaßnahmen könnte das Eisenbahnunternehmen ganz oben ansetzen.

ICE der Bahn in einem Betriebswerk in Schleswig-Holstein Foto: Christian Charisius/dpa

W er auf die Deutsche Bahn angewiesen ist, kann erst einmal aufatmen. In nächster Zeit bleibt es für Bahnreisende bei den üblichen Zugausfällen und -verspätungen. Zu weiteren Streiks wird es zumindest bis zum Herbst nicht kommen. Noch ist der Tarifabschluss zwar nicht ganz in trockenen Tüchern. Bis Ende August läuft die Urabstimmung unter den rund 110.000 Mitgliedern der Eisenbahngewerkschaft EVG darüber, ob sie das Ergebnis der Schlichtung akzeptieren. Doch das dürfte nicht mehr als eine Formsache sein.

Dabei löst die Empfehlung der Arbeitsrechtlerin Heide Pfarr und des Ex-Innenministers Thomas de Mai­zière bei den Beschäftigten keine Begeisterungsstürme aus. Denn auch wenn sie den höchsten Tarifabschluss in der Geschichte der Deutschen Bahn vorgeschlagen haben, umfasst er keinen Ausgleich für die Reallohnverluste der vergangenen Jahre.

Gleichwohl kann sich das Ergebnis der Schlichtung sehen lassen. Ein Blick darauf, mit welch mickrigem Angebot der Bahnvorstand in die Verhandlungen gestartet und was nun herausgekommen ist, lässt erkennen, dass sich der Arbeitskampf der EVG durchaus gelohnt hat.

Anders als vom Bahnvorstand präferiert, sollen die Beschäftigten nun einen Festbetrag erhalten statt einer prozentualen Erhöhung, die stets die bevorteilt, die ohnehin schon mehr haben. Die zweistufige Lohnerhöhung um insgesamt 410 Euro pro Monat hilft demgegenüber vor allem den Beschäftigten in den niedrigeren Gehaltsgruppen, die besonders unter den dramatisch gestiegenen Lebenshaltungskosten leiden.

Ja, das kostet einiges an Geld. Falls der Bahnvorstand nach Sparmöglichkeiten sucht: Warum wendet er nicht einfach die Schlichtungsempfehlung auf sich und alle anderen Führungskräfte an? Alleine die Vergütung von Bahnchef Richard Lutz verdoppelte sich 2022 im Vergleich zum Jahr zuvor auf 2,24 Millionen Euro. Hätten da nicht auch 410 Euro mehr vollständig ausgereicht?

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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15 Kommentare

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  • Manager gehören abgeschafft. Die Leitung gehört in die Hände derjenigen, die den Wert schöpfen, also in die Hände der Arbeitenden, dann gibt's auch für alle tolle Löhne und die Ausbeuter müssen sich was anderes überlegen, wie sie sich ohne Gegenleistung frei bedienen dürfen

    • @LennyZ:

      "Manager gehören abgeschafft."



      Und wer managt den Laden dann? Der Lokführer nebenbei vom Führerstand.



      Muss er ja, er bekommt ja anteilig mehr vom Gehalt des/der bisherigen Ausbeuter.

      • @Furth im Wald:

        Nur ein Manager behauptet, dass man ihn braucht.

  • Dankeschön für den guten Kommentar. Warum Herr Lutz circa so viel wie 20 Lokführer erhält, wirfst schon Fragen auf.

    Doch möglicherweise wäre die Bahn ja mit Führungskräften die "nur" 1,1 Millionen Euro im Jahr verdienen, ja noch maroder.

    Oder etwa doch nicht? Könnte es eventuell an dem grundsätzlich viel zu geringem, staatlichen Zuschuß zur klimafreundlichen "Bahn für Alle" liegen? An dem noch immer fehlendem "Sondervermögen" ÖPNV.

    So richtig viel Geld für das Gemeinwohl bereit stellen. Das wär doch mal was.

    ... . Ach, wie "Gegenfinanzieren" ruft da ein ganz cleverer Bursche aus der Porschefraktion... .

    Bitte sehr:

    1. Energiesteuer + Märchensteuer auf Flugbenzin.

    2. Dienstwagenprivileg abschaffen.

    3. Erbschaftssteuer für Superreiche einführen.

    4. Spitzensteuersatz auf den Stand von vor 2000 erhöhen (von 42 % auf 53 %)

    5. Stopp der Planung und des Baus von neuen Autobahnen.







    Das sollte 100 Milliarden Euro für das Infrastrukturprojekt ÖPNV bringen. Pro Jahr!

  • "Formsache" ? Im Ernst ?

    Selten so einen Schmarren gelesen, die Mitglieder können gut genug rechnen und werden in einer Abstimmung die eine 2/3 Mehrheit erfordert hoffentlich ablehnen.

    Wir reden hier von massivem Reallohnverlust. Selbst wenn die Einmalzahlung eingerechnet wird befindet sich das Ergebnis selbst bei niedrigen Gehältern weit unter der Inflationsrate.

    Gerechnet auf die volle Laufzeit inklusive der Sonderzahlung ist das Angebot der Bahn weniger als 300€ im Monat wert. In der gleichen Laufzeit liegt aber die Inflation bei 15%.

