Rammstein-Konzert trotz #MeToo-Vorwürfen: Dunkle Wolken am Himmel
Die Vorwürfe gegen Sänger Till Lindemann beschäftigen die Fans beim zweiten Konzert von Rammstein in München. Dieser äußert sich nur kurz auf der Bühne.
Am Ende des zweiten Konzerts in München macht Till Lindemann am Freitag dann doch noch eine Ansage. Denn den ganzen Abend haben Gewitterwolken das Olympiastadion umringt. Der Deutsche Wetterdienst warne, heißt es zu Beginn, eventuell müsse das Konzert unterbrochen werden.
Die Blitze, die am Himmel zucken, sie wirken dann fast hineinchoreografiert in die Rammstein-Pyroshow. „Am Himmel dunkle Wolken ziehen“, singt Lindemann im Song „Puppe“. Aber es bleibt trocken. Und so sagt der Rammstein-Sänger, der eigentlich nur selten spricht, zum Schluss: „München, wir hatten ein Riesenglück mit dem angekündigten Unwetter. Glaubt mir, das andere wird auch vorbeiziehen.“
Eine überraschend eindeutige Ansage für jemanden, bei dem man die politische Einstellung sonst eher zwischen den Zeilen suchen muss. Aber auch eine Kampfansage passend zur Meldung, die kurz zuvor durch die Nachrichten gedonnert ist. Lindemanns Anwaltskanzlei weist die Vorwürfe, der Frontmann habe Frauen „mithilfe von K.-o.-Tropfen bzw. Alkohol betäubt“, „um sexuelle Handlungen an ihnen vornehmen zu können“, als „ausnahmslos unwahr“ zurück. Und auch die Verdachtsberichterstattung in den Medien werde man prüfen.
Obwohl es zunächst wie eine ganz normale Rammstein-Show wirkt, ist dieses Konzert alles andere als normal. Die Frauen, die dem Rammstein-Sänger Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt vorgeworfen hatten – bei den Fans Gesprächsthema Nummer eins. Immer wieder geht es um die „Row Zero“, die Reihe null. Und als das Instrumental von „Deutschland“ erklingt, fragt sich ein Fan: „Glaubt ihr, er hat jetzt Sex?“
Die Influencerin Kayla Shyx hatte zuvor Berichte publik gemacht, dass Till Lindemann sich auf den Pre-Partys eine betrunkene Row-Zero-Frau ausgesucht haben soll, damit sie ihm genau an dieser Stelle, dem langen Instrumental von „Deutschland“, unter der Bühne einen Blowjob gebe.
120 Euro pro Ticket
Einige Rammstein-Fans halten das für Rock-’n’-Roll-Lifestyle. „Wenn du weißt, du bist da im Backstage-Bereich als Frau: da weißt du doch genau, was passiert“, meint ein männlicher Konzertbesucher. Die Band hatte in den sozialen Netzwerken noch darum gebeten, niemanden vorzuverurteilen, auch nicht die mutmaßlichen Opfer. Bei den Fans gelingt das nicht jedem. „Vergewaltige mich, für dich lass ich die Hose runter, Till“, grölt ein betrunkener Besucher und lacht. Lacht er auch dann noch, wenn sich die Vorwürfe am Ende bewahrheiten?
„Das wäre dann das Aus für die Band“, meint jemand anderes. „Ich bin ehrlich, ich hatte kein reines Gewissen, hierherzukommen“, sagt er. Aber die 120 Euro für das Ticket, die will man nicht verfallen lassen. Die Linie, auf die sich die meisten Fans geeinigt haben: Sollten die schlimmsten Vorwürfe stimmen, dann gehört Till Lindemann ins Gefängnis. „Wenn das stimmt, ist das superscheiße“, sagt eine Besucherin. Aber solange nichts bewiesen sei, gelte eben die Unschuldsvermutung.
Und die Party geht weiter. Viele Fans reisen seit Jahren regelmäßig zu Konzerten, kommen von weither aus ganz Deutschland, haben die Rammstein-Shows zu Familien- oder Freundeskreis-Events gemacht. Auch an diesem Abend wird wieder deutlich: Es ist eine beeindruckende Liveshow. Feuer, Konfetti, Gitarren so laut, dass die Ohren selbst am nächsten Morgen noch pfeifen.
Die circa 20 Gegendemonstranten, die sich um 18 Uhr vor dem Olympiastadion verabredet hatten, muss man im Meer der schwarzen T-Shirts dagegen erst suchen. Irgendwo am Rande des Wegs zwischen Olympiahalle und Olympiastadion stehen sie, halten Protestplakate und rufen „Gewalt gegen Frauen ist kein Einzelfall. Gegen Sexismus überall!“
La Ola im Olympiastadion
Unter ihnen auch ein enttäuschter Fan. Luca Barakat ist Delegierter bei Fridays for Future, seine meistgehörte Band der letzten Jahre war Rammstein, erzählt er. „Ich bin überzeugter Feminist und kann sie in Zukunft nicht mehr hören“, findet Luca. Man müsse endlich damit beginnen, den Frauen Gehör zu verschaffen und ihnen zu glauben.
Die Demonstration hat allerdings einen schweren Stand. Man sei Anfeindungen ausgesetzt und werde beschimpft. „Warum muss ich da so einen riesengroßen Alarm fahren?“, beschwert sich ein Fan, der die Demo beobachtet. Sein Fazit: „Das sind 20 Leute, und wir sind 60.000.“ Und trotzdem, auch an der Band scheinen die Anschuldigungen nicht spurlos vorbeizugehen. Die Performance, sie wirkt anders als sonst. Energischer, vielleicht auch aufgeregter. Häufig stehen die Rammstein-Mitglieder relativ regungslos auf der Bühne, an diesem Abend ist mehr Bewegung drin. Und auch Till Lindemann singt vielleicht noch ein bisschen lauter.
Vielleicht liegt das auch am enormen Zuspruch durch das Publikum, schon vor dem Konzert gehen La-Ola-Wellen durchs Stadion. Und mit der Zeit wirkt es fast so, als hätte sich das Olympiastadion verschworen zu einer „Jetzt erst recht“-Stimmung. So wie im Oktoberfest-Bierzelt, wenn die Blaskapelle das Layla-Lied anstimmt. Besonders laut wird Lindemann beim Song „Deutschland“. „Überheblich, überlegen, übernehmen, übergeben“, ruft er ins Mikrofon. Auch den Refrain ändert er leicht ab: „Meine Liebe kann ich dir nicht mehr geben.“
Noch eine Botschaft, dieses Mal aber doppeldeutiger. Man kann sie beziehen auf die Vorverurteilungen, gegen die sich die Band wehren will. Oder auf die „Row Zero“, die wie angekündigt leer geblieben ist. Die Stadt hat ein Awareness-Team beauftragt, das ist allerdings nicht zu entdecken. Am Ende jubeln die 60.000 Fans im Münchner Olympiastadion. Und am Himmel ziehen dunkle Wolken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod