Bremens Kurzfilmprojekt „Kulturmosaik“: Zwei Menschen, eine Kamera

Das Projekt „Kulturmosaik“ sollte der Bremer Szene über die Pandemie helfen. Entstanden ist eine Online-Kurzfilmreihe, die übers Lokale hinausweist.

Performerin Gertrud Schleising sitzt auf dem Fenstersims eines geöffneten Atelierfensters.

Bühne ist, was frau dazu macht: Performerin Gertrud Schleising in ihrem Atelierfenster Foto: Monika B. Beyer

Bei einem Porträt offenbart sich auch immer die Person, die es ausführt, und nicht nur diejenige, die porträtiert wird: Alle Porträts sind also Doppelporträts der Beschriebenen und der Beschreibenden. Das ist die Grundidee der Kurzfilm-Reihe „kulturmosaik“.

Ihre einzelnen Beiträge werden vom Bremer Filmbüro produziert und sind online kostenlos verfügbar. In ihnen stellen lokale Fil­me­ma­che­r*in­nen Kunst- und Kulturschaffende aus der Stadt vor. Beginn der Reihe war bereits im Frühjahr 2020. Ursprünglich war sie als Hilfsmaßnahme für die Kulturschaffenden gedacht, deren Lage durch Corona prekär geworden war. Zwei Menschen mit einer Kamera zwischen ihnen – dieses Minimalkonzept ließ sich auch unter strengen Hygienebestimmungen umsetzen. Es ermöglichte beiden, ihre Kunst auszuüben und sich im Idealfall in ihr weiterzuentwickeln.

Inzwischen ist dieses Projekt viel mehr als eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Kreative geworden. Die 15 Kurzfilme, die unter dem Label bislang produziert wurden, bieten einen originellen, unterhaltsamen und oft überraschenden Überblick über die Bremer Kulturszene.

Dass es dabei große Schwankungen bei der Qualität der einzelnen Beiträge gibt, ist unausweichlich: Die Film­künst­le­r*in­nen hatten völlig freie Hand und manchmal scheint es, als hätten sich die Prot­ago­nis­t*in­nen gegen das Porträt-Sitzen gesträubt. Wenn da eine Komponistin todernst und mit steinerner Miene in die Kamera sagt, sie sei ein fröhlicher Mensch, stellt sich schon die Frage, ob dies unfreiwillig komisch ist oder doch ein wenig hinterhältig vom Filmemacher arrangiert wurde.

In einer Sequenz zeigt Regisseur Markus Colic nur Schwarzfilm zur Tonspur, anschließend Aufnahmen ohne Ton

Bei einigen Filmen spielen sich die Re­gis­seu­r*in­nen auch in den Vordergrund. So etwa Markus Colic in seinem Film über die Künstlerin Annemarie Strümpfler, bei dem er in einer Sequenz zur Tonspur nur Schwarzfilm zeigt und anschließend Aufnahmen ohne Ton. Danach kritisiert er seine eigene Montage mit den Worten: „Stopp! Das kann nicht mein Ernst sein!“ Ob sich die Porträtierte darin wiederfindet, kann bezweifelt werden.

Andere Fil­me­ma­che­r*in­nen nehmen sich dagegen sehr zurück. So etwa Maria Mathieu in ihrer Arbeit über Renate Bühn, die Installationen zum Thema Kindesmissbrauch macht.

Deren Dringlichkeit scheint die Filmemacherin so überwältigt zu haben, dass sie im Grunde eine filmische Adaption von deren Werken inszenierte. Dahinter verschwinden dann Porträtierte und Porträtistin gleichermaßen.

Bei den besten Filmen der Serie begegnen sich die beiden Künst­le­r*in­nen dagegen auf der gleichen Ebene. Dies sind gelungene Dialoge, für die die Fil­me­ma­che­r*in­nen dann auch meist eine passende und stilistisch interessante Form gefunden haben.

Jan van Hasselt zeigt etwa den Comiczeichner Jeff Hemmer in Kästchen, die beim Comic Panels und bei Film Split Screen genannt werden. Und Monika B. Beyer lässt die Performerin Gertrud Schleising an den sieben Tagen einer Woche – und während 19 Filmminuten – ein wenig auf Spitze Ballett tanzen und die Gemälde in ihrer Ausstellung umhängen.

Vor allem aber lässt sie Schleising reden, vor Publikum und über Gott und die Welt. Denn sie ist auch eine „Erklärkünstlerin“ und die Regisseurin war so klug, sie dabei zu zeigen, wie sie kleine gescheite Vorträge über Themen wie Rohrpost, die genaue Definition des Begriffs „Analyse“ oder die Wochentage hält.

Ähnlich direkt im Stil einer Reportage dokumentiert Lukas Zerbst die Werkstatt „fablab“, in der versucht wird, digitale Technologien allen zugänglich zu machen. Hier werden verschiedene Projekte vorgestellt, bei denen zum Beispiel SchülerInnen einen Wetterschutz entwickelt und gebastelt haben, bei dem sich ein Regenschirm in einem Rucksack entfaltet, sobald ein Wassertropfen auf einen Sensor fällt.

Statt einer Persönlichkeit wird hier eine Initiative vorgestellt, und diese thematische Offenheit ermöglicht einige schöne Überraschungen in der Serie. So etwa den Film des Kollektivs Famose. Filme über den Kommunikationsdesigner Ulf Nawrot. Der hat aus dem Nebenbei-auf-einem-Zettel-Herummalen eine eigene Kunstform entwickelt. Nawrot hat nämlich 40.000 seiner so bekritzelten Post-its gesammelt. Über die Jahre sind diese immer kunstvoller geworden – auch wenn er darauf besteht, so gut wie alle eher unbewusst beim Telefonieren gemalt zu haben.

Inzwischen werden sie ausgestellt, sein ehemaliger Kunstprofessor adelt sie mit ein paar klugen Sprüchen. Ist das nun Kunst oder komisch? Zumindest der Film punktet da doppelt.

Kurios ist auch das Kurzporträt des Kinomachers Alfred Tews, der eine anarchistische Künstlerseele hat, aber viele Jahrzehnte lang im Bremer Kommunalkino Filme zeigte statt selbst welche zu machen. Und so wild-assoziativ wie er von seinen Vorlieben für Arthur Rimbaud, Science-Fiction und das Weinen im Kino erzählt, hat Jan van Hasselt ihn auch porträtiert.

Mal reißt er wild die Augen auf, dann wird er im dunklen Kino aus einem roten Sack heraus nackt geboren. Das Kino und die Fantasie können für ihn alles, und so ist es auch nur konsequent, wenn er in die Kamera sagt, „Wenn es Gott gibt, dann bin ich das alleine!“

Jan van Hasselt hat drei von den Kurzfilmen inszeniert, und weil er sie als eine Chance erkannt hat, sich kreativ auszutoben, zählen sie zu den schönsten der Serie. Dabei ist sein Film über den Musikproduzenten Gregor Hennig stilistisch viel strenger als die Bilderflut über den Kinostürmer Alfred Tews. Denn hier begnügt er sich minimalistisch mit nur zwei Einstellungen.

In der einen doziert Hennig eigensinnig, aber rhetorisch brillant über die Essenz der Musik von Bach bis zur verzerrten E-Gitarre. In der anderen stöpselt er auf dem Fußboden seines Tonstudios kniend Kabel in die verschiedenen Fußpedale der Musikerin Annalena Bludau, die dazu entspannt auf ihrer Gitarre spielt. Besser kann man die Arbeit eines Musikproduzenten kaum ins Bild setzten.

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