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Abba als Hologramme in LondonVorsicht, die Abbatare kommen

In der „ABBA-Arena“ können Fans ihre Lieblingsband als Hologramme erleben. Sie sind 40 Jahre jünger, die Performance immergleich. Ist das geil?

ABBA heute: Björn, Agnetha, Anni-Frid und Benny in London, 2022 Foto: Ian West/pa wire

London taz | Aus dem Bühnenboden steigt ABBA auf. Zuerst sind nur die Haaransätze der vier Mu­si­ke­r:in­nen zu erkennen, dann ihre Köpfe, schließlich ihre Outfits. Frisch und jung sehen sie aus, um die 30, mit glitzernden Schlaghosen. Im Publikum sitzen neben begeisterten Abba-Fans auch Agnetha Fältskog, Björn Ulvaeus, Benny Andersson und Anni-Frid Reuss – das heißt: die deutlich älteren, echten Abba-Mitglieder.

Die vier strahlenden Erscheinungen auf der Bühne sind Hologramme: die digitalisierte Version einer der bekanntesten Bands der Popgeschichte. Für die Vorpremiere im Mai 2022 in der eigens für die Band gebaute Arena in London verloste der Internationale Abba-Fanclub unter seinen Mitgliedern Tickets.

Auch Angela Docherty, die schon in den 1970ern als Schülerin auf einem Abba-Konzert in ihrer Heimatstadt Glasgow war, bekam eine Karte. Sie nahm am Sektempfang teil und machte ein Foto auf dem roten Teppich, so wie das schwedische Königspaar und Popstar Kylie Minogue.

„Als bekannt wurde, dass Abba diese Show machen, dachte ich mir: Na ja, Avatare? Aber es ist Abba und alles, was sie machen, ist gut, deshalb bin ich hingefahren.“

Die Show hat sie inzwischen achtmal besucht. Ein Stehplatz kostet umgerechnet 90 Euro, für einen Sitzplatz muss sie je nach Buchungszeitraum zwischen 65 und 200 Euro ausgeben. Jedes Mal sieht sie aufs Neue, wie Abba durch ein Neon-Labyrinth tanzt, wie bunte Lichterketten von der Decke bis ins Publikum herabzufallen scheinen, oder sich der ganze Saal in ein Sternenzelt verwandelt.

Futuristische Ganzkörperanzüge

Mal tragen die Mu­si­ke­r:in­nen glitzernde Kleider und Plateaustiefel, dann wieder futuristische Ganzkörperanzüge mit leuchtenden Streifen. Die Hologrammband hat unglaublich viel Energie – und das natürlich an jedem Abend, an dem sie auftritt.

Die 90-minütige Show findet meist fünfmal wöchentlich statt, die Reihenfolge der Lieder, die Lichtshow und die Performance der „Abbatare“ sind immer gleich.

Star-Wars-Schöpfer George Lucas, oder besser gesagt dessen Firma Industrial Light & Magic, entwickelte die Technik hinter den Hologrammen. Sie basieren auf der Mimik und Gestik der Bandmitglieder. Dafür nahmen die inzwischen Über-Siebzigjährigen ihre Lieder in einem Aufnahmestudio in Stockholm auf, gefilmt von 160 Kameras.

Fünf Wochen lang tanzten und sangen sie ihre Hits ein und trugen dabei Motion-Capture-Anzüge. Ex­per­t:in­nen für visuelle Effekte (VFX) erhielten so präzise Aufnahmen ihrer Gesichtsausdrücke und Bewegungen, aus denen sie die „Abbatare“ erstellten.

Das Aussehen der Band verjüngten sie, mischten einige ihrer Bewegungen zusätzlich mit denen von Balletttänzer:innen, sodass die Abba-Hologramme nun mit waghalsigeren Moves zu „Dancing Queen“ über die Bühne heizen, als sie es zu ihrer Bestzeit konnten. Die Avatare wirken sehr realistisch, die Bildschirme links und rechts der Bühne zeigen ihre Bewegungen und Gesichtsausdrücke in Großaufnahme, vor allem Benny und Björn sind gut umgesetzt.

Das Gesicht der animierten Agnetha scheint manchmal perfekter und weichgezeichneter als „in echt“ zu sein, wo ihre Emotionen darin fein nuanciert lesbar sind, die Augen der Hologramm-Frida wirken manchmal etwas starr.

