Dänisch-deutsches Projekt „Hope & Despair“: Gemeinsames Gedenken
Das dänisch-deutsche Projekt „Hope & Despair“ versucht, das Gedenken an die NS-Zeit und an den Zweiten Weltkrieg grenzüberschreitend zu gestalten.
Das deutsch-dänische Grenzgebiet ist bis heute gezeichnet von dieser dunklen Zeit. Ihre Narben liegen offen vor Augen. Aber um sie zu verstehen, braucht es konzertierte Wegbegleitung. Und hier gibt es Defizite, ungenutzte Potenziale.
Wer bei Padborg nach Dänemark einreist und auf der E 45 nach Norden fährt, kommt nach wenigen Kilometern an den Baracken des früheren Internierungslagers Frøslev vorbei. Links der Autobahn liegt es in einem Waldstück. Seine MG-Wachtürme und Stacheldrahtzäune haben Tausenden Dänen die Freiheit genommen. Während des Krieges herrschten hier SS und Sicherheitspolizei, in den Jahren nach 1945 saßen dänische Besatzungskollaborateure ein. Heute ist die Anlage Teil des Dänischen Nationalmuseums.
Auch die Bunker des Atlantikwalls sind vielen ein Begriff. Wer je an der jütländischen Westküste Strandurlaub gemacht hat, kennt diese verwitterten Betonbauten.
Vieles Kleine dagegen, ebenso sprechend, wird oft übersehen. Der Grabstein an der Christianskirche im süddänischen Sønderborg zum Beispiel. Hier liegen sieben der elf Besatzungsmitglieder des deutschen Minensuchboots M 612, in der Nacht vom 5. auf den 6. Mai 1945 wegen „militärischen Aufruhrs“ von der deutschen Kriegsmarine abgeurteilt und erschossen. Die Leichen wurden mit Torpedoteilen beschwert und versenkt, sieben von ihnen trieben an den Strand.
Bisher wird die Geschichte dieser deutsch-dänischen Konfliktlandschaft eher national erzählt, fragmentarisch. Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Hope & Despair“, Anfang Mai 2023 gestartet, tritt an, die Erinnerungskultur zur NS-Zeit und zum Zweiten Weltkrieg grenzüberschreitend zu bündeln.
Initiatorin und Leiterin des auf drei Jahre ausgelegten Projekts ist die Designskole (dt.: Designschule) Kolding aus dem dänischen Jütland. Es sei „sehr sinnvoll, die Geschichten miteinander zu verknüpfen und standortübergreifend zu kommunizieren“, sagt Professor Sune Gudiksen. Bei seinem Team laufen alle Fäden von „Hope & Despair“ zusammen.
Die Liste der Kooperationspartner ist lang, namhaft und transdisziplinär. Auf dänischer Seite reicht sie vom Museum Kolding, an dessen Standort Staldgården eine Folterverhör-Zelle aus der Zeit zu sehen ist, in der die Gestapo in Dänemark Widerständler jagte, bis zum Museum Billund und seiner umfangreichen Sammlung zur Besatzungszeit, von Tourismusorganisationen wie Destination Sønderjylland bis zu Bildungseinrichtungen wie UC SYD.
Auf deutscher Seite reicht sie von der Fachhochschule (FH) Kiel und der Europa-Universität Flensburg (EUF) bis zum Jüdischen Museum Rendsburg, der Tourismus Agentur Flensburger Förde und der Hamburger KZ-Gedenkstätte Neuengamme, in deren Außenlagern Husum-Schwesing und Ladelund Häftlinge beim Bau der Panzergräben des Nordsee-„Friesenwalls“ zu Tode kamen.
Hedwig Wagner, Professorin für Europäische Medienwissenschaft am Institut für Germanistik der EUF, befasst sich in „Hope & Despair“ mit der Frage, „ob transkulturelles Erinnern auf lokaler Ebene möglich ist“, sagt sie der taz. „Wie kritisch stellt man sich der eigenen Vergangenheit, wie selbstreflexiv?“ Wagner ist überzeugt: Dänemark und Deutschland könnten durch diese „gemeinsame Erzählung“ stärker zusammenwachsen.
