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Wehrbeauftragte will Musterung zurückEin Akt der Erniedrigung

Eva Högl will die Musterung zurück, um Nachwuchs für die Bundeswehr zu gewinnen. Da stellt sich die Frage: Hamse überhaupt gedient, Frau Högl.

Medizinischer Test bei einer Musterung Foto: Imago

Das Ende war dann wirklich ein Witz. Die Fahne hinter den drei Typen in Uniform – obwohl, trugen die wirklich alle Uniform? Ich weiß es nicht mehr so genau –, jedenfalls dieser schwarz-rot-goldene Stoff da an der fahlgrünen Wand hatte tatsächlich: einen Flicken. Rechts unten im güldenen Bereich war das Hoheitssymbol der Bundesrepublik offensichtlich mal eingerissen gewesen. Und ich konnte die Augen nicht abwenden.

Nicht als der eine der drei fragte, ob ich wirklich meinen gerade erst gestellten Antrag auf Kriegsdienstverweigerung aufrechterhalten wollte. Nicht als er mir mitteilte, dass ich „T4“ sei, also zurückgestellt für ein Jahr, erstmal wegen einer Schraube im Fuß (Sport ist Mord, Sportunterricht ist Mordunterricht – aber das nur am Rande). Und auch nicht, als ich dann gehen durfte.

Diese Erinnerungen an meine erste Musterung Mitte der 80er Jahre kommen plötzlich wieder hoch. Denn Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Bundestags, hat vorgeschlagen, dieses einst prägende Event wieder als Erlebnisstation für alle jungen Erwachsenen zu etablieren.

Weil die Bundeswehr Schwierigkeiten hat, junge Menschen für die Truppe zu begeistern, würde sie gern „einen gesamten Jahrgang junger Leute für die Bundeswehr zur Musterung einladen.“ Nicht nur die Jungs, auch die Mädels. Und die als geeignet Eingestuften sollten sich dann anschließend dafür entscheiden können, ob sie zum Bund wollen. Oder sich anderswo engagieren.

„Hamse überhaupt gedient, Frau Högl!“

Bei Högl angebracht wär angesichts ihres Mustervorschlags der Klassiker aller blöden Fragen, den man dereinst als junger Mann immer wieder von alten, häufig versoffenen, in jedem Fall verbraucht wirkenden „echten“ Männern zu hören bekam. „Hamse überhaupt gedient!“ Ja, mit Ausrufezeichen am Ende, nicht mit Fragezeichen. Denn es war keine Frage, es war ein Runtermachen im Befehlston.

Aber zurück zum Thema. „Hamse überhaupt gedient, Frau Högl!“

Offensichtlich nicht. Denn sonst wäre Eva Högl ja auch mal gemustert worden und dann wüsste die Wehrbeauftragte, dass es nichts Dümmeres gibt, als zu versuchen, junge Menschen per Musterung für den Dienst an der Waffe … äh, an der Gemeinschaft zu begeistern.

Die Musterung, so wie sie nahezu alle 18-Jährigen bis zur Abschaffung der Wehrpflicht im Jahr 2011 erleben mussten, hatte nichts Aufbauendes, Begeisterndes. Im Gegenteil. Sie war eine reine Fleischbeschau. Ist der Mann groß genug? Zu groß? Zu klein? Zu dick? Zu dünn? Hat er genügend Finger für den Abzug? Hat er zwei Augen zum Zielen? Zwei Füße zum Marschieren? Zwei Ohren zum Befehlebefolgen?

Es ging dabei aber keineswegs um die tatsächliche Eignung. Stark Kurzsichtige wie ich galten zum Beispiel locker auch für eine Ausbildung zum Scharfschützen als qualifiziert. Man hatte – offensichtlich mangels Masse – die Tauglichkeitskriterien so weit runtergeschraubt, bis die Quoten wieder stimmten. Wäre ich tatsächlich im Schützengraben gelandet und hätte in der Hektik meine Brille verloren, hätte ich aus Selbstschutzgründen jeden erschießen müssen, der sich mir nähert. Egal ob Feind oder Kamerad. Zum Glück für die Bundeswehr hab ich dann aber Zivildienst geleistet.

Zum probeweisen Panzerfahren verpflichten

Vor allem ginge es bei der Musterung nicht um den Charakter. Wo käme man auch hin, wenn Charakter beim Militär eine Rolle spielte? Es spielte keine Rolle, ob jemand was im Kopf hat. Es zählte nur der Körper. Und seine Klassifizierung.

Hose runter, nach vorne bücken und dann fummelt irgend so ein Bundeswehrarsch in deinem Po rum. Es war ein Akt der Erniedrigung der gerade aufstrebenden Jugend.