    So ganz nebenbei das Management der Bahn hat sich dieses Jahr eine Gehaltserhöhung zwischen 12 und 15% gegönnt. Weiter wurde vorgesorgt, auch bei schlechtem oder negativem Ergebnis wird den Managern ein Bonus bezahlt. Das sogenannte "Knock-Out-Kriterium" das die Bonuszahlung in so einem Fall stoppen sollte wurde gestrichen.

    Bei der aktuellen Performance ist es nur noch einen Frage der Zeit, bis das Unternehmen mal wieder vom Staat gerettet wird.

    Gruß vom Mondlicht

  • D-A-N-K-E🥰

  • "Alleine die Vergütung von Bahnchef Richard Lutz verdoppelte sich 2022 "

    Hat sich denn die Leistung der Bahn, das Schienennetz, die Anzahl der Verbindugem verdoppelt ?

    Dann frage ich mal: Wofür? Was hat der Mann gemacht für sein Geld ?

    Die Sessel voll zu pupsen reicht sicher nicht dafür.

    Ich bin sicher, absolut sicher, dass keine Leistung dieser Welt 2,24 Millionen Euro Jahressaläre rechtfertigt.

    Und wenn es heisst: "Unter dem finden sie ja niemanden" sag ich: Doch. Ganz sicher. An jeder Ecke. Und schlechter wird der oder die es auchnicht machen.

  • Den vorliegenden Abschluss halte ich für wichtig. In erster Linie geht es nicht ums Geld, sondern die Idee und Anschauung dahinter, welche hier mE ebenfalls der Autor des vorliegenden Artikels aufgreift: Prozentrechnung bevorteilt bzw. benachteiligt unangemessen. .. Im Zusammenhang damit, so auch mit der Ausschüttungsmentalität an Führungskräfte, denen damit jahrzehntelang eine Gott-Gleichheit eingeredet worden ist, finden sich in der schlicht nicht erklärbaren und in den Umfängen ungerechtfertigten Bevorzugung eine Parallele zu rechten und/oder AfD-Strukturen, nämlich der - mit dem Alt-BK Schröder gesagt - Basta-Sprache, dem Durchsetzen, weil man es kann, dem Entmündigen der Wahrheit jenseits dessen , wo die berechtigte gute Führungskräftearbeit endet: die Mitarbeiter:innen schaffen nämlich den Mehrwert.

  • Wie kann Herr Beucker nur zu dieser Einschätzung gelangen? Die Bahn hatte EUR 400 und eine Laufzeit von 27 Monaten vorgeschlagen. Da ist der sogenannte Kompromissvorschlag viel zu nahe dran. Bereits der letzte Tarifabschluss der EVG war nach Corona viel geringer als vergleichbare Abschlüsse. In bestimmten Lohngruppen bedeutet dieser Abschluss eine Steigerung von ca. 3 Prozent p.a.

    Gewinner wäre GDL und Headhunter. So viel Idealismus kann man als Jurist, HRler, BWLer, ITler oder Ingenieur (jeweils m/w/d) überhaupt nicht mitbringen, um unter solchen Konditionen weiter im Konzern zu verbleiben oder bei diesem anzuheuern. Und das bei den jetzt anstehenden erheblichen Mehreinnahmen bei der Bahn.

    Ich frage mich allerdings, weshalb Herr Beucker einen so arbeitgebernahen Kompromiss überhaupt noch so positiv darstellt.

    • @DiMa:

      "So viel Idealismus kann man als Jurist, HRler, BWLer, ITler oder Ingenieur (jeweils m/w/d) überhaupt nicht mitbringen, um unter solchen Konditionen weiter im Konzern zu arbeiten."

      Die aufgeführten Beschäftigtengruppen sind nicht gerade dafür bekannt, dass sie zahlreich in der EVG vertreten wären, oder? 400 Euro mehr mag für einen Juristen nicht viel sein, für einen Zugbegleiter aber schon.

      • @Kirschberg:

        Tarifverträge werden für einen ganzen Betrieb ausgehandelt. Insoweit sind auch alle Entgeltgruppen bei der Bewertung des Ergebnisses zu berücksichtigen. Genau aus diesem Grund wird klassische eine prozentuale Erhöhung vorgenommen.

        • @DiMa:

          Tarifverträge gelten formal nur für Gewerkschaftsmitglieder. Natürlich gibt der Arbeitgeber die Erhöhungen auch an Beschäftigte weiter, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind, aber die haben keinen formalen Anspruch.



          Und da Gewerkschaften Mitgliederorganisationen sind, dürfte es der EVG ziemlich egal sein, wie der Tarifabschluss bei Juristen und BWLern ankommt, die mit der EVG im Regelfall nichts am Hut haben.

    • @DiMa:

      Welche Headhunter wildern in den unteren Führungsschichten der Bahn, bzw. wohin sollten die Leute von dort abgeworben werden? Sie erwähnen ja ein paar Fachrichtungen - aber warum sollte man jemanden ausgerechnet von der Bahn holen? Das einzige, was mir einfällt: Experten für Vergabeverfahren im Regionalverkehr und andere mit Beziehungen zu EBA & co.

      • @Wurstprofessor:

        Konzernerfahrungen sind gern gesehen, vorausgesetzt Sie waren nicht ewig da.