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Neues Album von AnohniVerlangen nach dem Umsturz

Die Pop-Ikone Anohni ist nach längerer Funkstille wieder da. Das Album „My Back Was A Bridge For You To Cross“ zeigt ihre soulige Seite.

Möchte einen Soundtrack liefern, der die Menschen in ihrem Aktivismus unterstützt: Anohni Foto: Nomi Ruiz

Es war im Sommer 1992, bei der Gay Pride Parade in New York, als die britische Sängerin Anohni der afroamerikanischen Trans-Ikone und Stonewall-Aktivistin Marsha P. Johnson zum ersten Mal begegnete. 1990 war Anohni aus Kalifornien, wo sie mit ihrer Familie seit 1981 gelebt hatte, nach Manhattan gezogen, um an der NYU experimentelles Thea­ter zu studieren, noch mehr aber, um in der Stadt zu sein, in der Clubszene, der queeren Community. Eine wilde Zeit war es, House und Dancefloorkultur feierte eine erste Hausse, zugleich war es auch eine tieftraurige Zeit, die Aidskrise befand sich auf ihrem Höhepunkt, forderte Opfer.

Auch in Anohnis Umfeld schlug sie Krater in gewachsene Subkulturen. An jenem Tag im Jahr 1992 aber habe die Sonne gestrahlt, Anohni sei auf Johnson zugegangen, habe ihr gedankt, ihr gesagt, dass sie sie liebe und ihre Hand geküsst. Jene habe nur sanft gelächelt und entgegnet: „Oh, I love you too, doll.“ Es sollte ihre erste und einzige Unterhaltung bleiben. Wenige Tage später wurde Marsha P. Johnson tot aus dem Hudson River ge­borgen.

Das Album

Anohni and the Johnsons: „My Back Was A Bridge For You To Cross“ (Rough Trade/ Beggars/Indigo)

In einem Instagram-Post vor wenigen Wochen hat sie den tieferen Sinn für ihr heute erscheinendes neues Album „My Back Was A Bridge For You To Cross“ beschrieben. Auch erinnerte die trans Sängerin darin an das folgenschwere Zusammentreffen vor mehr als 30 Jahren. Und sie führt aus, was im Anschluss passierte.

Wie sie nach Johnsons Tod eine kleine Prozession zu dem Fundort der Leiche organisierte, wie sie Johnsons Namen auf die Piers sprühte, das East Village mit Postern von ihr tapezierte und wie sie über die Jahre und Jahrzehnte versuchte, die Erinnerung an die Aktivistin lebendig zu halten, weil all das, was passiert war, ein Feuer in ihr entfacht hätte.

Gewidmet Marsha P. Johnson

1995 benannte Anohni ihre Band „The Johnsons“ – zunächst als Performancegruppe gegründet – nach der Trans-Ikone, auch das neue Album der Sängerin, „My Back Was A Bridge For You To Cross“, ist explizit Marsha P. Johnson gewidmet. Das Cover zeigt ein Porträtfoto in Nahaufnahme, aufgenommen irgendwann zwischen 1975 und 1986 von Alvin Baltrop. Üppige Locken umrahmen darauf Johnsons geschminktes Gesicht, ihre Ohrringe funkeln, ihre Lippen sind leicht geöffnet, ihre Augen erwartungsvoll in die Kamera gerichtet.

Sieben Jahre ist es her, dass Anohni ihr letztes Studioalbum „Hopelessness“ herausbrachte. Eine Sammlung zornig-poppiger Protestsongs war das, ebenso politisch wie tanzbar. Umweltzerstörung prangerte sie damals in den Songs an, Drohnenkriege, Massenkonsum, Kindesmissbrauch, die Politik der USA. Weniger düster blickt sie auch heute nicht auf die Welt, der Ton auf „My Back Was A Bridge For You To Cross“ aber ist ein anderer. Weniger konkret sind ihre Texte, gefühlvoller, verletzlicher, souliger – Anohni arbeitete mit dem Soul-Produzenten Jimmy Hogarth zusammen –, aber auch folkiger, klingt die neue Anohni, hoffnungsvoller auch, trotz alledem.

Marvin Gayes „What’s Going On“, sein Anti-Vietnamkriegs-Album, veröffentlicht in Anohnis Geburtsjahr 1971, bezeichnet die Sängerin als einen großen Einfluss: Man kann Gayes Musik auch als Spurenelement in Ahnoni hören, Motown-Sound, den Seidenlaken-Soul, die großen Gefühle, besonders auf dem bereits vorab als Single erschienenen Song „It Must Change“.

Anohnis unverwechselbare Stimme, die immer etwas aus der Welt oder zumindest aus der Zeit gefallen erscheint, über soften E-Gitarren-Klängen. Und diese Stimme verlangt nicht weniger als den großen Umsturz.