Klar, es gab auch Typen, die das als notwendigen Schritt zur Mannwerdung sahen. Die begeisterten sich dann anschließend auch für unsäglich unappetitliche Aufnahmerituale in der Kaserne. So bekommt man eine wunderbare Mischung aus Bücklingen und Schindern zusammen. Eins der Grundprobleme jedes Militärs.

Na dann doch lieber Fahnenflucht.

Kleiner Tipp für Eva Högl: Wer tatsächlich junge Menschen für die Bundeswehr begeistern will, sollte sie zum Ballern einladen. Zum probeweisen Panzerfahren verpflichten. Zum Training auf dem Real-Life-Egoshooter. Da trennt sich dann schnell die Spreu vom Weizen.

Besser noch: Man fordert die Jugend der Republik dazu auf, ihr Gewissen zu prüfen. Nicht wie die Kriegsdienstverweigerer damals vor einer staatlichen Kommission. Aber vielleicht in einem Aufsatz. Denn das Nachdenken über Krieg und Frieden an der Schwelle zum Erwachsenwerden schult tatsächlich den Charakter.

Angesichts der Weltlage werden dabei gewiss einige zur Einsicht kommen, dass sie dienen wollen. Andere werden sicher werden, dass sie niemals an die Front wollen. Egal für oder gegen was dort gekämpft wird.

Davon würde dann sogar die Armee profitieren. Es wäre alles andere als die jetzt vorgeschlagene Musterung ohne Wert.

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21 Kommentare

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  • "oder brauchen wir jede Menge Infanteristen, manpads, Drohnen, Artillerie und tragbare Panzerabwehrwaffen? Letzteres ist wohl die Antwort, und darauf ist die Bw überhaupt nicht vorbereitet und merkwürdigerweise wird das ja auch nicht thematisiert oder diskutiert. "

    Genau das haben Ukraine-Veteranen mit Vorgeschichte Bundeswehr bemängelt. Die Zeiten haben sich geändert, die technischen Möglichkeiten ebenfalls. Den Drohnen gehört die Zukunft und man täte gut daran, die in der Ukraine gemachten Erfahrungen bzgl. des Kämpfens und Bekämpfens von Drohnen in die Grundausbildung zu implementieren.

  • "Kleiner Tipp für Eva Högl: Wer tatsächlich junge Menschen für die Bundeswehr begeistern will, sollte sie zum Ballern einladen. Zum probeweisen Panzerfahren verpflichten"

    so isses, MG schießen ist schon was anderes und im Panzer durchs Gelände fahren auch. Das motiviert bestimmt, und wird daher auch nicht gemacht. Ich habe den Eindruck dass z.B. Anton Hofreiters Begeisterung fürs militärische bei der Bw aufhört. Der Grund ist klar, wenn die Leute beim Bund waren ist die Wahrscheinlichkeit dass sie danach noch Grüne wählen wohl deutlich geringer.



    Aber, man sollte doch auch mal die Lehren aus dem UA Krieg für die moderne Kriegsführung und Landesverteidigung berücksichtigen. Brauchen wir ein paar wenige hochspezialisierte Soldaten und hochkomplizierte Waffensysteme wie die F35 oder Leo2A8, oder brauchen wir jede Menge Infanteristen, manpads, Drohnen, Artillerie und tragbare Panzerabwehrwaffen? Letzteres ist wohl die Antwort, und darauf ist die Bw überhaupt nicht vorbereitet und merkwürdigerweise wird das ja auch nicht thematisiert oder diskutiert. Die Musterung wäre der Beginn der Wehrpflicht die aus militärischen bzw Sachzwängen heraus eigentlich kommen muss. Ich weiss, die Grünen und Teile der SPD haben große Probleme mit dem Realitätsbezug ("ist doch nur Geld..."), aber irgendwann holt selbige auch Annalena-guck-in-die Luft ein..

  • "Es spielte keine Rolle, ob jemand was im Kopf hat. Es zählte nur der Körper."

    Hab ich anders erlebt: Die Psychologin meinte nach dem Test, das sie so ein Ergebnis noch nie gesehen hätte und ich auf keinen Fall als Frontschwein dienen dürfte. Ergebnis: 3 Monate San + 9 Monate Gezi

  • Bleibt das alte Schlagwort vom Gand durch die Institutionen. Wer die Bundeswehr meidet, weil er sich zu sehr aufgeklärt und links und überhaupt sieht und wenn dies alle dieser Couleur so sehen, geht halt nur der Rest hin. Und dann der große Aufschrei, dass es dort keine aufgeklärten, linken etc Soldaten gibt.