Kein Ersatz für echte Live-Show

Das ändert wenig am sehr überzeugenden Gesamtbild. Ein Facebook-Nutzer bittet sogar auf der Seite des Internationalen Abba-Fanclubs um Hilfe: „Ich habe eine Zahnfee-Situation. Wie sage ich meinem kleinen Sohn, dass er gar nicht die echte Band gesehen hat?“

Ein Ersatz für Live-Konzerte sind Avatar-Shows nicht: Hologramme können nicht direkt mit ihrem Publikum interagieren. Eine zehnköpfige Liveband begleitet die Abbatare bei jedem Auftritt – und wenigstens die freut sich in Echtzeit, wenn sie Applaus bekommt.

Musiker Björn Ulvaeus ist sich sicher, dass Abba auf Dauer nicht die einzige Gruppe mit diesem Showkonzept sein wird, zur Konzerteröffnung im Mai letzten Jahres sagte er der „Tagesschau“: „Andere werden es bald nachmachen. Aber wir waren die ersten.“ Ganz stimmt das nicht. 2012 trat eine digitale Version des verstorbenen Rappers Tupac Shakur auf dem Coachella-Musikfestival auf. Das Hologramm Hatsune Miku gibt Konzerte, eine japanische Sängerin im Anime-Stil. Auch von Michael Jackson und Ronnie James Dio existieren Hologramme.

Doch Abba hat das Konzept auf ein neues Level gehoben. Die Umsetzung der Show kostete 176 Millionen Dollar, einschließlich der Londoner Arena. Wichtig für das Projekt war die zuversichtliche Annahme, dass regelmäßig Leute kommen würden. Abba löste sich zwar 1982 auf, hatte aber stets eine große Fangemeinde.

Ähnlich populär sind die Rolling Stones, Queen, oder die Beatles. Für sie könnte sich eine Hologrammshow lohnen, weil der Andrang und das Interesse da sind und somit eine Refinanzierung absehbar. Für kleinere Künst­le­r:in­nen könnte der Aufwand zu hoch sein. Wobei es mit fortschreitender Technik bald möglich sein könnte, sich günstig selbst zu digitalisieren.

Um das eigene musikalische Erbe zu konservieren, sind Hologramme eine großartige Chance. Abba wird nicht mehr live auftreten. In der Arena können Menschen ihre Energie trotzdem in einem größeren Ausmaß als „nur“ durch ein Musikvideo fühlen.

Der Benny-Avatar spricht zu Beginn des Konzerts zum Publikum: „To be or not to be. That is not the question anymore.“ Sein oder nicht sein – dieses Problem stellt sich ihm nicht mehr, denn er wird für immer so jung aussehen wie 1979.

Ethisches Problem

Dabei bleibt die Frage, wie Künst­le­r:in­nen digitalisiert werden können, die bereits verstorben sind. Die Abbatare entstanden eins zu eins aus den Bewegungen der echten Band. Im Fall von Queen könnte man statt Freddie Mercury etwa Rami Malek mittels Motion Capture digitalisieren, der ihn im Film „Bohemian Rhapsody“ spielte – also ein Body Double nutzen.

Ganz echt wäre das trotzdem nicht. Daraus erwächst ein wichtiger Punkt: die Ethik. Die Abba-Mitglieder stimmten zu, zu Avataren zu werden, die auch nach ihrem Tod noch existieren werden. Sie entwickelten das Konzertkonzept mit, ihre Ideen und Wünsche flossen in die Umsetzung mit ein. Abba-Fans sehen in der Arena ein Geschenk der Band an sie.

Wer aber entscheidet, wie und ob verstorbene Künst­le­r:in­nen dargestellt werden? Das war die Kritik an dem Tupac-Hologramm, das bei Coachella auftrat. Niemand hat das Recht an seiner Person, an seinem Körper, auch wenn er digital sein mag.

Während die Verwertungsrechte der Musik klar geregelt sind, stellen sich bei Hologrammen Fragen: Wer darf an dem Antlitz einer verstorbenen Person verdienen? Was ist die Motivation dahinter, nur Profit oder doch der Wunsch, die musikalische Leistung eines Menschen zu ehren und zu konservieren?

Bis das nicht geklärt ist, ist es ein großer Unterschied, wer „originalgetreu“ digitalisiert wird. Zum ersten Geburtstag von „Voyage“ am 27. Mai 2023 wurden wieder Mitglieder des Internationalen Abba-Fanclubs eingeladen. Super-Fan Angela Docherty und auch Ron Wood von den Rolling Stones waren da. Vielleicht hat er sich für die eigene Show inspirieren lassen.

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