Worte des Mitgefühls für Hater

Im Video ist die britische trans Aktivistin Munroe Bergdorf auf einer Bühne zu sehen, divenhaft, makellos, wunderschön. Anohni legt ihr ihren Gesang in den Mund, ihren eindringlichen Ruf nach Veränderung, aber auch Worte des Mitgefühls für diejenigen, die ihr mit Hass begegnen („The truth is that I always thought / You were beautiful / In your own way / That’s why this is so sad“) – während es draußen brennt. Wortwörtlich und im übertragenen Sinne. Bilder von Waldbränden sind zwischen die singende Bergdorf geschnitten und solche, die Graffiti und Slogans und kleine wie große Rebellinnen zeigen.

An die nämlich richtet sich das Album, an die Gemeinschaft der Aktivist*innen, trans Ak­ti­vis­t*in­nen vor allem, an die in der Vergangenheit ebenso wie in Gegenwart und Zukunft. Auf diese Weise ist auch der Titel „My Back Was A Bridge For You To Cross“ zu verstehen. In einem Protokoll Anohnis ist das nachzulesen, veröffentlicht von dem US-Kunstmagazin Artforum, anlässlich des Buchs „Blacklips: Her Life and Her Many, Many Deaths“, das Anohni erst kürzlich zusammen mit dem Autor Marti Wilkerson veröffentlichte.

Es ist eine Sammlung an Archivmaterialien, Dokumenten und Tausenden Videostills von und über ihr avantgardistisches Drag-Kollektiv „Blacklips Performance Cult“, das knappe drei Jahre – von 1992 bis 1995 – existierte.

Ausführlich schildert Anohni in Artforum die prägenden 1990er Jahre und die Notwendigkeit, diese Erfahrungen und Erinnerungen zu bewahren und an die später Geborenen weiterzugeben. Da fällt dann auch der Satz: „Aus irgendeinem Grund wurde mein Rücken zu einer Brücke, über die viel von diesem Material wanderte.“

Ein finsteres Bild

Es gibt noch andere Themen, die Anohni umtreiben, die Zerstörung unseres Planeten, das Artensterben, den Klimawandel, am deutlichsten kommt diese Thematik auf „Why Am I alive Now?“ zum Tragen. Ein finsteres Bild vom Zustand der Erde zeichnet sie darauf: „Watching all this going down / All the animals around / Watching Nature swoon and sigh / Watching all the water dry / Watch the sky fall to the Earth / Birds and insects looking for a place to hide.“ Letzten Endes geht es in den Themen ihres Albums um das Leben in all seiner Fragilität, um das Lebendigsein und zwangsläufig auch dessen Gegenteil, um den Tod, die Verstorbenen und um das, was von ihnen bleibt.

Die zweite Vorabsingle, „Sliver of Ice“, eine zarte Folkballade, ist einer weiteren für Anohni immens wichtigen Person gewidmet, dem New Yorker Rockstar Lou Reed. Komponiert hat Anohni „Sliver of Ice“ bereits 2013, kurz nach Reeds Tod, ihr letztes Gespräch mit dem Musiker zitierend, in dem dieser die sinnliche Wahrnehmung, das Gefühl, den Geschmack eines Eiswürfels im Mund beschrieb.

Nützlich solle ihr neues Album sein, hat Anohni in einer Pressemitteilung erklärt. Sie wolle einen Soundtrack liefern, der die Menschen in ihrer Arbeit, in ihrem Aktivismus, in ihren Träumen und Entscheidungen unterstütze, der anderen das Gefühl gebe, weniger allein zu sein. „Ich möchte, dass meine Musik anderen hilft, mit Würde und Widerstandskraft diese Gespräche durchzustehen, die wir jetzt führen müssen.“

Und nicht nur die Gespräche. Die Welt ist auch 2023 eine gefährliche für trans Menschen, mitunter eine lebensgefährliche. „You’re so killable / It’s not personal it’s just the way we’re born“, singt Anohni auf einem der musikalisch wie textlich eindringlichsten Songs des Albums. „Scapegoat“ heißt er, handelt von gesellschaftlichen Projektionen, von Hass und Gewalt. Das Feuer lodert noch, aber die Flammen peitschen nicht mehr so hoch. Weicher ist Anohni geworden. Zurückhaltender fällt ihr Vibrato aus, macht Platz für mehr Gefühl, mehr Zartheit. Eine intensive Zartheit ist das jedoch.

Anohni auf „My Back Was A Bridge For You To Cross“ singen zu hören, fühlt sich mitunter so an, als würde einem jemand mit den feinen Fasern einer Feder das tiefste Innere ausstreichen. Weniger ist manchmal eben wirklich mehr. Was am Ende bleibt, ist Anohnis Stimme, wie sie den Refrain von „It Must Change“ singt, die zentrale Botschaft des Albums. Er hallt nach und hakt sich fest, bleibt im Kopf lange noch. Ja, es muss sich etwas ändern, unbedingt. Darin besteht die Hoffnung.

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