    Wenn über die diversen Umtriebe die Hand gehalten wird, frage ich mich immer wieder, ob der Grundgedanke dabei ist: Wenn wir die Rausschmeißen, dann haben wir ja erst recht niemanden mehr...

  • komisch ...

    ich habe die stunde der musterung in den siebzigern in bester erinnerung.

    mir wurde über den popo gestreichelt, tief in die augen geschaut und dann in die ohren geflüstert.

    ergebnis:



    voll tauglich !



    keine einschränkungen für den dienst in der truppe.

    ein befund, der meinen abi-schnitt verbesserte.

  • Abgesehen von den albernen Rat-Schlägen am Ende:



    Ich wurde in Manneim 7 Mal gemustert (2. Bildungsweg eben) und am Ende, nachdem ich meine Verweigerung zurück zog und über die Sinnhaftigkeit von Bewaffnung schwadronierte, ausgemustert.

    Was mich richtig erschüttert: auf der Fahne unten ein Flicken? Ich sah den auch von 1979 bis 1987 immer wieder. War das ein Signal - Chiffre?

    Herr Asmuth übernehmen Sie!

  • "und jetzt husten sie mal"

  • Ich wäre dafür, Frau Högl das Erlebnis der Musterung unverzüglich zu ermöglichen!

  • "Es spielte keine Rolle, ob jemand was im Kopf hat. Es zählte nur der Körper."

    Das ist auch der Sinn. Es wird Kanonenfutter gebraucht, keine denkenden Menschen.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Wie wenig Kriege heutzutage allein noch mit Massen an Kanonenfutter zu gewinnen sind sieht man doch derzeit in der Ukraine. Da werden Hunderttausende ohne Training und Ausrüstung in den 'Fleischwolf' geschickt, ohne dass das über Monate irgendeinen nennenswerten Effekt auf den Front- oder Kriegsverlauf hätte.

      • @Ingo Bernable:

        Kanonenfutter wird rekrutiert und eingesetzt. Der "Effekt" ist für die Kriegsherren zweitrangig.

        Es wäre naiv zu glauben, dass es Kriegsherren gibt, die bei Bedarf nicht so handeln.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Natürlich gibt es die, ich verwies doch konkret auf ein hochaktuelles Beispiel. Warum also unterstellen sie Naivität und, dass der 'Kriegsherr' Pistorius plant diese komplett erfolglose Strategie für die BW zu übernehmen was sie angsichts der demographischen Lage noch erfolgloser machen dürfte?

          • @Ingo Bernable:

            "Natürlich gibt es die, ich verwies doch konkret auf ein hochaktuelles Beispiel."

            Beide Seite verschweigen ihre Verlustzahlen. Es ist also schwer einzuschätzen, was wirklich stimmt.

            Und Abnutzung funktioniert auf lange Sicht auch. Konnte man in Syrien sehen. Oder etwas länger her. Das Paradebeispiel 1. WK.

            Die "Profis" sind dagegen unterm Strich in den letzten Jahrzehnten nicht besonders erfolgreich gewesen (Z.B. Flucht aus Afghanistan),

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Vor pauschalem Gerede über Kanonenfutter solltest Du dich mal über das professionelle Verfahren in anderen Staaten informieren. z.B. Norwegen:



      www.sueddeutsche.d...norwegen-1.5748185

      • @Katzenberger:

        Wenn die "Profis" alle sind, wird genommen was da ist. Die Britten dachten vor dem 1. WK auch, dass eine Profiarmee reicht.

        Für Kolonialkriege mag das System funktionieren. Für richtige Kriege meist nicht.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Das ist so nicht richtig. Die Kampfweise der Bundeswehr erfordert mitdenkende Soldaten. Ansonsten ist Führen mit Auftrag nicht durchführbar.

      • @JSunknown:

        "Die Kampfweise der Bundeswehr erfordert mitdenkende Soldaten."

        In der Theorie.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Wie wahr, wie wahr.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Schwieriges Thema mit dem Militärischen bzw. Musterung. Jeder Staat der frei sein will im Sinne von Demokratie muß überlegen wie evt. Angreifer abgeschreckt werden können. Immer nur verweigern bringt nichts.

  • "Vor allem ginge es bei der Musterung nicht um den Charakter. Wo käme man auch hin, wenn Charakter beim Militär eine Rolle spielte? Es spielte keine Rolle, ob jemand was im Kopf hat. Es zählte nur der Körper. Und seine Klassifizierung."

    So siehts aus. Weltweit. In jedem Land.

    Deal with it.