Aber so weit ist es noch nicht. Das erste gemeinsame Meeting war Mitte Juni. Jetzt beginnt die Phase des gegenseitigen Kennenlernens. Wo liegen Differenzen? Welche Informationen werden bereits jetzt an Besuchende vermittelt, und auf welchem Wege? Welche Orte besitzen sie noch, die Kraft der Authentizität? „Das ist Freude und Herausforderung zugleich“, sagt Wagner. „Es ist hoch spannend, das alles zu erkunden, sich gemeinsam auf den Weg zu machen.“
Die Zielgruppen sind so breit gefächert wie die Expertisen und Interessen der Projektbeteiligten. Das macht das Ganze höchst komplex. 1,3 Millionen Euro aus dem EU-Proramm Interreg 6A Deutschland-Danmark stehen dafür zur Verfügung. Gelder, die auch auf touristische Breitenwirksamkeit zielen. Ein Spagat zwischen Geschichtsforschung, Pädagogik und Reiseverkehr, der Training und Vorsicht erfordert, wenn er nicht schmerzhaft werden soll. Aber Wagner ist guten Mutes. „Auch andere Projekte könnten daraus entstehen“, überlegt sie. „Zu anderen Zeitschichten, etwa zum Thema Kalter Krieg.“
Wenn „Hope & Despair“ fertig ist, transnational und multisperspektivisch, motiviert das Projekt zum grenzüberschreitenden Reisen, für Deutsche und Dänen entlang einer gemeinsamen Vergangenheit.
„Es gilt, zwischen Orten Verbindungen zu schaffen, eine Narration zu finden und zu etablieren“, sagt Medienwissenschaftler Eckard Pabst, FH Kiel. Er arbeitet an Storytelling-Konzepten. „Es geht darum, Brücken zu schlagen, niedrigschwellig, medial, und das nicht linear zu denken, sondern als Netzwerk.“ Derzeit, sagt er, „liegen dazu viele Ideen auf vielen Tischen“. Das Ziel sei das „Auslegen von Spuren“.
Lehren für Gegenwart und Zukunft
Eines dieser Medien könnte das Smartphone sein, über das sich per App vor Ort VR aufrufen lässt. Man dürfe dabei aber „nicht in Richtung Hollywood gehen“, sagt Pabst. Das brauche Takt, Respekt. Auch bei Reenactments gelte es, vorsichtig zu sein.
„Hope & Despair“ wird kein reiner Blick in die Vergangenheit sein. Teil des Konzepts sind die Lehren für Gegenwart und Zukunft, die sich aus der NS-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg ziehen lassen. Neue erinnerungskulturelle Wege sind hier zu beschreiten, denn die Zahl der Zeitzeugen nimmt ab.
Schulen wie Einzelreisende werden in den Blick genommen, Tourguides ausgebildet, innovative Kommunikationstechniken erprobt, das Marketing findet Berücksichtigung, die Hotel- und Restaurantbranche. Ein Projekt, das Neuland betritt, indem es historische Verbindungslinien zieht. Eine Titanenaufgabe.
Keine Sorge übrigens: Gestrig-Braune oder Neo-Rechte werden an „Hope & Despair“ keine Freude haben. Klar, NS-Junkies bieten sich im Grenzgebiet viele Ziele. Flensburg etwa, die Sportschule nahe der Marineschule Mürwik, der Standort der Dönitz-Reichsregierung der letzten Kriegstage 1945. Aber der Ansatz des Interreg-Projekts ist klar: „Wir wollen keinen dark tourism“, sagt Wagner. „Wir wollen auch nicht, dass es hier nur um die Faszination am Militärischen geht.“
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